Andreas Resch: Maria von Jesus dem Guten Hirten, Franziska Siedliska


MARIA VON JESUS
DEM GUTEN HIRTEN
(Franziska Siedliska)
(1842-1902)

GRÜNDERIN
DER SCHWESTERN DER
HEILIGEN FAMIILIE VON NAZARETH

Selig: 23. April 1989
Fest: 21. November

MARIA VON JESUS DEM GUTEN HIRTEN, mit bürgerlichem Namen Franziska Siedliska, wurde am 12. November 1842 als Tochter der Eheleute Adolf Adam Siedliski und Cäcilia de Morawska, Tochter des Finanzministers Josef Morawski, auf dem Schloss von Roszkowa Wola bei Warschau geboren – in einer Region Polens, die dem Protektorat des russischen Zaren unterstand und 1863 in dessen Reich eingegliedert wurde. Bei der Taufe am 20. November 1842 erhielt sie die Namen Franziska Josefina Anna. Sie war die Erstgeborene und der Vater ließ ihr seine ganze Liebe und Fürsorge zuteil werden, obwohl es dann und wann auch zu Meinungsverschiedenheiten kam. „Einer meiner Mängel war, meinen Willen um jeden Preis durchsetzen zu wollen – so wie mein Vater“, bemerkte sie in ihrer Autobiografie, die sie im Auftrag ihres Spirituals, P. Anton Lechert, schrieb. „Wir mochten uns sehr; wenn aber unsere persönlichen Meinungen bzw. unterschiedlichen Ansichten aufeinander prallten, kam es immer zu einem heftigen Streit, der nur schwer beizulegen war.“

Diese unterschiedlichen Auffassungen gründeten auf verschiedenen Lebensansichten. Die Eltern waren von einer antireligiösen oder zumindest gleichgültigen Haltung gegenüber den vor allem von der Philosophie der damaligen Zeit vertretenen religiösen Praktiken geprägt. Franziska hingegen verspürte ein „unendliches Bedürfnis, eine alles verzehrende Sehnsucht“, ohne den Grund dafür zu kennen. Für den Vater zählte der Besitz; ihm war es ein Bedürfnis, Hochzeitsvorbereitungen zu treffen, den Kindern eine reiche Mitgift zukommen zu lassen und ihnen eine besondere Ausbildung zu vermitteln. Für Franziska wurde eine sehr gebildete und fähige Lehrerin ausgesucht. Sie war es auch, die mit ihr zum ersten Mal über Gott sprach und sie beten lehrte. Als sie unvermittelt starb, verlor Franziska ihre spirituelle Stütze. Danach kam eine Deutsche ins Haus, eine Nicht-Katholikin, die aber nicht lange blieb, weil Franziska sich beklagte, ihren Unterricht nicht mehr ertragen zu können, und damit ihre Entlassung erreichte. Eine dritte Lehrerin wurde eingestellt. Deren Unterrichtsmethode, die durchweg auf philosophischen Prinzipien aufbaute, war so effizient, dass sich Franziska bei ihrem Ordenseintritt mit der Summa des Thomas von Aquin auseinander zu setzen begann. Sie hatte auch eine Vorliebe für Musik, und so beeilte sich ihr Vater, ihr eine entsprechende Lehrmeisterin zu besorgen. Adolf Siedliski tat alles für seine Tochter, den Weg zu Gott aber zeigte er ihr nicht.

Einmal weilte Franziska den Sommer über in Zadzary und fand dort in ihrem Zimmer ein Bildnis der Madonna von Czestochowa vor. Eines Tages erkrankte ihre Mutter, die sich ebenfalls in Zadzary aufhielt, so schwer, dass man um ihr Leben bangen musste. Schmerzerfüllt warf sich Franziska vor dem Bildnis der Madonna nieder und betete: „Hl. Jungfrau Maria, behüte meine Mutter!“ Und sie fügte hinzu: „Sei Du mir Mutter!“ Franziskas Mutter wurde daraufhin gesund und Franziska selbst hatte das Gefühl, damit eine zweite Mutter gewonnen zu haben.

Ende 1854 wurde die Mutter erneut krank. Franziska, die mit ihr beim Großvater in Warschau weilte, traf dort den Kapuziner Leander Lendzian aus Litauen. Dieser fragte sie äußerst wohlwollend: „Möchtest du, dass ich dich die Liebe zu Christus lehre?“ Bei diesen Worten begriff Franziska plötzlich das eigentliche Wesen der Angst, die sie seit langem quälte, und sie bezeichnete diese Erfahrung als den „Augenblick ihrer Bekehrung“. „Wie eine Heidin ging ich zu dem Pater, gottlos und ohne Liebe; mit Liebe im Herzen kehrte ich zurück. Ich widmete mich dem Gebet, der Meditation. Um alles und jedes wandte ich mich an Jesus, den ich bis dahin nicht gekannt hatte, an meinen Herrn und Erlöser, der mich so sehr liebte.“

1860 hielt sich Franziska mit ihrer Familie abwechselnd in Tirol, in der Schweiz, in Deutschland und in Frankreich auf. Aber schon bald gab ihr Gesundheitszustand Anlass zur Besorgnis; man befürchtete eine heraufkommende Tuberkulose. Im Herbst begleitete ihre Mutter sie nach Meran, dann in die Schweiz und schließlich nach Cannes, wohin sich 1863 auf der Flucht vor dem polnischen Aufstand auch ihr Vater absetzte. 1864 fand sich die gesamte Familie in Hyeres vereint, wo es die Vorsehung wollte, dass Adolf Siedliski sich dank der Initiative des Resurrektionistenpaters Hube bekehrte. Für Franziska begann eine Zeit tiefen häuslichen Friedens, der auch nach der Rückkehr nach Polen 1865 bis zum Tod des Vaters am 18. April 1870 andauerte. Danach widmete sie sich dem Gebet und Werken der Nächstenliebe, ohne dabei jedoch den ersehnten inneren Frieden zu finden. „Ich hatte den brennenden Wunsch, ganz Jesus zu gehören. Pater Leander riet mir, noch zu warten.“

