Andreas Resch: Maria Raphaela Cimatti


MARIA RAPHAELA CIMATTI
(Santina)
(1861-1945)

PROFESS-SCHWESTER
DER KONGREG. DER HOSPITALSCHWESTERN
DER BARMHERZIGKEIT

Selig: 12. Mai 1996
Fest: 23. Juni

MARIA RAPHAELA (Santina) CIMATTI wurde als erstes von sechs Kindern des Landarbeiters Giacomo Cimatti und der Weberin Rosa Pasi am 6. Juni 1861 in Celle di Faenza (RA), Italien, geboren. Bei der Taufe erhielt sie den Namen Santina Atonia Gaspara, wurde aber allgemein Santina gerufen. Drei Geschwister starben bereits im Kindesalter, während die anderen den Ordenstand wählten und ihr Leben im Ruf der Heiligkeit beendeten. Vincenzo und Luigi traten bei den Salesianern ein. Vincenzo wurde Apostolischer Delegierter in Japan, wo er die salesianischen Einrichtungen gründete, während Luigi sein Apostolat als Laienbruder in Peru ausübte.
Santina wuchs im Schoß der Familie auf und beschloss ihre Ausbildung mit der Grundschule, weil die finanziellen Verhältnisse den Besuch höherer Schulen nicht erlaubten. Mit sieben Jahren empfing sie das Sakrament der Firmung und unterwies ihre Geschwister und die Gleichaltrigen aus der Umgebung schon bald im Katechismus.

Am 14. April 1882 starb der Vater im Alter von 46 Jahren. Von da an verbrachte Santina ihre Zeit mehr denn je an der Seite ihrer Mutter, um ihr eine echte Stütze zu sein. Sie war damals 20 Jahre alt und schon eine selbstbewusste junge Frau, die aber nur von der Liebe zu Gott und ihrem Pflichtbewusstsein geprägt war. Obwohl sie sich zu einem gottgeweihten Leben hingezogen fühlte, wurde sie doch durch ihr Pflichtgefühl, in erster Linie eine gute Tochter zu sein, von allen Träumereien abgehalten. Einerseits sorgte sie aufopfernd für die Brüder, andererseits pflegte sie ihre Verbindung mit Gott sowohl durch den täglichen Besuch der hl. Messe als auch durch ihr leidenschaftliches Engagement für die Mädchen, wobei sie auf ihre Altersgenossinnen einen nachhaltigen religiösen Einfluss ausübte.

Inzwischen entschlossen sich die beiden Brüder, nach einer persönlichen Begegnung mit Don Bosco, in die damals aufstrebende Kongregation der Salesianer einzutreten, und so war die bereits betagte Mutter auf Santinas Hilfe angewiesen, die ihrerseits immer stärker den Ruf zum Ordensleben verspürte. Die ersten Keime zu dieser Berufung entfalteten sich während der Katechese des Pfarrers, der schon damals sagte: „Dein Herz gehört bereits Gott und das Seine dir. Es wird der Tag kommen, wo du dich, nachdem du die vorhandenen Probleme gemeistert hast, nur mehr ihm widmen kannst.“ Doch wie sollte sie sich dem Herrn weihen, wenn die Mutter ihre Hilfe so nötig brauchte? Also ging sie um einen Rat zu Don Romualdo Mazzotti. Sie sagte ihm, dass sie – obwohl ihr die Mutter schon oft nahegelegt habe, sich nicht um sie zu sorgen, weil ihr ohnehin die Vorsehung zu Hilfe kommen werde, wenn sie zu den Schwestern gehe – diesen von ihr so innig gewünschten Schritt doch nicht tun könne ohne die Sicherheit, dass sich jemand um die Mutter kümmerte und sie nicht allein zu Hause zurückblieb. Diese Person traf Santina in niemand Geringerem als in Don Romualdo, der sich anbot, die Mutter in sein Pfarrhaus aufzunehmen. So konnte Santina sicher sein, dass für sie gesorgt war.

