Andreas Resch: Niels Stensen


NIELS STENSEN
(1638-1686)

FORSCHER
UND
TITULARBISCHOF

VON TITIOPOLIS

Selig: 23. Oktober 1988
Fest: 5. Dezember

NIELS STENSEN (= Sohn von Sten) wurde am 11. Januar 1638 als Sohn der Lutheraner Sten Pedersen und Anna Nielstochter in Kopenhagen, Dänemark, geboren. Nach der Gymnasialzeit wurde Stensen 1656 an der Universität aufgenommen, wo er sich vor allem humanistischen Studien widmete.

Ende 1659/Anfang 1660 ging Stensen nach Holland, um in Amsterdam sein Medizinstudium zu vollenden. Dort machte er bereits am 7. April 1660 seine erste wissenschaftliche Entdeckung, den Ductus parotideus oder „Stensen­-Gang“ (= Ausführungsgang der Ohrspeicheldrüse) und hielt im Juli ein berühmtes Kolloquium. Es folgte die Immatrikulation an der Universität von Leiden. Weitere Entdeckungen Stensens in dieser Zeit betrafen vor allem Drüsen, Muskeln und Herz, worüber er zwei Werke veröffentlichte. Im Frühjahr 1664 kehrte er wieder nach Kopenhagen zurück. Nachdem jedoch die Hoffnung auf einen Lehrstuhl an der dortigen Universität geschwunden war, beschloss er, seine Studien im Ausland fortzusetzen, und ging für ca. zwei Jahre nach Paris. Auf eine Anfrage hin, die er von dort aus an den Senat der Universität von Leiden gerichtet hatte, wurde er am 4. Dezember 1664 zum „Doktor der Medizin“ promoviert.

Stensens damalige wissenschaftliche Tätigkeit konzentrierte sich auf die Embryologie und anschließend auf die Gehirnanatomie. Seine Forschungen und Studien katapultierten ihn in Wissenschaftskreisen auf den vordersten Rang. Während seines Aufenthaltes in Paris kam er auch mit mehreren Katholiken, vornehmlich Ordensleuten, in Kontakt, die seine religiöse Haltung maßgeblich beeinflussten und auf diese Weise dazu beitrugen, dass er später zum Katholizismus konvertierte.
Anfang 1666 weilte Stensen am Hof Ferdinands II. von Medici, des Großherzogs von Toscana, in Italien. Sein Ruf als großer Anatom war ihm dorthin vorausgeeilt und hatte viele Persönlichkeiten des kulturellen Lebens dazu bewogen, ihm jenen Empfang zu bereiten, der Florenz zu seiner zweiten Heimat machte. Von Mai bis Juli des Jahres unternahm er eine Reise nach Rom, wo er mit verschiedenen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kirche zusammentraf.

Wiederum in Florenz wurde er in den Kreis der Gelehrten an der angesehenen Accademia del Cimento aufgenommen.
Im März 1667 übersiedelte Stensen an den Hof der Medici nach Livorno; im April ging er nach Pisa und anschließend nach Lucca, wo er Lavinia Felix Cenami Arnolfini begegnete, die bei seiner Konversion eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Am 9. Juni wohnte er in Livorno der Fronleichnamsprozession bei. Die dabei gemachten Erfahrungen waren ausschlaggebend für seine religiöse Orientierung. Nach Florenz zurückgekehrt, widmete er sich dem Studium der Theologie. Am 2. November beschloss er, zur Katholischen Kirche überzutreten. Am 7. des Monats erfolgte die formelle Abschwörung; eine Erklärung für seine Entscheidung liefert Stensen in den Schriften De propria conversione epistola und Defensio et plenior elucidatio epistolae de propria conversione. Die genannten Dokumente geben Aufschluss über seinen spirituellen Weg.

In den darauf folgenden Jahren (1668-1670) befasste sich Stensen mit geologischen Forschungen und unternahm im Zuge dessen Reisen in mehrere europäische Länder: von Italien aus über Tirol nach Deutschland und von Österreich nach Ungarn bis zu den Bergwerken in der Slowakei. Von Wien über Böhmen gelangte er Ende 1669 nach Holland. Dort kam er mit Vertretern verschiedener reformierter Glaubensgemeinschaften in Verbindung und begann mit der Ausübung jenes religiösen Apostolats, das von da an zu seiner Hauptbeschäftigung wurde und sich stets durch Klarheit und Entschiedenheit in den Prinzipien sowie durch Liebenswürdigkeit und Güte in der Form auszeichnete.

Im Sommer 1671 führte Stensen noch geologische Untersuchungen in den Tridentinischen Voralpen und in der Lombardei durch; doch waren dies die letzten ihrer Art, weil er 1672 von König Christian V. nach Kopenhagen zurückberufen und dort zum „Königlichen Anatom“ befördert wurde. Diese Aufgabe hielt ihn bis zum Sommer 1674 gefangen, als er nach Florenz reiste, wo ihn Cosimo III. mit der Erziehung seines Sohnes, Prinz Ferdinand, betrauen wollte. Während er diesem Auftrag zwei Jahre lang gerecht wurde, reifte in ihm zunehmend der Wunsch, sich als Priester voll und ganz in den Dienst des Herrn zu stellen.

