Andreas Resch: Marianus (Dominikus) von Roccacasale


MARIANUS VON ROCCACASALE
(DOMINIKUS)
(1778-1866)

PROFESSBRUDER
DES ORDENS DER MINDERBRÜDER
(FRANZISKANER)

Selig: 3. Oktober 1999
Fest: 31. Mai

MARIANUS (Dominikus) VON ROCCACASALE wurde am 14. Januar 1778 als Sohn von Gabriele di Nicolantonio und Santa D’Arcangelo in Roccacasale, Provinz Aquila, Italien, geboren und auf den Namen Dominikus getauft. Die Eltern, Bauern und Hirten, sehr gläubige und grundanständige Menschen, erzogen ihre sechs Kinder zu einer tiefen Religiosität und einem erdverbundenen Leben. Nachdem die übrigen Geschwister aus dem Haus waren, traf es gerade Dominikus als Letztgeborenen, bei den Eltern zu bleiben. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, die elterliche Schaf- und Viehherde auf die Weiden des Berges Morrone zu treiben. Die Einsamkeit der umliegenden Felder und Gebirgsgegenden formte dabei die Seele des Jungen, der sich zunehmend in Meditation und Schweigen erging. Bei seiner Betrachtung erkannte er, dass die Welt nicht für ihn geschaffen war.

Mit 24 Jahren trat Marianus in den Konvent der Franziskaner von San Nicola in den Abruzzen ein, wo er am 2. September 1802 den franziskanischen Habit erhielt und den Namen Bruder Marianus von Roccacasale annahm. Nach Beendigung des Noviziatsjahres legte er die Gelübde ab und weihte sich damit Gott für immer. Er war damals 25 Jahre alt. Nach der Ordensprofess blieb er 12 Jahre lang in Arischia. Sein Leben in dieser Zeit lässt sich in zwei Worte fassen: Gebet und Arbeit; diese waren wie zwei Stricke, an denen seine gesamte Existenz hing. Mit ganzer Hingabe widmete er sich den vielfältigen Aufgaben, die ihm anvertraut wurden. So erwies er sich als ausgezeichneter Tischler, Gärtner, Koch und Pförtner.

Für ein eher zurückgezogenes und spirituell vertieftes Leben fand er jedoch in Arischia nicht das geeignete Umfeld. Die Zeiten waren in der Tat denkbar ungünstig für das Ordensleben und die Klöster. Nach dem Sturz Napoleons 1814 und der Rückkehr des Papstes nach Rom konnte sich – wenngleich unter unzähligen Schwierigkeiten – auch das klösterliche Leben langsam wieder erholen. Es bedurfte allerdings vieler Jahre, bis alle Ordensleute in ihre Klöster zurückkehrten und Gebetsleben und Apostolat dort wieder zu neuer Blüte kamen.

