Andreas Resch: Maria Franziska von Jesus Rubatto


MARIA FRANZISKA

VON JESUS RUBATTO
(Anna Maria)
(1844-1904)

GRÜNDERIN
DER KAPUZINER-TERZIARINNEN
VON LOANO
heute:
KAPUZINERINNEN VON MUTTER RUBATTO

Heilig: 15. Mai 2022
Fest: 6. August

MARIA FRANZISKA VON JESUS RUBATTO wurde am 14. Februar 1844 als siebtes von acht Kindern des Giovanni Tommaso Rubatto und der Caterina Pavesio in Carmagnola (Turin) geboren und am gleichen Tag auf den Namen Anna Maria getauft. Am 26. November 1848, mit vier Jahren, verlor sie den Vater, womit sich schon früh eine schwere Trauer über sie legte, die sie jedoch nicht daran hinderte, ihre Kindheit und Jugend in den Dienst Gottes zu stellen. Ihrem geistlichen Begleiter schrieb sie, dass sie schon als Kind das Gelübde der Keuschheit abgelegt und sich so Gott geweiht habe. Dafür verzichtete sie sogar auf ein angenehmes Leben mit einem Notar aus Carmagnola, der sie sehr schätzte und jahrelang um sie warb. Ansonsten gibt es nur wenige Notizen über ihre Zeit in Carmagnola. Personen, die in ihrem Umfeld lebten, bescheinigen ihr eine große Zuneigung zu ihrer Mutter, von der sie eine tief christliche Erziehung erhielt. Die schulische Ausbildung beschränkte sich auf den Besuch der Grundschule, auch weil ihre schwache Konstitution kein weiterführendes Studium erlaubte.

Am 2. Juni 1863, als sie neunzehn war, starb die Mutter, woraufhin Anna Maria nach Turin zog. Der Grund für den Umzug in die piemontesische Hauptstadt war der Wunsch, ihre Schwester Magdalena zu besuchen, die mit ihrem Mann Giuseppe Tuninetti in Turin lebte. Doch fand Anna Maria dort nicht im Haus ihrer Schwester Aufnahme, sondern im herrschaftlichen Gebäude der Adeligen Marianna Scoffone, deren Wirtschafterin und Gesellschaftsdame die junge Frau aus Carmagnola wurde. Außerdem half sie ihr zwischen 1864 und 1882 bei der Verwaltung des riesigen Besitzes.

In jenen Jahren begab sich Anna Maria in viele Pfarreien der Stadt, um den Kindern Katechismusunterricht zu erteilen. Sie besuchte auch die Kranken im Cottolengo-Spital und die Alleingelassenen in den Dachkammern von Turin. Dieses Beispiel beeinflusste Marianna Scoffone dahingehend, dass nichts von ihrem großen Vermögen an die Verwandten floss, sondern alles für wohltätige Zwecke verwendet wurde, vor allem zugunsten des Cottolengo in Turin.
Nach dem Tod von M. Scoffone am 26. Dezember 1882 zog die mittlerweile 39-jährige Anna Maria Rubatto zu ihrer Schwester Magdalena. Vermutlich spielte sie mit dem Gedanken, sich nunmehr voll und ganz Werken der Barmherzigkeit in Turin zu widmen, das ihre zweite Heimat geworden war. Doch dieses Vorhaben währte nur kurz. Nachdem sie sich im Sommer 1883 nach Loano, einem Städtchen an der ligurischen Westküste, begeben hatte, um dort gemeinsam mit ihrer Schwester Ferien zu machen, besuchte sie jeden Morgen die Kirche der Kapuziner, in deren Nähe ein Rohbau stand.

Eines Tages im August vernahm sie beim Verlassen der Kirche Weinen und Klagen. Ein Stein, der vom Baugerüst gefallen war, hatte einem Handwerker eine blutende Kopfwunde beschert. Rubatto leistete dem jungen Mann erste Hilfe, sie wusch und versorgte die Wunde und steckte ihm zwei Tageslöhne zu. Dann schickte sie ihn zur Erholung nach Hause.

Das Bauwerk sollte eine Schwesterngemeinschaft beherbergen, für die eine Oberin gesucht wurde. Nicht zuletzt aufgrund des eben geschilderten Verhaltens gegenüber dem Verletzten konzentrierten sich alle Hoffnungen und Einladungen der Initiatoren der Gründung auf Rubatto.

Ihre Entscheidung für den Ordensstand war dem Kapuziner Angelico Martini da Sestri Ponente zu verdanken. Nach einem Jahr Bedenkzeit gab Anna Maria Rubatto schließlich ihr Einverständnis und erhielt am 23. Januar 1885 in Loano in eben jenem Haus, bei dessen Errichtung der Unfall mit dem Handwerker geschehen war, zusammen mit fünf anderen jungen Frauen das Ordenskleid. Per Mandat des Diözesanbischofs von Alberga (Savona), Msgr. Filippo Allegro, wurde sie deren erste Superiorin, vor allem aber Mutter und Lehrmeisterin.