Franziska gehorchte, doch wirkten sich Ungewissheit und Zweifel auf ihre Physis aus, sodass sie 1872 sogar gezwungen war, das Bett zu hüten. Wie sollte sie in einem solchen Zustand auch nur daran denken können, in ein Kloster einzutreten? Zur Fastenzeit 1873 fragte P. Leander Franziska, ob sie Ordensfrau werden wolle. Nachdem sie diese Frage bejaht hatte, teilte er ihr ein paar Tage später, am 12. April 1873, mit, dass Gott sie zur Gründung einer neuen Ordensgemeinschaft ausersehen habe. Das hatte sie sich nun wirklich nicht erwartet. So schreibt sie: „Von schrecklichen Ängsten und Unsicherheit geplagt, nahm ich das Kreuz in meine Hände und flehte um Hilfe, Seinen Willen erfüllen zu können. Nach intensivem Gebet fühlte ich mich plötzlich innerlich erleuchtet und von einer unbändigen Kraft getragen. Mein Herr und Erlöser stützte mich und erfüllte mich mit Seiner Gnade. Kraft der göttlichen Hilfe, wollte ich alles tun, was Er von mir verlangte.“

Also unternahm Franziska einen ersten Gründungsversuch in Lublin, wo sich bereits eine kleine Gruppe von Terziarinnen versammelt hatte. Aufgrund des Widerstandes der russischen Regierung riet ihr Spiritual davon ab. Franziska besaß damals die Kühnheit, nach Rom zu reisen, um den Plan für die Neugründung – eine Mischung aus kontemplativem und aktivem Leben – Papst Pius IX. zu unterbreiten.

Am 1. Oktober 1873 wurde sie vom Hl. Vater empfangen, der ihr Vorhaben guthieß. Wieder nach Polen zurückgekehrt, um die materielle Seite zu regeln, fragte sie sich, wo sie mit der Gründung beginnen sollte. In Polen war es aufgrund der russischen Besatzung nicht möglich. Es blieben Frankreich und Italien. Franziska reiste nach Frankreich. Nachdem sie beim Heiligtum in Lourdes gebetet hatte, beschloss sie, ihr Nazareth in Rom zu errichten. 1874 ging sie nach Rom, wo sie den Ordensgeneral der Resurrektionisten, P. Semenko, als geistlichen Führer gewann. Seiner Empfehlung entsprechend erwarb sie ein kleines Haus in der Via Merulana. Das asketische Ideal der Gründung – Nachahmung des stillen Lebens und der Tugenden der hl. Familie – reifte 1875 in Loreto. Die Gründung des neuen Instituts erfolgte am ersten Adventsonntag des Jahres 1875 gemeinsam mit den Gefährtinnen, die sie aus Polen mitgebracht hatte. Die Gemeinschaft wählte den Namen Hl. Familie von Nazareth (Abb. ). Franziska legte zusammen mit den Gefährtinnen der ersten Stunde die privaten Gelübde ab.

In den folgenden drei Jahren erhielt die erste Nazareth-Gründung nach und nach eine solide Basis, auch wenn das Domizil häufig gewechselt werden musste. Mittlerweile florierte das Institut durch den Zuzug aus Polen, wo Franziska 1880 in Krakau ein Haus für neue Berufungen eröffnet hatte. Am 1. Mai 1884 legten die Gründerin und die ihr von Anfang an zur Seite stehenden Schwestern die Ordensprofess ab. Franziska nahm bei dieser Gelegenheit den Namen Sr. Maria von Jesus dem Guten Hirten an.

Sr. Maria beeilte sich, dafür zu sorgen, dass das Bestehen des Instituts auch den nach den USA emigrierten polnischen Familien zugute kam. In den Jahren 1885 bis 1889 bereiste sie Amerika, und die Kongregation fand überall rasche Verbreitung. Nach wiederholten Anstrengungen und vielen Schwierigkeiten eröffnete Mutter Maria 1891 ein Haus in Paris und 1895 eines in London. Ihre Botschaft war die Liebe: die Liebe Gottes, die sich in der Liebe zum Nächsten manifestiert. Persönlich lagen ihr besonders die kranken Mitschwestern am Herzen. Sie pflegte sie, diente ihnen, und in den schlimmsten Fällen wachte sie an ihrer Seite. Um die Schwestern zu trösten und sie dazu anzuhalten, dem gewählten Lebensideal zu entsprechen, unternahm sie Reisen nach Polen, Frankreich und England.

Am 1. September 1896 wurden die offiziell bereits 1887 mit dem Decretum laudis komplettierten Konstitutionen des Instituts approbiert.

Die gewaltigen Anstrengungen begannen Sr. Marias Kräfte zunehmend zu erschöpfen. Am 21. November 1902 starb sie im Alter von 60 Jahren in Rom. Ihren Mitschwestern hinterließ sie als Vermächtnis einen dreifachen Appell zur „Nächstenliebe“.

Ihr Grab befindet sich in der Kapelle des Generalatshauses der Schwestern der hl. Familie von Nazareth, Via Nazareth, 400, Rom, Italien.

Am 23. April 1989 wurde Maria von Jesus dem Guten Hirten von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1986 – 1990. Innsbruck: Resch, 2005 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 2). XIII, 298 S., 69 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-076-X, Ln, EUR 25.70 [D], 26.52 [A]

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