Andreas Resch: Marie-Luise von Jesus Trichet


MARIE-LUISE VON JESUS TRICHET
(1684-1759)

PROFESS-SCHWESTER

GRÜNDERIN
DER TÖCHTER DER WEISHEIT

Selig: 16. Mai 1993
Fest: 28. April

MARIE-LUISE VON JESUS TRICHET wurde am 7. Mai 1684 als viertes von acht Kindern von Jules Trichet und Françoise Lecoq in Poitiers, Frankreich, geboren und noch am gleichen Tag auf den Namen Marie-Luise getauft. Ihr Vater war Anwalt am Präsidialsitz von Poitiers – ein Mann des Glaubens, von großer Redlichkeit und Güte. Im Kreis der Familie wurde Marie-Luise eine solide christliche und kulturelle Erziehung zuteil. Mit sieben Jahren schickten sie ihre Eltern als Externe in das Internat der Töchter Unserer Lieben Frau von Poitiers. Dort erhielt sie bis zum 13. Lebensjahr die für die Mädchen von damals vorgesehene Grundausbildung, d. h. sie lernte lesen, schreiben und rechnen. Gleichzeitig wurde sie zu einer tiefen Verehrung für die Gottesmutter und zur Nächstenliebe erzogen.

Nach Beendigung der Schule fühlte sie sich schon bald ganz zur Weihe an Gott berufen. Mit 17 Jahren machte sie die Bekanntschaft des späteren Heiligen Ludwig Maria Grignion von Montfort, damals Kaplan des Allgemeinen Krankenhauses in Poitiers. Diese wichtige, besonders gnadenreiche und fruchtbringende Begegnung bewirkte, dass ihr Leben fortan von ständigem Einsatz geprägt war. Zu einer jungen Frau, die sich einmal an sie wandte, sagte sie ganz offen: „Sie hat mir die Jungfrau Maria geschickt.“ Montfort, den sie sich zum Beichtvater auserkor, schlug ihr unumwunden vor, sich in den Dienst der Armen im Hospital zu stellen. Es war dies der Beginn der geistlichen Führung von Marie-Luise und gleichzeitig der Verwirklichung eines Werkes, das Grignion von Montfort bereits in Gedanken konzipiert hatte. Mit einer für eine junge Frau ihres Alters ungewöhnlichen Willensstärke überwand sie den Widerstand ihrer Eltern und erreichte, dass sie zur Unterstützung der Oberin aufgenommen wurde. Da sich Marie-Luise immer stärker zum Ordensleben berufen fühlte, hielt sie sich 1702 für kurze Zeit im Noviziat der regulierten Kanonikerinnen des hl. Augustinus in Chatellerault auf. Sie verließ dieses aus Gesundheitsgründen wieder bzw. – was wahrscheinlicher ist – wegen des im Kloster vorherrschenden jansenistischen Geistes.