Ihrer Pflichten entbunden, konnte sie nun frei ihren Weg gehen. Am 4. November 1889 trat sie bei den Hospitalschwestern von der Barmherzigkeit ein, deren Mutterhaus sich damals im Spital „San Giovanni“ (früher „ad Sancta Sanctorum“ genannt) in Rom befand. Die offizielle Aufnahme von Santina Cimatti wurde für den folgenden 20. November angesetzt. Jedem Neuankömmling wurde sofort eine Aufgabe in einem bestimmten Spitalsbereich übertragen. Das Leben dort, im Kontakt mit Personen jeden Alters, physisch wie psychisch Leidenden, gab ihr die Möglichkeit, ihren ganzen Edelmut zu beweisen, dessen sie fähig war. Nach Beendigung des Probejahres wurde Santina am 8. Dezember 1890 unter dem Namen Schwester Maria Raphaela, der für sie ein Leben lang Programm war, zur Einkleidung zugelassen. Sie selbst bestätigte dies, als sie eines Tages eingeladen wurde, sich etwas zu entspannen: „Es liegt an meinem Namen, der – wie in der Bibel steht – ein Synonym ist für einen aufmerksamen Begleiter und eine göttliche Medizin. Ich würde meinem Beschützer, dem hl. Raphael, einen schlechten Dienst erweisen, wenn ich mich nicht mit meiner ganzen Kraft für die Kranken einsetzen würde!“
Die Novizinnen von damals standen von der ersten Stunde an im Dienst der Kranken und so waren sie Sr. Maria Raphaela schon bald ans Herz gewachsen. Im Folgenden eine kurze Beschreibung, um eine Ahnung davon zu vermitteln, wie ausgefüllt der Tag war:

„Das Gemeinschaftsleben begann um 5.00 Uhr früh mit der Meditation und dem kleinen Stundengebet der Seligsten Jungfrau. Es folgten die hl. Messe, dann das Frühstück und gleich darauf das Austeilen des Frühstücks an die Kranken. Im Anschluss daran wurden jene gespeist, die sich nicht selbst bedienen konnten. Daraufhin wurden die Krankenzimmer gereinigt und die Betten gemacht. Im Verlauf von 24 Stunden gab es viermal eine Visite, d. h., man rotierte alle sechs Stunden, und zum gegebenen Zeitpunkt musste jeweils alles bereit sein. Zu erledigen war alles, was die Kranken benötigten: von der individuellen Körperpflege über die Medikation bis zur seelischen Betreuung der Sterbenden und zum Katechismusunterricht für jene, die diesen für den Sakramentenempfang brauchten, u. a. m. Wenn die Novizinnen nicht zum Turnus eingeteilt waren, erhielten sie ihre Anweisungen von der Novizenmeisterin, was meistens nach dem Abendessen erfolgte. Auf diese Weise sollten ihrem jugendlichen Geist die Liebe zum Gebet, zum Stillschweigen, zur Observanz der Regel, vor allem zum Gelübde der Gastfreundschaft, und die anderen drei Gelübde eingeprägt werden.“

Nach dem Noviziat legte Sr. Maria Raphaela die erste Ordensprofess und die drei Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams sowie der Gastfreundschaft ab. Letzteres ist ein Wesensmerkmal der Kongregation. Nach kurzer Tätigkeit im Spital S. Giovanni wurde sie als Apothekenhelferin nach Alatri und anschließend nach Frosinone versetzt. Solche Versetzungen kamen öfters vor, weil verschiedene Schwestern je nach Bedarf in der Apotheke der beiden Spitäler eingesetzt wurden. Die 1909 mit dem Spital von Alatri geschlossenen Verträge legten fest, dass für die Pharmazie jeweils zwei Schwestern zuständig waren.