Es war an eben diesem Punkt, dass Marianus der Name des Klosters des hl. Franziskus bei Bellegra zu Ohren kam. Der Ruf von einem geregelten und strengen Leben, das in diesem Kloster durch das Wirken heiliger Ordensleute schon lange eingezogen war, hatte sich bereits in der Gegend verbreitet. Marianus ersuchte daher die Oberen um Erlaubnis, im Kloster von Bellegra in der Provinz der Franziskaner von Rom leben zu dürfen, was ihm gewährt wurde. So verließ er nach 12 Jahren den Konvent von Arischia in Richtung Bellegra. Endlich war er mit seinen 37 Jahren an das Ufer gekommen. Kurz nach seinem Eintritt in die Kommunität von Bellegra wurde Bruder Marianus vom P. Guardian die Aufgabe des Portiers zugewiesen. Der Schlüssel, den ihm der Obere übergab und der gut 40 Jahre lang am Strick um seinen Habit baumelte, wurde zum Werkzeug und zum Zeichen seiner Heiligkeit. Dieser Schlüssel, mit dem Bruder Marianus hantierte, öffnete nicht nur unzähligen Armen, Pilgern und Reisenden die Tore zum Konvent. Er ließ auch das Schloss so vieler Herzen aufspringen, die bis dahin der göttlichen Gnade versperrt gewesen waren. 40 Jahre lang öffnete Bruder Marianus die Klosterpforte für all die Freunde und Wohltäter des Konvents, für die frommen Besucher und die Armen, für die Durchreisenden ebenso wie für die täglichen „Gäste“, die wussten, dass sie im Kloster stets einen Teller warmer Suppe vorfinden würden. Für alle hatte er ein Lächeln, das er immer mit dem franziskanischen Gruß begleitete: „Friede und Freude!“, im Gedenken an die Worte des Evangeliums: „.. Das habt ihr mir getan!“ (Mt 25,40) Aus diesem Glauben heraus kniete er sich nieder, um ihnen die Füße zu küssen. Er unterwies sie, indem er ihnen die Grundwahrheiten des Glaubens in Erinnerung rief, und gemeinsam mit ihnen betete er drei „Ave Maria“. Dann sorgte er für das leibliche Wohl. Er wusch ihnen die Füße, zündete, wenn es kalt war, das Kaminfeuer an und verteilte die Suppe. Während er die Schalen füllte und den Armen reichte, kamen aus seinem Munde Worte der Ermunterung, Ratschläge und, falls nötig, auch so manche Ermahnung.

So kam es, dass es Bruder Marianus mit seiner Sorge um die leiblichen Bedürfnisse gelang, auch zu den Seelen vorzudringen: mit dem materiellen Brot spendete er den Seelen Licht und so vielen Herzen Trost, die durch Armut, Kriege und Seuchen zur Verzweiflung getrieben wurden. Eine zermürbende Arbeit, denn der Pförtner konnte sich nicht auf das Öffnen der Pforte, das Brechen des Brotes und das Ausgeben der Suppe beschränken, sondern musste auch darauf achten, dass alles da war, was er für seine Arbeit brauchte – angefangen von den ersten Morgenstunden, wenn er in die Vorratskammer hinunterging, um für den Bruder in der Küche die nötigen Lebensmittel zu holen, und ihm dann dabei half, diese rechtzeitig für die Ausspeisung zuzubereiten. Zu bestimmten Zeiten kamen bis zu 200 Arme an die Klosterpforte. Von daher kann man sich eine Vorstellung von der Arbeit machen, die Marianus auferlegt war. Und dennoch: nie eine Klage oder ein Zeichen von Müdigkeit! Stets fröhlich, liebenswürdig und ein Lächeln auf den Lippen.

Bei der Verrichtung seines Liebesdienstes für die Armen erntete Bruder Marianus nicht immer den gebührenden Dank; es gab auch welche, die in die Hand, die sie segnete, als Antwort Dornen legten. So manches musste er bei der Ausübung seines Dienstes als Pförtner über sich ergehen lassen. Auch von Schmähungen und Drohungen blieb er nicht verschont. Doch als getreuer Diener des hl. Franz von Assisi verstand er es, Menschen zu besänftigen, die Drohungen und Gewalt gewohnt waren.

