Andreas Resch: Maria Leonia Paradis, Alodia Virginia

MARIA LEONIA PARADIS
(1840-1912)

GRÜNDERIN
DES INSTITUTS DER KLEINEN SCHWESTERN DER HEILIGEN FAMILIE

Selig: 11. September 1984
Fest: 3. Mai

MARIA LEONIA PARADIS wurde am 12. Mai 1840 als Tochter von Josef und Emilie Gregoire in Acadia, damals eine Ortschaft in der Diözese von Montreal, heute in jener von Saint-Jean de Quaec in der Provinz QuAbec, Ka­nada, geboren. Unter ihren Vorfahren befinden sich viele Bischöfe, von denen einer — L. N. Bein (1840 — 1925) — sogar Kardinal-Erzbischof von Qu6bec wurde. Bei der Taufe erhielt sie die Namen Alodia Virginia.
Die ersten religiösen Grundkenntnisse bekam die kleine Alodia zu Hause vermittelt. Mit neun Jahren aber schickten sie ihre Eltern zu den Schwestern der Kongregation „de Notre Dame“ nach Laprairie. Nach Empfang des Sakra­ments der Firmung am 11. Juli 1849 und der Erstkommunion 1850 nahmen ihre Wertschätzung gegenüber dem Priestertum und die Liebe zu den Armen und Schwachen immer mehr zu, so dass diese Themen zum Mittelpunkt ihres Lebens wurden.

Da sie immer stärker den Wunsch zum Ordensleben verspürte, ermutigte sie P. Camillus Lefebvre, in die Kongregation der Marianitinnen vom Hl. Kreuz einzutreten, die sich vor kurzem für den Dienst in den Häusern der Priester vom Hl. Kreuz und für die Jugendarbeit gebildet hatte. Die Aufnahme als Pos­tulantin erfolgte am 21. Februar 1854 in St-Laurent. Am 19. Februar 1855 be­gann sie unter dem Namen Sr. Maria von der hl. Leonia das Noviziat, und am 22. August 1857 legte sie trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit die Profess ab. Sie war damals 17 Jahre alt.

Ihre Oberen bestimmten sie aufgrund ihrer außergewöhnlichen Begabung für die Erziehungsarbeit in verschiedenen Häusern Kanadas. 1862 schickte man sie in die Vereinigten Staaten, wo sie in dem vor einiger Zeit eröffneten Waisenhaus St. Vinzenz in New York unterrichten sollte. Dort blieb sie bis 1870.

Nachdem sie Zeugin der leidvollen Ereignisse bei den Marianitinnen vom Hl. Kreuz geworden war, welche 1869 zur Abspaltung der amerikanischen Schwestern vom französischen Mutterhaus führten, die sich unter der Be­zeichnung „Schwestern vom Hl. Kreuz“ als autonomes Institut etablierten, ent­schied sich Maria Leonia 1870 für diese und zog in das Haus von Notre-Dame in Indiana, das den häuslichen Dienst bei den Priestern vom Hl. Kreuz zum Teil beibehalten hatte. 1874 folgte sie der Einladung von P. Camillus Lefebvre und reiste gemeinsam mit einer Mitschwester aus den Vereinigten Staaten nach Kanada, wo sie sich in Memramcook in der Provinz Brunswick um die re­ligiöse Erziehung jener jungen Mädchen kümmern wollte, die P. Lefebvre für verschiedene Dienste in dem von ihm 1864 gegründeten St.-Josephs-Kolleg an­geworben hatte. Diese Frauen bildeten später den Grundstock einer ihrer eige­nen Gründungen.

Während die Selige sich nun mit vollem Eifer engagierte, gab S. Exz. Mgr. Fabre, Bischof von Montreal, die Anregung, doch eine kleine Gemeinschaftzum Dienst in seinen Kollegien zu gründen. Und so formierte sich am 26. Au­gust 1877 eine erste religiöse Gruppierung, bestehend aus 14 Schwestern, die im Rahmen einer kleinen Feier unter Vorsitz des Provinzials der Kongregation vom Hl. Kreuz in Kanada, P. Camillus Lefebvre, eingekleidet wurden. Dieser informierte seinen Generaloberen, P. Sorin, der die Erstellung der offiziellen Gründungsurkunde der neuen Gemeinschaft, die sich Kleine Schwestern der hl. Familie (Abb.) nannte und von der Kongregation der Schwestern vom Hl. Kreuz unabhängig war, in Auftrag gab und dann am 31. Mai 1880 in Memramcook unterzeichnete. Es ist dies das Gründungsdatum des neuen Instituts unter der Leitung von Sr. Maria Leonia, das den besonderen Zweck hatte, sich um die häuslichen Belange in den religiösen Kommunitäten, Seminaren und Kollegien zu kümmern.

Doch trotz der rasanten Weiterentwicklung des Instituts verweigerte der Bi­schof von St. Jean die kanonische Approbation, und so war die Selige gezwun­gen, mit den anderen Schwestern 1895 nach Sherbrook in die Provinz QuAbec zu übersiedeln, wo sie vom dortigen Bischof, Mgr. Paul La Rocque, mit großem Wohlwollen aufgenommen wurde und für sich und ihre Schwestern auch ein Haus zur Verfügung gestellt bekam. Am 26. Januar 1896 erteilte er die erfor­derliche kanonische Approbation, was konsequenterweise umgehend zu einem Zuwachs an Berufen und zur Öffnung von Klöstern für Schwestern führte, die sich in den Dienst der Priester und Seminare Kanadas stellen wollten.
Sr. Maria Leonia blieb, wenngleich die Gründerin, auch nach der Übersied­lung in die neue Niederlassung und der Überwindung zahlreicher Schwierig­keiten eine einfache Schwester vom Hl. Kreuz. Zur Freude von Bischof La Roc­que und ihrer geliebten Mitschwestern nahm sie dann am 2. Oktober 1904 doch das Ordenskleid der von ihr gegründeten Gemeinschaft.

