MARGUERITE D’YOUVILLE
(Marie Marguerite
Dufrost de Lajemmerais)
(1701-1771)
WITWE UND GRÜNDERIN
DER KONGREGATION DER SCHWESTERN
DER NÄCHSTENLIEBE
(„GRAUE SCHWESTERN“)
Heilig: 9. Dezember 1990
Fest: 23. Dezember
MARIE MARGUERITE D’YOUVILLE (Dufrost de Lajemmerais) wurde am 15. Oktober 1701 als Tochter der Eheleute Christoph Dufrost de Lajemmerais und Marie-Renée Gaultier de Varennes in Varennes, Bezirk Montréal, Kanada, geboren. Sie war das Älteste von sechs Geschwistern (drei Schwestern, drei Brüder). Bei der Taufe am nächsten Tag erhielt sie den Namen Maria Marguerite. Die Erziehungsrolle in der Familie übernahm in erster Linie die Mutter; der Vater, ein bretonischer Adeliger, war Befehlshaber der lokalen französischen kolonialen Militärgarnison.
Der vorzeitige Tod des Vaters 1708, als Marguerite noch keine sieben Jahre alt war, stürzte die Familie in große Armut. Dank der Hilfe des Urgroßvaters, Peter Boucher, wurde Marguerite 1710 als Zögling bei den Ursulinen von Québec aufgenommen, die bei ihr einen schon sehr ausgeglichenen Charakter und eine frühe Reife entdeckten. Als M. Marguerite nach zweijährigem Studium nach Hause zurückkehrte, half sie der Mutter in häuslichen Belangen und bei der Erziehung ihrer jüngeren Geschwister, wobei sie ein sehr zurückgezogenes Leben führte. Später folgte sie der Mutter, die wieder geheiratet hatte, nach Montréal und besuchte dort die Bürgerschule.
Je älter sie wurde, umso mehr gefiel es ihr, im Mittelpunkt zu stehen, und als anmutiges Mädchen begab sie sich auch gerne in Gesellschaft. Mit 21 Jahren heiratete sie am 12. August 1722 François d’Youville, einen reichen jungen Mann aus dem Ort. Entgegen ihren Erwartungen musste sie jedoch schon bald feststellen, dass dieser kein Interesse am Familienleben hatte. Sie litt unter seiner häufigen Abwesenheit, sogar bei der Geburt des ersten Kindes, und wegen seiner Alkoholgeschäfte mit den Indianern. Zu dieser Prüfung gesellte sich noch das schwierige Zusammenleben mit einer fordernden und äußerst problematischen Schwiegermutter.
Im Alter von ca. 26 Jahren verzichtete M. Marguerite auf das vornehme gesellschaftliche Leben und gab sich einer tiefen Frömmigkeit hin. Liebevoll betreute sie ihren plötzlich schwer erkrankten Ehemann bis zu seinem Tod 1730. Als Witwe und Mutter von fünf kleinen Kindern und in Erwartung eines sechsten, das nicht überlebte, war sie – da ihr Mann sein Vermögen verschleudert und ihr nichts hinterlassen hatte – gezwungen, Essen und Arbeit zu erbetteln. Selbst in dieser anscheinend ausweglosen Situation startete M. Marguerite mit einem immensen Vertrauen in die Vorsehung Gottes vielfältige karitative Initiativen für die Armen, für die sie im Allgemeinen Krankenhaus von Montréal unermüdlich tätig war.
Um den beiden Kindern, die ihr nach dem frühzeitigen Tod der vier anderen noch verblieben waren, die Ausbildung im Seminar von Montréal zu sichern und um die Schulden ihres Mannes abzuzahlen, übernahm sie die Führung eines kleinen Ladens mit Bar, den schon die Schwiegermutter betrieben hatte. Verwandte und Freunde streckten die nötigen Mittel vor. Die Geschäfte florierten dermaßen, dass Marguerite in der Lage war, unter Anleitung des Sulpizianers Alois Normant du Furadon, dem Obern des Seminars, den Bedürftigen zu helfen.