Die Quelle seiner großen Hingabe war sicher das Gebet: „… er sammelte sich in einem Winkel (der Kirche) und da seine Gestalt ziemlich gebeugt war, konnte man, wenn er kniete, gar nicht erkennen, dass da ein Mensch war; wegen der über das Haupt gezogenen Kapuze sah er eher aus wie ein Haufen aus Lumpen.“ So wird er von einem Zeitgenossen beschrieben. Doch wie viele Gebete stiegen von diesem „Lumpenhaufen“ zum Himmel auf! Er liebte es, die außerhalb der Arbeit verbliebene Zeit bei der eucharistischen Anbetung zu verbringen und nahm mit großer Aufmerksamkeit an den eucharistischen Feiern teil. Wer Bruder Marianus je im Gebet vor dem Allerheiligsten erlebte, nahm einen unauslöschlichen Eindruck mit.
Marianus hatte den Beruf des Tischlers erlernt und erstellte in seiner Freizeit die wenigen und einfachen Möbel, mit denen die Zellen der Mitbrüder ausgestattet waren. So zimmerte er aus zwei kleinen Balken jenes Kreuz, das man noch heute im Konvent von Bellegra sehen kann. Mit diesem Kreuz auf den Schultern ging er die vierzehn Stationen des Kreuzwegs, der außerhalb des Konvents errichtet worden war. Sein eigentliches Kreuz war jedoch der Gedanke an die vielen Sünder unter seinen Mitmenschen, denen er das Tor zum Kloster geöffnet hatte und für die er Fürbitte bei Gott dem Vater einlegte, der liebt und verzeiht.

Bruder Marianus folgte in allem den Spuren seines großen Mitbruders, des hl. Franziskus, der sagte: „Und ich arbeitete mit meinen Händen und will arbeiten; und es ist mein fester Wille, dass alle anderen Brüder eine Handarbeit verrichten, die ehrbar ist. Die es nicht können, sollen es lernen, nicht aus Sucht, den Arbeitslohn zu empfangen, sondern des Beispiels wegen und um den Müßiggang zu vertreiben“ (Testament des hl. Franziskus 10-21; FF 119).

„Hüten sollen sich die Brüder, wo auch immer sie in Einsiedeleien oder an anderen Orten sind, dass sie einen Ort sich aneignen und einem anderen streitig machen. Und mag zu ihnen kommen, wer da will, Freund oder Feind, Dieb oder Räuber, so soll er gütig aufgenommen werden. Und wo immer die Brüder auch sind und an welchem Orte sie sich treffen, müssen sie sich geistlich und aufmerksam wiedersehen und ,einander ohne Murren‘ ehren. Und sie mögen sich hüten, sich nach außen hin traurig und wie düstere Heuchler zu zeigen; sie sollen sich vielmehr als solche zeigen, ,die sich im Herrn freuen‘ und heiter und liebenswürdig sind, wie es sich geziemt“ (NbReg, FF 24-27).

So liebte es Marianus, mehrere Stunden am Tag und in der Nacht in der kleinen Kirche des Klosters im Gebet zu verbringen. Und da er so viele Stunden kniend verharrte, bildeten sich mit der Zeit an den Knien zwei Wunden, die sich schließlich öffneten und bluteten. Bevor er starb, übergab er die Schlüssel der Pforte dem Seligen Diego Oddi. Am Abend des 23. Mai 1866 fanden ihn die Mitbrüder bewusstlos vor dem Altar des Allerheiligsten. Sie brachten ihn zu Bett und holten den Arzt, der erste Hilfe leistete. Doch ließen sein Alter, die Schwäche und eine Magenentzündung, die ihn seit geraumer Zeit quälte, der Hoffnung keinen Platz mehr. Der Arzt sagte dies klar und deutlich.

Obwohl Marianus sein unmittelbares Ende nahen fühlte, blieb er ruhig und gelassen, als ob ihn das Sterben nicht berühre. Eine Woche verging. Donnerstag, der 31. Mai 1866, war sein letzter Tag in dieser Welt. „Wohlan! Edler und treuer Knecht, gehe ein in die Freude deines Herrn!“ Nach seinem Tod konnten alle sehen, dass sich aufgrund seines stundenlangen Kniens zwei Schwielen gebildet hatten.
Seine sterblichen Überreste ruhen in der Kirche des Klosters zum hl. Franziskus, via San Francesco, Bellegra (Rom).

Am 3. Oktober 1999 wurde Marianus von Roccacasale von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1996 – 2000. Innsbruck: Resch, 2010 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 4). XIII, 376 S., 86 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-088-9, Ln, EUR 39.90 [D], 40.98 [A]

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