Andreas Resch: John Henry Newman


JOHN HENRY NEWMAN

(1801-1890)

Kardinal

Selig: 19. September 2010
Heilig: 13. Oktober 2019
Fest: 9. Oktober

JOHN HENRY NEWMAN wurde am 21. Februar 1801 als Sohn einer Hugenottin und eines religiös mehr als liberalen Vaters in London geboren. Er war ein großer, hagerer und hochintelligenter Junge, der sich mit zehn Jahren schon sicher war, dazu berufen zu sein, „der Ehre Gottes zu dienen“. Seine Karriere verlief sehr steil: 1822 Eintritt in das „Oriel Kolleg“ in Oxford, dort mit 21 Jahren  zum „Fellow“ ernannt; zwei Jahre später zum anglikanischen Priester geweiht und Aufstieg zum „Tutor“. Mit 27 Jahren wurde er zum Vikar von St. Maria in Oxford ernannt, wobei er seine Funktion als Universitätsdozent beibehielt. Gleichzeitig veröffentlichte er Studien zur Patrologie und Kirchengeschichte.
Oxford war ein Zentrum außerordentlich lebendigen Denkens, dem auch Newman anhing, doch gab er sich nicht damit zufrieden, sondern suchte seinen eigenen Weg. Er predigte zu seinem Volk, das geradezu an seinen Lippen hing. Er unterrichtete die Jugend von Oxford, die fasziniert von ihm war. Und doch nagten in seinem Innern insgeheim Zweifel: Diese anglikanische Kirche, gegründet von einem ehebrecherischen König, einem Mörder – wie konnte sie die wahre Kirche Jesu Christi sein?
Erschöpft von der überbordenden intelektuellen Arbeit unternahm Newman 1833 eine lange Reise nach Italien. In Rom spürte er innerlich die alten Aversionen der Anglikaner gegen den Papst aufsteigen, doch erlebte er auch die Faszination des Heiligen Stuhls, den Fels, der Petrus ist, auf dem die Kirche gründet, unvergänglich und unfehlbar. Dort begegnete er Nicholas Wiseman, dem jungen Rektor des englischen Kollegs, Priester, Professor für Hebräisch und Syrisch, dem an nichts mehr gelegen war, als den nunmehr schon seit drei Jahrhunderten aus England verstoßenen katholischen Brüdern ihre Würde zurückzugeben.
Newman reiste weiter nach Sizilien, wo er erkrankte und sich schon bald dem Tod näher wähnte als dem Leben, ohne Ärzte und ohne Behandlung. Sein Diener ersuchte ihn, seinen letzten Willen kundzutun, doch Newman erwiderte: „Ich werde nicht sterben. Ich habe nie gegen das Licht gesündigt. Ich habe in England eine Aufgabe zu erfüllen.“ Tatsächlich erholte er sich unerwartet und machte sich auf die Heimreise. Auf dem Weg betete er inbrünstig zu Gott. Wieder in Oxford, sammelte sich eine Gruppe Anglikaner um ihn, die sich mit heiklen Problemen befassten: die wahre Natur der Kirche, ihr Bezug zur Tradition der ersten Jahrhunderte, ihre Autorität…
Sie gewannen zunehmend an Einfluss und fanden Gehör. Die „großen alten Männer“ der anglikanischen Kirche konnten nicht länger behaupten, dass es sich bloß um ein paar Jungspunde handelte. So stimmten sie am 5. Mai 1836 über einen feierlichen Verweis gegen die jungen Rebellen um Newman ab. Diese wurden mit der höchsten nur denkbaren Beleidigung bedacht – „Papisten“. Doch sie gaben nicht auf. Newman war begeistert von den Kirchenvätern jener Zeit, als die Christen noch nicht getrennt waren. Was hatte der Anglikanismus mit diesen Vätern gemeinsam? Die Debatte setzte sich fort: die leidenschaftliche Suche, getragen von inbrünstigem Gebet – dem Gebet zu Gott, dem Licht – wurde noch glühender in seinem Herzen. Die Finsternis musste vertrieben werden, das Licht aufleuchten.
Newman hatte jetzt die besten jungen Männer der anglikanischen Kirche um sich. Um sein Podium versammelte sich eine immer größere Schar von aufmerksam zuhörenden Brüdern. Er hätte, wäre er nicht eine so redliche Person gewesen, seine eigene Kirche gründen können, doch spürte er intuitiv, dass es nur eine Kirche geben könne, so wie es nur einen Christus gibt. Die Wahrheit im Nacken, focht er einen schrecklichen inneren Kampf. Er zog sich nach Littlemore zurück, von den anglikanischen Bischöfen verleugnet, weil man ihn zunehmend näher dem Katholizismus wähnte. Am 24. September 1843 bestieg er ein letztes Mal die Kanzel seiner Pfarrei, von der aus er die schmerzlichsten und härtesten Vorwürfe gegen die anglikanische Kirche schmetterte und seine Freunde bat, für ihn zu beten, damit er stets den Willen Gottes erfüllen könne. Von der Kanzel herabgestiegen, legte er die Paramente ab und warf sie auf das Geländer, um kundzutun, dass der Bruch zwischen ihm und der anglikanischen Kirche endgültig war.
Noch war Newman nicht katholisch, aber auch mit Sicherheit nicht mehr anglikanisch.