Nach seiner Priesterweihe im Dom zu Florenz feierte er am 14. April 1675 seine erste hl. Messe.

Am 13. September 1677 wurde Stensen nach verschiedenen von dem katholischen Herzog Johann Friedrich von Hannover initiierten Verhandlungen mit dem Hl. Stuhl zum Apostolischen Vikar in dessen Territorien ernannt. Am 19. des Monats empfing er in Rom die Bischofsweihe. Unmittelbar darauf reiste er nach Hannover. Aus dieser Zeit stammen einige seiner Schriften, die mehrfach das Ziel von Angriffen aus dem protestantischen Lager waren und denen es zu antworten galt, um die Kritiken zu widerlegen. Sein Amt in Hannover währte allerdings nur zwei Jahre, weil mit dem Tod von Herzog Johann Friedrich am 28. Dezember 1679 ein Verbleib Stensens in dieser Region so gut wie unmöglich wurde.

Auf Antrag des Fürstbischofs von Münster und Paderborn, Ferdinand von Fürstenberg, wurde Stensen zum Weihbischof von Münster ernannt. Drei Jahre lang, von August 1680 bis August 1683, widmete er sich den Gläubigen mit einer Hingabe, in der seine Fähigkeiten als Seelenhirte in besonderer Weise zum Ausdruck kamen.

Nach dem Tod Ferdinands von Fürstenberg untersagte das Domkapitel Stensen die Fortführung seiner Pastoralbesuche und erklärte einige der von ihm getroffenen Vorkehrungen für außer Kraft gesetzt. Stensen wandte sich daraufhin an den Hl. Stuhl. Der Konflikt zwischen ihm und dem Kapitel spitzte sich anlässlich der Wahl des neuen Bischofs von Münster weiter zu. Stensen, der die Machenschaften in diesem Zusammenhang missbilligte, verließ die Stadt genau an dem Tag, als die Wahlen stattfanden, am 1. September 1683. In Hamburg angekommen, übersandte er der Glaubenskongregation am 2. Oktober einen ausführlichen Bericht zur Situation. Der Hl. Stuhl versuchte die von Stensen angeprangerten Missstände zu beseitigen. Da eine Rückkehr nach Münster unangebracht schien, wurde er im Mai 1684 seines Amtes als Weihbischof von Münster enthoben, zugleich aber in seiner Funktion als Apostolischer Vikar bestätigt, mit Ausweitung seiner Kompetenzen auch auf die vormals von Fürstbischof Ferdinand verwalteten Vikariate. So war Stensen die letzten drei Jahres seines Lebens als Apostolischer Vikar zunächst in Hamburg, dann in Schwerin tätig, wo er am 5. Dezember 1686 starb.

Sein letzter Wunsch war es, „nach Art der Armen“ begraben zu werden. Seine sterblichen Überreste wurden jedoch, in den Bischofsornat gehüllt, vorläufig im evangelisch-lutherischen Dom von Schwerin beigesetzt und später dann auf Anweisung seines Freundes und Wohltäters, Cosimo III. von Medici, nach Florenz gebracht und in einem Sarkophag in der Basilika von San Lorenzo bestattet.

Das Charisma von Stensens Persönlichkeit erlosch aber nicht mit seinem Tod, sondern überdauerte die Zeit. Er hat gezeigt, dass sich Wissenschaft und Glaube nicht ausschließen, sondern sich sogar gegenseitig ergänzen. Der von ihm formulierte Ausspruch bei der Antrittsvorlesung zu einer anatomischen Vorführung in Kopenhagen – „Schön ist, was wir sehen; schöner ist, was wir noch nicht sehen“ – ist Ausdruck seines Verzichts auf eine vielversprechende Wissenschaftskarriere, um den Weg im Dienst der ewigen Wahrheit zu gehen. Eine materialistische und rein wissenschaftliche Sicht des Menschen lehnte Stensen mit dem ganzen ihm als Forscher gebotenen Gewicht ab – in der Überzeugung, dass die unverwechselbare Würde des Menschen durch seine spirituelle Dimension gekennzeichnet ist, die ihn zu einem Wesen macht, das für seine Handlungen Verantwortung trägt und fähig ist, über sich selbst hinauszuwachsen. Stensens Leben birgt auch die eindringliche Aufforderung zur Einheit der Christen. Den Erfordernissen entsprechend müsse sich die ökumenische Bewegung auf die Suche nach der Wahrheit und dem Willen Gottes stützen. Das ökumenische Problem brachte Stensen vor allem auf Gebetsebene zur Sprache: „Leite uns so, dass wir alle eins werden, eine Einheit, wie Du sie vor Deinem Tod vom Vater erbeten hast. Gestatte uns, dass wir vollkommen geeint sind in dem Wort, das der Vater an Dich gerichtet hat und mit derselben Liebe, mit der der Vater Dich, den Fleisch Gewordenen geliebt hat. Bleibe bei uns, auf dass jeder Mangel an Liebe, jedwede Gehässigkeit, alle verletzende Rede für immer ausgemerzt werde“ (aus dem Gebetbuch von Schwerin, Übers. d. Red.).

Am 23. Oktober 1988 wurde Niels Stensen von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1986 – 1990. Innsbruck: Resch, 2005 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 2). XIII, 298 S., 69 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-076-X, Ln, EUR 25.70 [D], 26.52 [A]

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