Nach Poitiers zurückgekehrt, fand sie sich von neuem unter der geistlichen Führung von Montfort. Er beabsichtigte, eine Gemeinschaft mit der Bezeichnung „Töchter der Weisheit“ zu gründen, und sah – im Lichte Gottes – Marie-Luise als den Grundpfeiler dieser Gründung. Da die Zeit für die Umsetzung des Vorhabens noch nicht reif schien, sagte er ihr nichts davon, sondern beschränkte sich allein auf die Äußerung: „Ja, Du wirst Ordensfrau.“ Marie-Luises Verlangen, in das Kloster zu gehen, wurde immer stärker, und sie teilte dies Montfort auch nachdrücklich mit. Er antwortete gleichsam im Scherz: „Geh’ doch ins Hospital!“ Ein vor allem zur damaligen Zeit verwegener Vorschlag! Die göttliche Vorsehung, derzufolge Marie-Luise als Mitbegründerin neben Montfort stehen sollte, ließ die aufgeschlossene junge Frau erkennen, dass sie dazu berufen war, „mit den Ärmsten der Armen zu leben“ – eine zu ihrer Zeit unvorstellbare Berufung, speziell für eine Angehörige des Bürgerstandes. Trichet aber beschloss, dem mysteriösen Aufruf Folge zu leisten, wenngleich sich der Eintritt in das Spital als schwierig erwies, weil sich die Verwaltung keine neuen Führungspersönlichkeiten leisten konnte. Marie-Luise ergriff daraufhin die Eigeninitiatve: Sie ersuchte den Bischof um ein Empfehlungsschreiben, um „im Stand der Armut“ eintreten zu können, was ihr gewährt wurde. Im Januar 1703 erfolgte die Aufnahme durch Montfort, den Kaplan des Spitals, der sie in den Zirkel der„Weisheit“ einführte, eine von ihm geschaffene Vereinigung bestehend aus einem Dutzend armer Insassen, die alle sehr tugendsam waren und den Geist der Weisheit lebten, den Montfort auf das „Kreuz von Poitiers“ geschrieben hatte: die plastische Darstellung eines spirituellen Lebensprogrammes, das von einem Radikalismus im Sinne des Evangeliums gekennzeichnet war. Einen Monat später, am 2. Februar 1703, erhielt Marie-Luise als Erste und als Mitbegründerin das Ordenskleid der Töchter der Weisheit aus grobem grauen Stoff, dem noch zwei wichtige Elemente hinzugefügt worden waren: ein Kruzifix auf der Brust und ein Rosenkranz an der Seite – Jesus und Maria, zwei essentielle Gestalten der Kontemplation. Und Montfort sagte zu seiner Jüngerin: „Ich heiße Ludwig Maria, du bist Marie-Luise. Füge dem noch den Namen Jesus hinzu und nimm diesen heute als Dein einziges Vermächtnis.“ Marie-Luise von Jesus, im Kleid der künftigen Kongregation der Töchter der Weisheit, stand für diesen Namen 12 Jahre lang allein. Es war dies der Beginn eines langen Lebens konstanter Hingabe an den Willen Gottes, oft dunkel und geheimnisvoll, aber stets im lebendigen Glauben, wobei Hindernisse und enorme Schwierigkeiten gemeistert wurden. Zehn Jahre der Einsamkeit, des Wartens, der Unsicherheit im Spital, wo sie sich durch Engagement und Nächstenliebe hervortat, behindert durch missgünstige Leiterinnen und ohne die Unterstützung des Gründers, der die Diözese aufgrund böswilliger Intrigen 1705 verlassen hatte. Im Weggehen sagte er zu Marie-Luise: „Harre für zehn Jahre in diesem Hospital aus. Die Töchter der Weisheit werden sich erst am Ende dieses Zeitraums zu formieren beginnen.“ Tatsächlich musste sie zehn lange Jahre warten, bevor sie 1714 mit Katharina Brunet, einer Konzeptionistin, eine erste Gefährtin erhielt. 1715 verließ Marie-Luise auf Drängen von Montfort die Stadt für immer und begab sich mit ihrer Mitschwester Brunet nach La Rochelle (Charente-Maritime), um dort eine Mädchenschule zu gründen. So entstand in La Rochelle die erste Gemeinschaft der Töchter der Weisheit (Abb.) mit zwei neuen Adepten, Maria Regnier (Kreuzschwester) und Marie Valleau, Schwester von der Inkarnation. Marie-Luise traf sich darüber hinaus eine Zeit lang wiederholt mit Montfort, der nach Beratungen mit ihr mittlerweile die endgültige Ordensregel konzipiert hatte, welche schließlich am 10. August 1715 vom Bischof approbiert wurde.