Nachdem ihre beiden Söhne Priester geworden waren, nahm Marguerite am 21. November 1737 eine Blinde in ihrem Haus auf. Am darauffolgenden 31. Dezember weihte sie sich zusammen mit drei Freundinnen, Luise Thaumur La Cource, Katharina Cusson und Katharina Demers, die ihre Ideale teilten, privat Gott, um diesem im Namen der Entrechteten zu dienen. Nach außen änderte sich nichts. Erst am 31. Oktober 1738 begann Marguerite mit den drei Gefährtinnen in einem gemieteten Haus ein Gemeinschaftsleben. Auf diese Weise wurde der Grundstein des Instituts gelegt, das später unter dem Namen Schwestern der Nächstenliebe von Montréal, wegen der Farbe ihrer Kleidung „Graue Schwestern“ (Abb.) genannt, bekannt wurde.
Die kleine Gemeinschaft war jedoch von den Mitbürgern nicht gerne gesehen, weil das Gerücht umging, dass ihr Normant als Generalvikar der Diözese die Leitung des Krankenhauses übertragen wolle. Da sich Marguerite zudem auf die Seite der Armen stellte, rüttelte sie an den sozialen Gepflogenheiten der Zeit. So machten übles Gerede und Verleumdungen die Runde. Und gerade als ihr Einsatz für das aufkeimende Werk unabdingbar schien, bildeten sich an ihrem Knie zwei Wunden, die sieben Jahre hindurch kein Arzt zu heilen vermochte.
Trotz der Schmähungen, die ihr sogar aus den Reihen der eigenen Familie zuteil wurden, schlug sie sich auf die Seite der Ärmsten und fuhr in ihrer Arbeit wagemutig fort. Nicht einmal ihre angeschlagene Gesundheit, der Tod einer Gefährtin und das Feuer, das in der Nacht des 1. Januar 1745 ihre Unterkunft zerstörte, taten ihrem Eifer Abbruch; all dies verstärkte vielmehr ihr Engagement für die Schwächsten. Um noch mehr Menschen helfen zu können, setzte sie sich am 2. Februar 1745 mit den beiden Gefährtinnen der ersten Stunde dafür ein, alles zusammenzulegen.
Zwei Jahre später, 1747, wurde „der Mutter der Armen“, wie man Marguerite mittlerweile nannte, von Normant provisorisch das Allgemeine Krankenhaus übertragen, das 1692 von einigen Hospitalitern vom Kreuz und vom hl. Joseph für die Aufnahme von Waisen, Betagten und Soldaten gegründet worden war und inzwischen am Rande des Ruins stand. Am 7. Oktober 1747 zog sie, auf einem kleinen Wagen liegend, da sie eben erst eine schwere Krankheit überstanden hatte, mit sieben Schwestern, neun Armen und drei Pensionären dort ein.
Bevor sie vom französischen König Ludwig XV. 1753 die Bestallungsurkunde erhielt, mit der sie als fest angestellte Spitalsleiterin anerkannt wurde, musste sich Marguerite noch sechs Jahre gedulden und eine nicht enden wollende Serie von Unannehmlichkeiten auf sich nehmen. Trotz allem gelang es den Schwestern ziemlich rasch, einen freundlichen Zufluchtsort für alle erdenklichen menschlichen Nöte zu schaffen. 1775 wurde das Institut vom Bischof von Montréal approbiert; es war die erste Einrichtung dieser Art in Kanada. Nach der Approbation ging es mit dem Spital erfreulicherweise aufwärts. Gemeinsam mit Mitschwestern und Mitarbeitern wurden die Zimmer renoviert, die Schulden sukzessive abgebaut, das vorhandene Grundstückspotential bestmöglich genutzt und die Dienstleistungen auf die Unterbringung von Geisteskranken sowie die Aufnahme von Findelkindern und Pocken-Patientinnen erweitert. Zudem wollte Marguerite ihre Dienste auf alle Kranken ausdehnen, einschließlich der Krebs- und Leprakranken, wenngleich sie sich gemäß dem Bestallungsschreiben an die Pflege von lediglich 12 Armen zu halten hatte. Es entstand so ein vielschichtiges Werk zur Linderung der Armut mit tausend Gesichtern.
Am 18. Mai 1765 wurde das Spital durch einen Brand zerstört, nicht aber der Glaube und der Mut von Marguerite. Sie lud in dem Moment die Mitschwestern und die Armen dazu ein, in dieser Prüfung den Vorübergang Gottes zu sehen und ihn zu loben. Es war, als sähe sie die Zukunft voraus. Sofort begann sie, im Alter von 64 Jahren, mit dem Wiederaufbau des Aufnahmezentrums für alle Notleidenden und vollendete dieses innerhalb von vier Jahren.
