Andreas Resch: Marcel Callo

MARCEL CALLO
(1921-1945)

SCHRIFTSETZER MÄRTYRER

Selig: 4. Oktober 1987
Fest: 19. März

MARCEL CALLO wurde am 6. Dezember 1921 als Sohn des Arbeiters Jean-­Marie Callo und der Felizitas M. Fanène in Rennes, Frankreich, geboren und am darauf folgenden Tag auf den Namen Marcel getauft. Als zweites von neun Kindern wuchs er im Kreis einer bescheidenen, aber arbeitsamen Familie heran, die häufig mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Von den Eltern wurde Marcel zu einem soliden Glauben und zur Strebsamkeit erzogen. Schon von Kindesbeinen an begleitete er sie in die Pfarrkirche. Sieben Jahre lang tat er dort jeden Morgen Dienst als Ministrant, wofür er von allen Seiten großes Lob erntete. Von Natur aus feinfühlig, aber auch willensstark, energisch und – wenn nötig – bestimmt, zeichnete er sich durch Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit aus und hatte eine Vorliebe für volkstümliche Musik und Schriftsatz. Letzteres erklärt möglicherweise auch seine spätere Berufswahl. Was seine Schulbildung anbelangt, so konnte er aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation seiner Familie lediglich die Volksschule besuchen.

Zu Weihnachten 1933 wurde Marcel in die Pfadfindergruppe der Hermeline aufgenommen, wo er alsbald seine menschlichen und organisatorischen Fähigkeiten unter Beweis stellte und den zweitwichtigsten Rang innerhalb der Gruppe einnahm. Am 18. Juni 1934 legte er sein Treuegelöbnis auf die Ideale der Pfadfinderbewegung ab, doch war er nach Verlassen der Schule aus Arbeitsgründen schon bald gezwungen, auch den Pfadfindern ade zu sagen.

Nachdem die Großfamilie für die Kosten seiner Weiterbildung nicht aufkommen konnte, trat Marcel am 1. Oktober 1934 als Schriftsetzerlehrling bei der Westlichen Provinzdruckerei ein, wo er bis zur Zwangsversetzung 1943 nach Deutschland blieb. Er war stets mit Begeisterung bei der Sache, die bei allem, was er tat, durchschien. Dennoch musste er sich mit allerlei Problemen herumschlagen, die ihm sein skrupelloses Umfeld bereitete, dem er sich nicht anpassen konnte. Er verstand es trotz allem, seinen Glauben und die persönliche Würde zu wahren, und versuchte auf jede nur erdenkliche Weise zu verhindern, dass seine jungen Arbeitskollegen von den älteren verdorben wurden. Deren Äußerungen über Religion, Kirche, Messe und Frauen waren liederlich und schamlos und stimmten ihn zutiefst traurig.

1936 trat Marcel der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) bei, genau genommen der Gruppe von St. Aubin. Auch dort glänzte er durch außergewöhnliches Engagement, musste aber viele Hindernisse überwinden, um seinen christlichen Grundsätzen treu zu bleiben.

Den Lauf des Lebens lernte Marcel im unmittelbaren Bezug zur Realität und zur Arbeitswelt kennen. Der Gründer der CAJ, Joseph Cardijn, verlangte von den jungen Leuten, das Letzte zu geben und in der Nachahmung Christi die ganze Person einzubringen. Marcel war einer von ihnen. Ursprünglich ein einfaches Mitglied der CAJ, übernahm er schon bald höhere Aufgaben. 1938 war er Kassenführer und gegen Ende 1938 wurde er zum Gruppenführer ernannt, nachdem man ihn ein Jahr zuvor als Vertreter der Sektion zu den Jahrhundertfeiern der CAJ nach Paris geschickt hatte, wofür er, um die Reisespesen zu bezahlen, tief in die eigene Tasche greifen musste.

Nachdem er diverse Schwierigkeiten und Missverständnisse seitens einiger CAJ­-Mitglieder ausgeräumt hatte, gelang es ihm durch beispielhaftes Verhalten, entschlossenen Willen und beharrliche Arbeit hervorragende Leute heranzubilden, durch welche die Gruppe von St. Aubin schon bald alle anderen überragte. Es genügt, die von Marcel Callo am 31. März und 8. September 1940 gehaltenen Reden zu lesen, um sich ein Bild von seinem Einsatz zu machen. Im ersten Referat legt Callo die Ziele der CAJ dar, welche darin bestünden, die jungen Arbeiter so zu trainieren, dass sie die Ideale christlichen Lebens auch unter den schwierigen Bedingungen der Arbeitswelt lebten. Im zweiten Vortrag präzisiert er die Rolle der christlichen Arbeiterjugend bei der Kultivierung und Umsetzung der je individuellen Charakterbildung, so dass Christus auch im Arbeitsbereich gegenwärtig und zum Triumphator werde.