Am 10. Mai 1905 entband sie Papst Pius X. auf Ersuchen des Bischofs von Sherbrook von all ihren früheren Verpflichtungen den Schwestern vom Hl. Kreuz gegenüber und erlaubte ihr das Tragen ihres eigenen Ordensgewandes.

Als gläubige Frau war Sr. Maria Leonia nur um eines besorgt: Gottes Plan in ihrem Leben zu erkennen und ihm mit Freude und Beharrlichkeit treu zu blei­ben, weshalb sie vornehmere Aufgaben, wie etwa das Unterrichten, ohne Zögern ablehnte und sich für die Erfordernisse ihrer Berufung entschied: dem Ewigen Hohepriester zu dienen, mit dem Klerus zusammenzuarbeiten und ihn von allzu zeitlichen Sorgen zu befreien. So schrieb sie an ihre Schwestern: „Unsere Aufgabe ist es, dem Priester materiell und spirituell zu helfen. Die Schwestern werden dem Priester des jeweiligen Hauses, in dem sie arbeiten, große Achtung entgegenbringen und in ihm die Person Christi erblicken. Nie werden sie auf die Aufgaben der heiligen Frauen in der Bibel dem Herrn ge­genüber vergessen. Dieser Auftrag wird von ihnen, mit den Augen des Glau­bens betrachtet, als erhaben angesehen werden.“

In diesem Geist schuf Maria Leonia in den Pfarrhäusern und Seminaren je­ne familiäre Atmosphäre, die der Hl. Familie von Nazareth eigen war und die so viel zum spirituellen Auftrag der Priester und Seminaristen beigetragen hat — eine Atmosphäre, wie sie selbst sagte, „der Reinheit und des Friedens, der Ordnung und der gegenseitigen Rücksichtnahme“. Mutter Maria Leonia lebte ein Leben ganz im Dienst des Hohepriesters. Gott hatte ihr von frühester Kind­heit an die Größe des Priestertums eröffnet, woraus sich ihre Verehrung für die Diener der Eucharistie und der Wunsch ableiteten, sich deren Apostolat anzuschließen und dem Beispiel der heiligen Frauen aus der Bibel zu folgen.
Maria Leonia hatte keine spezielle Ausbildung genossen und doch lehrte sie, während sie sich einfach von der Verehrung der Eucharistie und der Lektüre des Evangeliums leiten ließ, viele junge Menschen lesen und schreiben und ebnete ihnen durch ihr religiöses Leben und ihren so erhabenen und zugleich niedrigen Dienst den Weg zu spirituellem Wachstum.

Dies war auch einer der Faktoren, der zu dem Film „Die Dienerinnen des guten Gottes“ inspirierte, welcher als Hommage an die Kleinen Schwestern der hl. Familie gedreht wurde.

Die letzten Lebensjahre von Maria Leonia waren von einem großen Auf­schwung ihres Instituts geprägt, was die Errichtung eines neuen Hauses für die Schwestern erforderlich machte, das am 21. Juli 1907, dem Tag, an dem Maria Leonia Paradis ihr goldenes Professjubiläum feierte, eingeweiht wurde.

Inzwischen machte sich bei ihr, deren Gesundheit nie die beste gewesen war, zunehmend ein bösartiges Krebsleiden bemerkbar, das ihren Körper stark in Mitleidenschaft zog. Sie aber, ohne sich etwas vorzumachen, ertrug alles zum Wohle ihres Instituts. Plötzlich verschlechterte sich ihr Gesundheits­zustand derart, dass man mit ihrem baldigen Ableben rechnete. Der Tod ereil­te sie am 3. Mai 1912 in Sherbrook im Alter von 72 Jahren, nachdem ihr noch rasch die Krankensalbung gespendet worden war.

Die Beerdigung war ein echter Triumphzug. Die sterblichen Überreste wur­den auf dem Pfarrfriedhof von S. Michael in Sherbrook beigesetzt und nach der Exhumierung am 4. Oktober 1935 in das Mutterhaus der Kleinen Schwes­tern der hl. Familie, 1820 rue Galt Ouest, Sherbrook (Quaec), JIK 1H9, Kana­da, überführt.

Beim Tod der Gründerin zählte das von ihr 32 Jahre lang geleitete Institut gut 600 Mitglieder. Heute erfüllen die Kleinen Schwestern der hl. Familie ihre Aufgaben in Zusammenarbeit mit dem Klerus nicht nur in Kanada, sondern auch in Italien, Honduras und in den Vereinigten Staaten.

Am 11. September 1984 wurde Maria Leonia Paradis von Papst Johannes Paul II. in Montreal, Kanada, seliggesprochen.


RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1979 – 1985. Innsbruck: Resch, 2000 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 1). XII, 248 S., 56 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-070-4, Ln, EUR 24.60 [D], 25.44 [A]

Bestellmöglichkeit: info@igw-resch-verlag.at