Dies war die Geburtsstunde des Instituts der Kapuzinerinnen von Mutter Rubatto. An jenem Tag wurde aus Anna Maria Sr. Maria Franziska von Jesus. Ihr Noviziat begann sie in dem kleinen Kloster, das eine fromme Frau namens Maria Elice zu diesem Zweck in Loano gestiftet hatte. Diese beabsichtigte, mit der kleinen Ordensgemeinschaft den Rest ihrer Tage zu verbringen. Nachdem Rubatto aber neben dem Kloster ein Oratorium für Kinder eröffnet hatte, trennte sich Elice von der Kommunität und wollte eine Schwesternkongregation für die Krankenbetreuung und die Ausbildung der Jugend gründen. Der Bruch war für beide Frauen schmerzlich, was das Leben der Kongregation jedoch nicht beeinträchtigte, wenngleich die Probleme, welche die erste Gruppe von Schwestern zu bewältigen hatte, unter menschlichen Gesichtspunkten schwer zu beschreiben und noch schwerer zu verstehen sind. Die Armut der ersten Jahre stand jener unter Klara von Assisi in San Damiano in nichts nach.

Drei Jahre vergingen, das Ganze schien ins Stocken geraten. In Wirklichkeit aber waren es Jahre der Reifung und das Institut begann sich auszubreiten. Mutter Rubatto eröffnete ein zweites Haus in Genua-Voltri sowie zwei weitere in Sanremo und im Zentrum von Genua. Berufe gab es das Jahr über dutzendweise und Mutter Rubatto kümmerte sich mit ihrer ganzen Kraft und ihrem unnachahmlichen Beispiel um deren geistlich-geistige Ausbildung.

1892 reiste die Gründerin als Missionarin mit einigen Schwestern nach Montevideo, um das Apostolat auf Uruguay und Argentinien auszudehnen. Siebenmal überquerte sie den Ozean, um ihren Schwestern in den beiden Ländern zur Seite zu stehen.

Der Aufenthalt von Mutter Rubatto in Südamerika war mit einem geheimnisumwitterten und gleichzeitig heldenhaften Namen verbunden: Alto Alegre in Brasilien. Nachdem sie eingeladen worden war, an besagtem Ort im brasilianischen Urwald eine Missionsstation zu errichten, bildete sie eigens für diese schwierige Aufgabe sechs Schwestern aus, die sie unter den jüngsten, soeben aus Italien eingelangten jungen Frauen rekrutierte. Und niemand anderer als sie selbst war in der Lage, die Schwestern an ihren neuen Einsatzort zu begleiten. Es sollte eine für alle schmerzliche und für die Gründerin, die bereits 50 Jahre zählte und nicht bei bester Gesundheit war, geradezu heroische Reise werden.

Die Gruppe fuhr am 3. Mai 1899 von Montevideo ab und erreichte Alto Alegre, das von den Missionaren „S. Giuseppe della Provvidenza“ getauft worden war, am darauffolgenden 28. Juni. 50 Tage dauerte die teils im Boot, teils hoch zu Ross unter ungeheuren Anstrengungen und vielfältigen Gefahren zurückgelegte Reise. Mutter Rubatto blieb drei Monate in der Mission, um ihre Schwestern am eigenen Beispiel zu bilden. Als sie gezwungen war, wieder nach Genua zurückzukehren, wurde dies nicht nur von den Schwestern sehr bedauert, sondern auch von den Indios, Kindern wie Erwachsenen.

Wer immer Mutter Rubatto begegnete, geriet in den Bann eines geheimnisvollen Zaubers, der von ihrer Person ausging. Der ehemalige Minister Stefano Carrara erinnert sich in einem seiner Briefe, wie beeindruckt er im Zuge eines kurzen Treffens von ihrem ruhigen, abgeklärten Blick war: „In ihren Augen lag etwas Überirdisches, wie von jemandem, der eine lange Reise zum Herrn unternommen hatte; es war offensichtlich, dass ihr ganzes Herz von Christus in Besitz genommen war…“.

Eineinhalb Jahre nach der Abreise wurde Alto Alegre zu einem Altar, auf dem Schwestern, Kapuzinermissionare und unzählige Gläubige geopfert wurden. Mutter Rubatto verfolgte das Gemetzel vor ihrem geistigen Auge in Genua, wo man sie jede einzelne Schwester zweimal nacheinander beim Namen rufen hörte, um sie zur Standhaftigkeit und zur Treue zu mahnen. Leo XIII. nannte diese Märtyrer „die Erstlinge des Jahrhunderts“.

Beim folgenden Kapitel fiel die Wahl erneut auf Mutter Rubatto. Nachdem die Häuser in Italien inzwischen geordnet waren, gingen ihre Gedanken nach Amerika. Uruguay und Argentinien wurden zum bevorzugten Betätigungsfeld für ihre seelsorglichen Ambitionen. Siebenmal fuhr sie, wie erwähnt, über das Meer, um die Schwestern in den beiden Ländern in ihrem Apostolat anzuleiten und zu ermuntern. Am 30. Oktober 1902 brach sie zu einer mehrwöchigen Pastoralvisite nach Amerika auf, die sich allerdings über ein Jahr hinzog. Am 6. August 1904 ereilte sie schließlich in Montevideo in Uruguay der Tod.

Sie wurde auf dem dortigen Friedhof Neu-Paris beigesetzt. 1913 erfolgte die Überführung des Leichnams in die Kapelle des von ihr 1885 gegründeten Kollegs Belvedere, wo er nunmehr im Heiligtum Mutter Franziska Rubatto im Institut der Kapuzinerinnen von Mutter Rubatto, Av.da Carlos M. Ramirez 56 (Belvedere), Montevideo, Uruguay, ruht. Der Ruf der Heiligkeit, der sie schon zu Lebzeiten umgeben hatte, nahm nach ihrem Tod weiter zu.

Am 10. Oktober 1993 wurde Maria Franziska von Jesus Rubatto von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen und am 15. Mai 2022 von Papst Franziskus heiliggesprochen.