Marcel war erst neunzehn Jahre alt, als er diese Sätze schrieb, die er persönlich voll und ganz lebte. Jean Roualt, der fünf Jahre lang mit ihm in der Gruppe von St. Aubin war, schrieb in einem Brief an den Kaplan der CAJ: „Ich bin der Meinung, dass wir mit unserem guten Marcel das Paradebeispiel eines CAJ­-Mitgliedes hatten, das uns allen als Vorbild dienen kann… Einen zweiten Marcel Callo werden wir nicht mehr so leicht finden.“

Neben all der Arbeit war es eine der größten Bestrebungen Marcels, eine Familie zu gründen, ein Zuhause auf christlichem Fundament zu schaffen, wo Frohsinn und Liebe regierten, wie es ihm seine Familie vorgelebt hatte. In der CAJ lernte er ein Mädchen namens Marguerite kennen, das denselben Wunsch hegte und mit dem er sich verlobte. Ob nun zusammen oder getrennt – zwischen den beiden herrschte eine tiefe Zuneigung, wie aus verschiedenen Briefen hervorgeht. Marcel besuchte Marguerite acht Monate hindurch, ohne sie je mit Du anzusprechen, weil er die Verlobung als eine Zeit des Reifens im Glauben und in der Gnade empfand.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der Beginn der Besetzung Frankreichs 1940 führten auch in Rennes, wo Marcel arbeitete, zu Erschwernissen im Alltagsleben; die noch verbliebenen Einwohner sahen sich zu allerlei unliebsamen Schritten genötigt, um eventuellen Repressalien zu entgehen. Bei der Bombardierung von Rennes am 8. März 1943 fanden dreihundert Personen den Tod, darunter auch Marcels Schwester Magdalena. Zu diesem Unglück kam noch die Requirierung von Zwangsarbeitern durch die Deutschen. Auch Marcel musste sich fügen, um seine Familie vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Andererseits war er der Meinung, dass gerade unter den Zwangsdeportierten ein weites Feld zur pastoralen Arbeit gegeben war, weshalb er sich ihnen, von missionarischem Eifer erfüllt, anschloss, nicht zuletzt ermuntert durch die französischen Bischöfe, welche die jungen Katholiken dazu aufriefen, den Zwangsarbeitern spirituelle Hilfestellung zu geben, weil die Seelsorger von derlei Aufgaben ausdrücklich ausgeschlossen waren. Marcels Apostolat sollte sich als umso wertvoller erweisen, als es ihm in den Arbeitslagern nicht möglich war, dieses ungehindert auszuüben.

Und so fügte sich Callo am 12. März 1943 dem Befehl der deutschen Invasoren und wurde für das Arbeitslager in Zella-­Mehlis bestimmt. Er traf dort am 24. März 1943 ein und begann trotz des damit verbundenen großen Risikos unverzüglich mit seiner seelsorglichen Arbeit. Schon bald lenkte er das religiöse Leben in bestimmte Bahnen. Es gelang ihm, einen Priester ausfindig zu machen, der Französisch sprach und mit dem er Freundschaft schloss. So war es ihm möglich, im Lager den ersten Gottesdienst auf Französisch vorzubereiten. Er empfand dies als großen Triumph. Die Messe wurde in der Folge jeden Sonntag gefeiert. Marcel bereitete sich mit großer Hingabe darauf vor und ermunterte seine Kameraden, es ihm gleichzutun. Seine Haltung war die eines beispielhaften Mitglieds der CAJ. Ohne Furcht vor Repressalien trug er offen das Abzeichen der Bewegung. Im Dezember 1943 erfolgte durch das Amt für die Sicherheit des Reiches ein Erlass gegen die Katholische Aktion. Daraufhin begann auch im Lager wie überall sonst die Verfolgung von deren Anhängern. Und so war es unvermeidlich, dass die Gestapo auch nach Marcel, dem Provokateur aus der CAJ, ihre Fühler ausstreckte.

Callo wurde am 19. April 1944 verhaftet, nach Gotha gebracht und dort im örtlichen Gefängnis eingekerkert. Alle aus religiösen Gründen Inhaftierten wurden an einem Platz versammelt. Trotz der Härte des Gefängnisalltags versuchten sie, ihre religiöse Praxis beizubehalten, und kamen regelmäßig zum Gebet zusammen. Am 12. Oktober 1944 wurde Marcel nach Flossenburg verlegt, wo er zunächst in Lager 1 untergebracht wurde, das für kurzfristig Gefangene bestimmt war. Anschließend kam er in Lager 2 und dann in Lager 3 für die zum Tod Verurteilten. Da sich Callo auch in diesem härtesten aller Lager als überzeugter Christ erwies, musste er eliminiert werden. Man brachte ihn in das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich, wo er am 25. Oktober 1944 eintraf. Er war mittlerweile so geschwächt, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Sein Ende war grausam und unmenschlich, wie Andreas s Tibodo bezeugt, der dabei war, als Callo erschöpft in das Massengrab fiel, das als Latrine diente. In einem mutigen Akt beeilte er sich, ihn dort herauszuholen, und trug ihn zu seiner Liege. Wenige Minuten später war Marcel tot. Man schrieb den 19. März 1945. Tibodo war von seiner Begegnung mit Marcel so betroffen, das er seinen Bericht mit folgenden Worten schloss:
„Für mich war es eine Offenbarung: sein Blick brachte die tiefe Überzeugung zum Ausdruck, dass er der Glückseligkeit nahe war. Es war ein Akt des Glaubens und der Hoffnung auf ein besseres Leben hin. Ich habe bei keinem Sterbenden (und das waren Tausende!) je einen solchen Blick gesehen.“
Marcels Leichnam wurde nie gefunden. Höchstwahrscheinlich verschwand er wie so viele andere in den Krematoriumsöfen des KZ.

Am 4. Oktober 1987 wurde Marcel Callo von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1986 – 1990. Innsbruck: Resch, 2005 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 2). XIII, 298 S., 69 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-076-X, Ln, EUR 25.70 [D], 26.52 [A]

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