Andreas Resch: Nikolaus Groß

NIKOLAUS GROSS
(1898-1945)

JOURNALIST

MÄRTYRER

Selig: 7. Oktober 2001
Fest: 23. Januar

NIKOLAUS GROSS wurde am 30. September 1898 in Niederwenigern, einer kleinen Ortschaft im Ruhrbecken nahe Essen in Deutschland, als Sohn des Bergschmieds Nikolaus Groß und der Elisabeth Nasse geboren. Kindheit und Jugend verbrachte er im Schoß seiner Familie – einfache Leute und praktizierende Katholiken. Von 1905 bis 1912 besuchte Nikolaus die örtliche Volksschule und wurde zu Hause schon bald mit den Problemen und Bedürfnissen der Arbeiterklasse konfrontiert, der auch er bald angehören sollte. So begann er 1912 als kaum Vierzehnjähriger in der Schwerindustrie zu arbeiten, in einem Blechwalzwerk. Von Januar 1915 bis März 1920 arbeitete er in zwei Bergwerken, zunächst als Schlepper, dann als Hauer in einer Kohlengrube. Aufgrund dieser Tätigkeit war er während des Ersten Weltkrieges 1914-1918 vom Militärdienst befreit.

Sehr bald ließ ihn der Glaube die Christenpflicht der gesellschaftlichen Solidarität als Weg erkennen, um die sozialen Ungerechtigkeiten, die durch die jüngsten päpstlichen Interventionen angesprochen worden waren, zu überwinden und auch jenen Familien, die in bescheidensten wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, eine würdige Existenz zu ermöglichen. Aus diesem Grund besuchte er mit 17 Jahren Kurse, von denen er sich einen besseren Einblick in die Realität der Arbeiterschaft und das Gewerkschaftsrecht erhoffte. Zwei Jahre später, 1917, trat er dem Gewerkverein christlicher Bergarbeiter bei, 1918 der Zentrumspartei und 1919 schloss er sich der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) von Niederwenigern an, deren Sekretär er von Juli 1920 bis Juni 1921 war. Seine Beteiligung am Gewerkschaftsleben verhalf ihm auch zu einer journalistischen Tätigkeit bei der Zeitung „Bergknappe“ in Essen. Weitere Gewerkschaftsaktivitäten führten ihn nach Waldenburg in Schlesien und nach einem Zwischenstopp in Zwickau wieder an die Ruhr nach Bottrop.

Mittlerweile, am 24. Mai 1923, hatte Groß Elisabeth Koch aus Niederwenigern geheiratet. Der glücklichen Ehe entsprangen sieben Kinder. Groß liebte seine Familie über alles und war ein vorbildlicher Vater, der sich durch einen ausgeprägten Sinn für Verantwortung in der Unterweisung und Glaubenserziehung auszeichnete. Wie ernst er diese Aufgabe nahm, erfahren wir direkt aus seiner Feder. So schreibt er in seinem Büchlein Sieben um einen Tisch: „Die tiefen Sorgen kreisen unablässig um die Sieben, aus denen tüchtige, aufrechte und seelenstarke Menschen werden sollen.“

Trotz seiner hingebungsvollen Liebe für die Familie blieben Arbeit und sozialer Einsatz für ihn ein Ort, an dem er seinen christlichen Auftrag verwirklichen konnte, wie in seiner 1943 veröffentlichten Glaubenslehre zu lesen ist: „Die meisten großen Leistungen entstehen aus der täglichen Pflichterfüllung in den kleinen Dingen des Alltags. Dabei gilt unsere besondere Liebe immer den Armen und Kranken.“

Anfang 1927 wurde Groß Hilfsredakteur bei der WAZ (Westdeutsche Arbeiterzeitung), dem Organ der KAB, in Mönchengladbach und schon bald deren Chefredakteur. So konnte er den katholischen Arbeitern in vielen Fragen bezüglich Gesellschaft und Arbeitswelt Orientierung geben. In diesen Beiträgen wird zunehmend deutlich, dass die politischen Herausforderungen für ihn einen moralischen Anspruch enthielten und dass die sozialen Aufgaben nicht ohne geistliche Anstrengung zu lösen waren. Groß wurde so zu einem Glaubensapostel in der Presse.

Als er in dieser Funktion 1929 in das Verlagshaus Ketteler nach Köln übersiedelte, hatte er sich bereits ein klares Urteil über den aufkeimenden Nationalsozialismus gebildet. Ausgehend von der Leitidee Bischofs Kettelers, dass eine Reform der Zustände in der Gesellschaft nur durch eine Reform der Gesinnung zu erreichen sei, erkannte er in den sozialen Erfolgen der Nationalsozialisten „politische Unreife“ und „mangelnde Urteilsfähigkeit“. Schon damals bezeichnete er die Nazis als „Todfeinde des heutigen Staates“. Als Redakteur des KAB-Organs schrieb er am 14. September 1930: „Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab.“

Bereits einige Monate nach Hitlers Machtergreifung 1933 bezeichnete der Führer der „Deutschen Arbeiterfront“, Robert Ley, die Westdeutsche Arbeiterzeitung der KAB als „staatsfeindlich“. In der Folgezeit versuchte Groß die Zeitung vor der Einstellung zu bewahren, ohne inhaltlich Kompromisse eingehen zu müssen. Von 1935 an trug die Zeitung den Titel „Kettelerwacht“ und Groß schrieb von nun an „zwischen den Zeilen“, so, dass es die Eingeweihten verstanden. Im November 1938 wurde die Arbeiterzeitung endgültig verboten, nachdem sie bis dahin als Veröffentlichung mit religiösem Charakter toleriert worden war.