Am 28. April 1716 starb der Gründer und so lastete die Verantwortung für die neu geschaffene Kommunität und deren Gedeihen fortan auf den Schultern von Sr. Marie-Luise. 1719 verließ sie La Rochelle in der Hoffnung, in ihrer Heimatstadt ein Mutterhaus zu gründen. Nachdem dies misslang, ging sie nach Saint-Laurent-sur-Sèvre (Vandea), um dort ein Mutterhaus mit Noviziat zu errichten. Die Suche nach einem solchen Haus bereitete ihr viele Probleme, die sie jedoch mutig meisterte, stets dessen eingedenk, den Willen des Herrn zu erkunden, was ihre einzige Motivation war. Im Juni 1720 gelang es ihr schließlich, im sog. „Maison longue“ eine kleine Gemeinschaft zu versammeln und die fragile Kommunität der Anfangszeit in eine blühende Kongregation zu verwandeln. So wurden am 16. Dezember 1722 vier Novizinnen zur Profess zugelassen; weitere Gründungen folgten. Zwischen 1725 und 1748 brachte Trichet in eine Reihe von Gründungen ihr ganz persönliches Engagement ein, wobei sie stets darauf bedacht war, den Dienst an den Kranken in den Mittelpunkt zu stellen. Viel Zeit wandte sie für die Unterweisung der Schwestern auf, die ihr nacheiferten. Besonders hervorzuheben ist die Gründung von Niort im Jahre 1729, wo sie wahre Heldentaten vollbrachte und so viel Nächstenliebe versprühte, dass sie von den Betroffenen spontan „Mutter Jesus“ genannt wurde. Die Töchter der Weisheit hatten sich den Ärmsten dort in jeder Hinsicht verschrieben, bis zur Hingabe ihres eigenen Lebens. Einige von ihnen starben vor Erschöpfung, sodass bald die Rede von „Niort, Grab der Töchter der Weisheit“ aufkam.

In 43 Jahren gründete und forcierte Marie-Luise allein etwa 30 Niederlassungen, die nach ihrem Tod noch zunahmen. Es wurden kleine Schulen der Nächstenliebe organisiert, bescheidene Gemeinschaften für die Kindererziehung, Krankenbesuche und Pflegedienste und ein Mittagstisch für Obdachlose. Bei den öffentlichen Behörden setzte sich Marie-Luise auch für eine effiziente menschliche und religiöse Unterweisung der „armen Häftlinge“ ein.

Auf der Insel Oléron fanden sich die Schwestern inmitten von Soldaten und kranken Seeleuten wieder. Durch die neuen Erfahrungen gestärkt, engagierten sich die Töchter der Weisheit später in Frankreich in der Leitung großer maritimer Krankenhäuser, stets vom Geist getragen, „im Nächsten Gott zu lieben“.

Auch das Los der Verfolgung blieb ihr nicht erspart. Eine Intrige von Mitschwestern führte zu dem, was ihr Biograf, ein Augenzeuge, als „blutige Verfolgung“ bezeichnet, im Zuge derer sie eine echte Kreuzesliebe unter Beweis stellte.

Die außergewöhnlichen Wohlfahrtsdienste und die von Marie-Luise innerhalb von 40 Jahren geleistete Erziehungsarbeit erfreute sich der konstanten Unterstützung der Nachfolger Montforts.

Marie-Luise von Jesus starb nach tapfer ertragener Krankheit am selben Ort, im selben Monat, am selben Tag und zur selben Stunde wie seinerzeit Montfort, am 28. April 1759, in Saint-Laurent-sur-Sèvre, im Alter von 75 Jahren, von denen sie etwa 60 im Dienst des Herrn für die leidenden Mitmenschen verbracht hatte. Sie wurde in der Pfarrkirche von Saint-Laurent-sur-Sèvre neben dem Grab des Gründers beigesetzt, und schon bald verbreitete sich der Ruf ihrer Heiligkeit.

Durch ihr Leben und ihre Arbeit vermittelt Marie-Luise von Jesus eine Botschaft von brennender Aktualität: die integrale Förderung der menschlichen Person und der Dienst an den Ärmsten aus Liebe zu Jesus Christus und Seiner göttlichen Weisheit.

Am 16. Mai 1993 wurde Marie-Luise von Jesus Trichet von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

Resch, Andreas: Die Seligen Johannes Pauls II. 1991 – 1995. Innsbruck: Resch, 2008 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 3). XIII, 321 S., 67 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-083-4, Ln, EUR 27.70 [D], 28.63 [A]

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