Bei all diesen Unternehmungen bestätigten sich bei ihr zwei Bestrebungen, dem Vater und den Armen gegenüber: auf der einen Seite die Hingabe an den ewigen Vater und auf der anderen die Berufung, den Armen zu dienen. So verstärkte sich in ihr die tiefe Liebe, die sie zu einer besonderen Verehrung des Vaters antrieb. Ihre Liebe zu den Armen speiste sich aus ihrem leidenschaftlichen Glauben: Sie erblickte in jedem Armen Jesus Christus. So sagte sie: „weil ich mich mit den Armen als Glieder Jesu Christi, unseres Bräutigams, vermählt habe…“ Ihr Glaube an Jesus, der in jedem Armen gegenwärtig war, erfüllte ihr Herz mit einer schöpferischen Kraft und einem Unternehmungsgeist, die nur noch von ihrer universalen, mitfühlenden und aufmerksamen Nächstenliebe übertroffen wurden.
Alle, die ihrer Hilfe bedurften, fanden den Weg zu ihrem Haus und vor allem zu ihrem Herzen. Ihr Glaube wurde oft durch leidvolle Erfahrungen geläutert, die sie mutig und gelassen in unverbrüchlichem Gottvertrauen annahm. Sie ließ sich nicht einmal von ihrer angeschlagenen Gesundheit und den Krankheiten bremsen, von denen sie nur allzu häufig betroffen war. Im Gegenteil, je mehr sie litt, um so größer wurde ihre Sensibilität für das Leid der anderen.
Wenn ihre Werke der Barmherzigkeit in Gefahr waren, verstand sie es, auch den Behörden die Stirn zu bieten, war ihre große Liebe zum Vater doch stets von einem unermesslichen Vertrauen in die Vorsehung begleitet. Ihre Schriften lassen die Tiefe dieser Berufung erahnen: „Die Vorsehung ist wunderbar, sie verfügt über geheimnisvolle Mittel, mit denen sie ihre Gläubigen zu trösten versteht; sie nimmt alles auf sich, sie hat mein ganzes Vertrauen.“
Dieses Vertrauen war die Quelle ihrer vielfältigen Initiativen, den Armen entgegenzugehen. Nachdem sie alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte, überließ sie die Risiken der Vorsehung. So sagte sie einmal: „Wir sind 18 Schwestern, allesamt krank, und leiten ein Haus, in dem 170 Personen zu verköstigen und fast alle zu betreuen sind. Ständig fehlt es uns am Nötigsten und doch haben wir am Ende immer alles, was wir unbedingt brauchen. Tag für Tag danke ich der göttlichen Vorsehung, dass sie sich dazu herablässt, sich unserer Wenigkeit zu bedienen, um ein bisschen Gutes zu tun.“
Gegen Ende 1770 klagte Marguerite über allgemeines Unwohlsein, das sie daran hinderte, mühelos zu sprechen und zu gehen. Es war dies der Beginn der Lähmung, die sie schließlich das Leben kostete. Maria Marguerite d’Youville starb am 23. Dezember 1771 in Montréal. Sie hinterließ die Erinnerung an eine großherzige Frau, die Christus leidenschaftlich in den Bedürftigen diente.
Ihr Grab befindet sich in der Kapelle des Mutterhauses der Sœurs Grises, 1190, rue Guy, Montréal, QC H3H 2L4, Kanada.
Die Kongregation, ursprünglich als kontemplativer Orden gegründet und eine der populärsten Kongregationen Kanadas, breitete sich in die USA, nach Brasilien, Kolumbien und in zahlreiche Länder Afrikas aus.
Am 9. Dezember 1990 wurde Maria Marguerite d’Youville von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen, nachdem sie Papst Johannes XXIII. am 3. Mai 1959 seliggesprochen hatte.
RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Johannes Pauls II. 1982 – 2004. Innsbruck: Resch, 2012 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 5). XIV, 480 S., 109 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-094-0, Ln, EUR 48.60 [D], 49.90 [A]
Bestellmöglichkeit: info@igw-resch-verlag.at