Nach dem Verbot der Verbandszeitung gab Groß eine Reihe von Kleinschriften heraus, die dazu dienen sollten, bei den Arbeitern das Glaubens- und Wertebekenntnis zu stärken. Deshalb musste er von 1940 an Verhöre und Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen.

Gegen Ende 1942 nahm er an Treffen mit Bernhard Letterhaus und Jakob Kaiser teil, um Pläne zum Sturz der politischen Macht der Nationalsozialisten auszuarbeiten, die von der Kölner Gruppe unter Leitung des Bürgermeisters von Leipzig, Carl Friedrich Goerdeler, betrieben wurden. Groß hatte nur eine Begegnung mit Goerdeler im Hause Ketteler im Februar 1943, bei der auch Prälat Otto Müller und Jakob Kaiser anwesend waren. Im darauffolgenden Oktober traf er Kaiser nochmals in Berlin. Ohne je aktiv an der Organisation des misslungenen Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 beteiligt gewesen zu sein, war Groß über die Pläne gegen das Regime auf dem Laufenden, wie den Erinnerungen des bekannten Spirituals so vieler Männer, des Prälaten Kaspar Schulte aus Paderborn, zu entnehmen ist: „Am Tag vor dem Attentat sagte ich zu Groß: ‚Herr Groß, denken Sie daran, dass Sie sieben Kinder haben! Ich habe keine Familie, für die ich verantwortlich bin. Es geht um Ihr Leben‘.“ Und Groß gab mir eine Antwort, die seine ganze geistige Größe zum Ausdruck brachte: „Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserem Volk bestehen?“

Der Abschnitt aus der Feder von Groß in einer kleinen Veröffentlichung liest sich fast wie eine Prophetie: „Manchmal will mir das Herz schwer werden und die Aufgabe unlösbar erscheinen, wenn ich die eigene menschliche Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit an der Größe der Verpflichtung und am Gewicht der Verantwortung messe. Wenn eine Generation ihr kurzes Leben mit dem höchsten Preis, dem Tod, bezahlen muss, suchen wir die Antwort bei uns selbst vergebens. Wir finden sie nur bei dem, in dessen Hand wir im Leben und im Tod geborgen sind. Wir wissen nie, welche Probleme uns kraft der Stärke unserer Seele erwarten… Die Wege der Menschen liegen im Dunkeln. Aber auch die Finsternis ist nicht ohne Licht. Hoffnung und Glaube, die uns immer vorauseilen, erahnen über dem Dunkel bereits den Anbruch einer neuen Morgenröte. Wenn wir wissen, dass das Beste in uns, die Seele, unsterblich ist, dann wissen wir auch, dass wir uns wiedersehen werden.“ Für Groß bildete das Vertrauen in Gott jenes Fundament, das ihn nicht wanken ließ.

Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 überschlugen sich die Ereignisse. Groß, der selbst an der Vorbereitung und Ausführung nicht unmittelbar beteiligt war, wurde am 12. August 1944 gegen Mittag in seiner Wohnung verhaftet, zunächst in das Gefängnis Ravensbrück und anschließend in das Zuchthaus nach Berlin-Tegel gebracht. Seine Frau Elisabeth kam zweimal nach Berlin, um ihn zu besuchen. Sie berichtete über deutliche Folterspuren an seinen Händen und Armen. Die insgesamt 29 Briefe, die Groß aus dem Gefängnis schrieb, bezeugen eindrucksvoll, dass für ihn das ständige Gebet die Quelle war, aus der er in seiner schwierigen und am Ende aussichtslosen Lage Kraft schöpfte. Es gibt fast keinen Brief, in dem er nicht die Gelegenheit wahrnimmt, seine Frau und seine Kinder um das ständige Gebet zu bitten, so wie auch er selbst täglich für seine Familie betete.

Am 15. Januar 1945 wurde durch den Vorsitzenden des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, das Todesurteil verkündet. Der Amtsanwalt machte sicher keine großen Anstrengungen, da das Urteil bereits feststand: „Tod durch den Strang wegen Hochverrats“. Die protokollierte Schlussbemerkung und in Wahrheit die einzige Urteilsbegründung war folgende: „Er schwamm mit im Verrat, muss folglich auch darin ertrinken!“ Die Nazis wollten keine Märtyrer. Ein Grab gönnten sie dem Erhängten nicht: Für die Befürworter von Lüge und Hass gab es nur die brutale Vernichtung.

Das Urteil wurde am Nachmittag des 23. Januar 1945 vollstreckt. Der Gefängnisseelsorger, der katholische Pfarrer Buchholz, der dem zum Tod Verurteilten aus einem Versteck heraus den Segen auf seinem letzten Weg erteilte, berichtete nachher: „Groß neigte beim Segen schweigend das Haupt. Sein Gesicht schien bereits erleuchtet von der Herrlichkeit, in die einzugehen er sich anschickte.“ Sein Leichnam wurde verbrannt und die Asche über die gefrorenen Felder verstreut.

Am 7. Oktober 2001 wurde Nikolaus Groß von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 2001 – 2004. Innsbruck: Resch, 2015 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 6). XIV, 482 S., 110 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-099-5, Ln; EUR 48.60 [D], 49.90 [A]

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