Andreas Resch: Maria von der Inkarnation Guyart

MARIA VON DER INKARNATION GUYART
(1599-1672)

GRÜNDERIN
DER URSULINEN
VON KANADA

Selig: 22. Juni 1980
Heilig: 3. April 2014
Fest: 30. April

MARIA VON DER INKARNATION GUYART wurde am 28. Oktober 1599 als Tochter des Bäckerehepaares Florence Guyart und Jeanne Michelet in ärmlichen Verhältnissen in Tours, Frankreich, geboren und am nächsten Tag auf den Namen Maria getauft. Im Kreis der Familie erhielt sie eine solide christliche Erziehung. Schon von Kindheit an hatte Maria mystische Erlebnisse und verspürte bereits mit 15, im Jahre 1614, die Berufung zum Ordensleben. Ihr Vater aber wollte sie verheiraten, und in Gehorsam beugte sich Maria dem elterlichen Entschluß.

Also ehelichte sie 1617 mit 18 Jahren Claude Martin, den Eigentümer einer kleinen Seidenfabrik. Aus dieser Verbindung ging am 2. April 1619 der kleine Claude hervor. Am 10. Oktober desselben Jahres aber starb Marias Mann und hinterließ ihr ein hochverschuldetes Unternehmen, das noch dazu in mehrere Prozesse verwickelt war. In den folgenden zehn Jahren widmete sich Maria der Erziehung des Sohnes und nahm mutig die Geschäfte in die Hand, die sie mit großem Verantwortungsbewußtsein leitete. Von ihrer Arbeit voll in Anspruch genommen, schlug sie eine zweite Ehe aus und führte statt dessen ein zunehmend beschauliches Leben, das sie unter den großen Mystikern der Kirche aufscheinen läßt. 1620 hatte sie eine „Blutvision“, die sie ihre Bekehrung nannte und der noch drei Trinitätsvisionen folgen sollten. 1621 legte sie das Gelübde der Keuschheit ab und folgte dann der Einladung ihres Schwagers, Paul Buisson, ihm bei seinen Geschäften zu helfen. Er war Chef eines Transportunternehmens und Maria sah im Haus nach dem Rechten, bis ihr im Jahre 1625 die Generalleitung der Firma übertragen wurde. Trotz der großen Verantwortung im schwierigen Umfeld eines Flußhafens der Loire, in dem den ganzen Tag über reges Treiben herrschte, unterhielt Maria gleichzeitig eine enge Beziehung zu Gott, wobei es ihr gelang, aktives Leben und Beschaulichkeit harmonisch zu vereinen.

Um 1624/25 legte sie auch die Gelübde der Armut und des Gehorsams ab. Zu Pfingsten 1625 hatte sie die erste Trinitätsvision, gefolgt von einem vertieften Erfassen des Mysteriums des fleischgewordenen Wortes und einer Schauung des Gottessohnes. Bei diesen Visionen erlebte sie sich als außerhalb der Zeit stehend. Zwei Jahre später, zu Pfingsten 1627, befand sie sich neuerlich in Ekstase und glaubte sich in ein Meer von Liebe getaucht: „Selbstverloren nahm ich mich nicht mehr wahr, ich war ein Teil von Ihm geworden.“

Damals keimte der Wunsch, sich gänzlich Gott zu weihen, immer stärker in ihr auf. Spirituell geleitet von dem Feuillanten Raimund vom hl. Bernhard, reifte ihre religiöse Berufung. Die Wahl fiel ihr nicht leicht. Nachdem sie zwischen Karmel und Reformierten Zisterzienserinnen geschwankt war, trat sie am 21. Januar 1631 schließlich bei den Ursulinen von Tours ein, „deren Aufgabe es war, Seelen zu retten“. Ihr Sohn, den sie — um der Weisung Gottes folgen zu können — ihrer Schwester anvertraute, begleitete sie bis an die Klosterpforte,wenngleich der Entschluß der Mutter für ihn einen überaus großen Verzicht bedeutete und er sich zu widersetzen suchte. Als er dann später bei den Benediktinern eintrat und die Biografie seiner Mutter verfasste, wurde bekannt, dass diese bereits bei ihrer Hochzeit gesagt hatte: „Wenn Gott mir die Gnade schenkt, einen Sohn zu empfangen, verspreche ich, Ihm diesen zu weihen; und wenn Er mir dann meine Freiheit wiedergibt, verspreche ich, dass auch ich mich Ihm weihen werde.“

Im Mai 1631 hatte Maria die dritte Trinitätsvision, wobei sie sich in Einheit mit der Dreifaltigkeit erlebte. Am Höhepunkt der Vereinigung hatte sie „das Empfinden, als Nichts im Ganzen zu versinken“. Von Gott fühlte sie sich mit Dunkelheit und mystischer Trockenheit umgeben, um so — mit Christus am Kreuz vereint — apostolisch reiche Frucht zu bringen. Inmitten all der Finsternis und der Versuchungen blieb sie dennoch stets mit Gott verbunden, wobei es ihr gegönnt war, die Heilige Schrift mit einer Klarheit zu durchschauen, die etwas Außergewöhnliches an sich hatte. Nach der Einkleidung am 25. März 1631 und nach Beendigung des Noviziats legte sie am 25. Januar 1633 das feierliche Gelübde ab.