Maria Raphaela erfüllte ihr Pensum in Einheit mit Gott: „Um ganz mit dem Herrn verbunden zu sein, war ihr jede Gelegenheit recht.“ Ihr Arbeitstag war außergewöhnlich, wie eine Mitschwester berichtet: „Um 3.30 Uhr stand sie auf und ging in die Küche hinunter, um Feuer zu machen. Dann ging sie in die Kapelle, um alles für die hl. Messe vorzubereiten, wenn sie es am Vorabend nicht mehr geschafft hatte. Nach der Messe frühstückte sie, reinigte das Refektorium und machte ihre Runden, um in der Apotheke oder im Krankensaal den Mitschwestern zu helfen. Dann kehrte sie in die Küche zurück, um alles für das Mittagessen vorzubereiten. Für die kranken Schwestern hat sie sich regelrecht aufgeopfert, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Das Schlafen war bei ihr auf das Notwendigste reduziert und am Nachmittag hat sie die Turnusschwestern vertreten, damit diese sich ausruhen konnten.“

1905 legte Maria Raphaela die ewige Profess ab. Begeistert von ihrer Berufung und ihrer Arbeit, machte sie von sich selbst keinerlei Aufhebens, sondern lebte voll und ganz für den Nächsten – auch um dem missionarischen Geist ihrer beiden Brüder nachzueifern. So bot sie sich als Sühneopfer für die Belange ihrer Missionen an und sammelte Almosen für deren Taufen.
1921 wurde Sr. Maria Raphaela zur Oberin des Hauses von Frosinone ernannt und 1928 zur Oberin des Spitals S. Benedetto von Alatri gewählt. Als Superiorin war sie „Mutter, Schwester, Freundin und Beraterin zugleich, immer zur Stelle und einsatzbereit: ein Beispiel an Tugend.“ Sie stellte auch unter Beweis, dass ein Spital nicht nur ein Ort ist, an dem gelitten und gestorben wird, sondern auch eine Umgebung, in der man seine Tugenden zur Höchstform bringen kann. Sie hatte begriffen, dass „das Spital für die Krankenschwestern des Ordens ein Schlachtfeld ist, auf dem man mit großer Liebe zu kämpfen imstande sein muss“.
1938 erhielt sie Besuch von ihrem Bruder Don Vincenzo, der als Missionar in Japan arbeitete. Ihr zweiter Bruder, Alois, war schon am 13. Dezember 1927 gestorben.

1940 legte Maria Raphaela das Amt der Oberin zurück, um als einfache Schwester der Gemeinschaft von Alatri im Dienst ihrer Gemeinschaft und der Kranken zu stehen. Als sie 1941 über die Stufen des Refektoriums fiel, begann sich ihre Situation zunehmend zu verschlechtern. Damals war gerade der Zweite Weltkrieg voll im Gang. 1944 zwangen die Alliierten die Deutschen zum Rückzug. Trotz ihrer 83 Jahre kümmerte sich Sr. Maria Raphaela hingebungsvoll um die Verwundeten, von denen sie „Mama“ gerufen wurde.

Als ihr zu Ohren kam, dass die Bombardierung von Alatri bevorstand, nahm sie all ihre Kraft zusammen und intervenierte bei den deutschen Truppen, wo sie bei General Kesserling eine Änderung des strategischen Planes erreichte: Alatri war gerettet. „Ein Wunder ist geschehen!“, rief man im Chor. „Ein Engel hat die Stadt gerettet!“

Am 23. Juni 1945 beendete Sr. Raphaela Cimatti, von allen als die Heilige von Alatri verehrt, ihr irdisches Leben. Ihre sterblichen Überreste ruhen in der Kirche S. Benedetto neben dem alten Spital in Alatri-Frosinone, Italien.

Am 12. Mai 1996 wurde Maria Raphaela Cimatti von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1996 – 2000. Innsbruck: Resch, 2010 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 4). XIII, 376 S., 86 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-088-9, Ln, EUR 39.90 [D], 40.98 [A]

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