Schon bald wurde Maria zur Novizenmeisterin ernannt. Sie fühlte sich aber dazu berufen, Seelen zu retten. Es war gerade die Zeit der katholischen Erneuerung. 1622 hatte Papst Gregor XV. zur Unterstützung der in ferne Lande reisenden Missionare die Kongregation Propaganda Fide errichtet. Unter diesen Gegebenheiten gelangte die missionarische Berufung Marias zu immer größerer Reife: „Mit meinem Körper war ich zwar im Kloster, mein Geist aber ließ sich nicht in Schranken weisen. Er führte mich nach Indien, Japan, Amerika, in den Osten und den Westen, in Teile Kanadas, zu den Huronen.“ Über den Schriftwechsel mit Jesuiten-Missionaren in Kanada kam sie 1639 mit Mme. de la Peltrie, einer Witwe aus Alencon, in Kontakt, die in Quebec ein Kloster zur Erziehung der Indianerkinder zu gründen gedachte. Bei der ersten Begegnung erkannte Maria in ihr jene Person wieder, die ihr im Traum erschienen war, und ein paar Tage später, am 22. Februar 1639, verließ sie Tours mit der jungen Maria vom hl. Joseph in Richtung Paris, wo sie zwei Monate blieb, um die für die Klostergründung notwendigen Maßnahmen zu treffen. Ende April reiste sie nach Dieppe, wo sie sich am 4. Mai gemeinsam mit drei Augustiner-Krankenschwestern an Bord der Saint Joseph nach der Neuen Welt einschiffte. Am 1. August 1639 schließlich erreichten sie Quebec.

In dieser Stadt ließ sich Maria nieder und gründete ein Kloster. Nachdem dieses bei einem Brand zerstört worden war, baute sie es noch größer wieder auf. Schon bald trafen weitere Ordensschwestern ein, weshalb sie zur Abfassung eigener Konstitutionen und Regeln gezwungen war, um die so unterschiedlichen Erfahrungen in Einklang zu bringen.

Ohne das Kloster je zu verlassen, eignete sich Maria die indianischen Dialekte der Algonkins, Irokesen und Huronen an, für die sie Katechismen, linguistische Traktate und Wörterbücher erstellte. Inzwischen kümmerte sie sich um die Verköstigung und Erziehung der Indianerkinder. Gleichzeitig begleitete sie mit ihrem Gebet die Missionare bei ihrem Apostolat, unterhielt eine umfangreiche Korrespondenz, um möglichst viel Interesse für die Evangelisierung der Neuen Welt zu wecken, und empfing und beriet all jene, die zur Pforte kamen.

Obwohl ihr aufgrund der drohenden Gefahren, für die das Martyrium der Jesuiten ein schlagender Beweis war, die Rückkehr nach Frankreich empfohlen wurde, gab Maria ihr „Zentrum“, wie sie Kanada zu nennen pflegte, nicht auf.

Auch taten all die äußerlichen Aktivitäten einem intensiven spirituellen und kontemplativen Leben keinerlei Abbruch. Ihr Sohn Claude, der das Trauma der Trennung mittlerweile überwunden hatte und bei den Benediktinern eingetreten war, bat sie, über ihre Innenschau einen Bericht zu verfassen. Die Beschreibung dieser inneren Zustände diente schließlich als Grundlage für die später von ihm erstellte Biografie. Aus ihr geht hervor, dass Maria in einer ständigen Verbindung mit Gott stand und besondere Botschaften erhielt. Schon mit sieben Jahren vernahm sie Seinen Ruf, erfuhr schließlich die echte Berufung zum Ordensleben und hatte, wie erwähnt, mehrere Visionen. Im Mai 1653 fühlte sie sich gedrängt, ihr Leben Gott zuliebe für Kanada in die Waagschale zu werfen. All diese Erfahrungen störten ihre Tätigkeit, die stets einfach und ausgewogen war, nicht im Geringsten.

1669 wurde sie aus gesundheitlichen Gründen ihrer Verantwortung als Oberin entbunden; ihr Gesundheitszustand nahm weiter ab. Bei ihrem Tod am 30. April 1672 in Quebec hinterließ sie eine Gemeinschaft von etwa 30 Schwestern, aus denen die Ursulinen Kanadas (Abb.) hervorgehen sollten.

Am 2. Mai wurden ihre sterblichen Überreste in der Krypta des Chors der ersten Klosterkirche beigesetzt und ruhen heute in der Grabkapelle der Maria von der Inkarnation im Oratorium neben der Kapelle der Ursulinen in der Rue Donnacona, 18, Quebec /Kanada.

Marias Gelehrtheit findet ihren Ausdruck in den Lettres, den Relations spirituelles und in einigen didaktischen Schriften wie L’exposition succincte sur le Cantique de Cantiques, L’école sainte, Costitutions e Regles de Ursulines de Quebec.

Für ihre Rolle als Meisterin des spirituellen Lebens und als Fördererin von Werken der Evangelisierung wurde ihr in der Geschichte Kanadas eine Wertschätzung zuteil, die sie als „Mutter“ der dortigen Katholischen Kirche erscheinen lässt. Sie war eine unbeirrbare, couragierte Frau, die vor Vitalität und Freude sprühte.

Am 22. Juni 1980 wurde Maria von der Inkarnation Guyart von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1979 – 1985. Innsbruck: Resch, 2000 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 1). XII, 248 S., 56 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-070-4, Ln, EUR 24.60 [D], 25.44 [A]

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