In der Stille meditierte er noch lange vor sich hin und erhielt Antwort auf die Fragen, die er sich stellte: Ist die katholische Kirche von heute wirklich jene der alten Väter der ersten Jahrhunderte – Ignatius, Irenäus, Ambrosius und Augustinus? Warum gibt es in ihr Dinge, die es in der Theologie der Väter offenbar nicht gibt? Die Erleuchtung kam in großen Wellen: Die katholische Kirche ist jene, die aus dem Herzen Christi kam, jene der Märtyrer und der alten Väter, doch ist sie wie ein Baum, der wächst, sich entwickelt hat und dennoch bis heute die Kirche Christi geblieben ist. Dies schrieb er in seiner Abhandlung über die Entwicklung des Dogmas (1845). Dann ersuchte er um Aufnahme in die katholische Kirche.
Am 8. Oktober 1845 schwor John Henry Newman, in der Zurückgezogenheit von Littlemore, vor P. Dominikus Barberi von der Muttergottes, einem Passionisten, dem Anglikanismus ab und wurde römisch-katholisch und apostolisch. Er schrieb: „Es war für mich wie die Einfahrt in einen Hafen nach einer stürmischen Kreuzfahrt. Mein Glück ist vollkommen.“ Der britische Premierminister Gladstone kommentierte: „Nie hat die römische Kirche nach der protestantischen Reform einen größeren Sieg davongetragen!“
Die Bekehrung Newmans war ein Ereignis. Nicht wenige seiner engsten Freunde traten unverzüglich in seine Spuren. Einige waren ihm sogar schon einige Tage voraus, andere folgten, wie Faber, der ein großer Lehrmeister christlichen Lebens werden sollte. In weniger als einem Jahr kam es zu mehr als 300 Bekehrungen, durchwegs Intellektuelle, Professoren, Theologen. Die anglikanische Kirche war erschüttert. Diesem von Newman losgetretenen Sturm versuchte nun ein fähiger Mann entgegenzuwirken, um den „bedauernwerten“ Weisen hinsichtlich der Entwicklung des Dogmas zu widerlegen: Henry Manning, ein eifriger Seelsorger, der nach dem Tod seiner Frau als Einsiedler lebte, asketisch und einflussreich. Doch Manning, der ausgezogen war, um zu widerlegen, wurde selbst widerlegt. Am 6. April 1851 trat auch er zur katholischen Kirche über. Rasch sollte er zum Priester und Bischof werden. Newman war inzwischen von Msgr. Wiseman, damals Bischof der englischen Katholiken, nach Rom geschickt worden. Am Collegium der Propaganda Fide schloss er seine theologischen Studien ab und empfing am 26. Mai 1847 die Priesterweihe. Anschließend kehrte er, ermuntert durch Papst Pius IX., der sich gerade in jenen Tagen mit dem Gedanken trug, den Katholizismus in England in vollem Umfang wiederherzustellen, in seine Heimat zurück, um dort das „Oratorium des hl. Philipp Neri“ zu gründen. Nunmehr 50 Jahre alt, durchlebte er die schönste Zeit seines Lebens: überzeugt davon, die Wahrheit gefunden zu haben, in Gemeinschaft mit dem Papst von Rom zu sein, also mit Christus, gründete er Gebetshäuser in Maryvale, Birmingham, London, in Edgbaston usw. 1850 wurde Msgr. Wiseman zum Erzbischof von Westminster und zum Kardinal ernannt.
Es war in der Tat an der Zeit, für den Triumph der katholischen Kirche zu arbeiten. Am Anfang gestaltete sich alles leicht und schön. Dann folgte eine Periode enormer Herausforderungen. Newman nahm sich Großes vor: die Gründung der Universität in Dublin, die englische Übersetzung der Bibel, die Leitung einer Zeitschrift, die Gründung eines Oratoriums in Oxford für junge Katholiken, welche die Universität besuchten – alles schien ihm zwischen den Fingern zu zerrinnen. Er fühlte sich allein, unverstanden, fast als gefährlich erachtet… Doch nichts konnte ihn entmutigen. Der katholischen Kirche überaus treu ergeben, verteidigte er die Wahrheit durch seine umfangreichen Werke, die dem Katholizismus die Sympathie der Anglikaner und die Bewunderung der Gegner einbrachten. Er selbst fühlte sich als niemandes Rivale, reagierte mit Vergebung, Gebet und Dienst an der Jugend.
Im Oratorium von Birmingham, wo er wohnte, befasste er sich mit der intelektuellen, moralischen, ganzheitlichen Erziehung der Knaben in Güte und Liebe nach dem Vorbild von Philipp Neri, so, wie es auch einem bescheidenen, sehr großen Zeitgenossen gefallen hätte, Don Bosco (der für die Bekehrung der Anglikaner auch gebetet, gelitten und bei Pius IX. interveniert hatte). Doch schien er bereits vergessen zu sein. Nun brillierten jene Konvertiten – Faber, Manning, Ward – , denen er den Weg geebnet hatte. 1864 allerdings geschah es, dass Dr. Kingsley die Katholiken in einer Broschüre der Heuchelei bezichtigte und die katholischen Priester noch dazu als Lügner hinstellte…
Newman hielt mit ganzer Kraft dagegen, indem er sämtliche Gründe seiner Konversion zum Katholizismus offenlegte. Es entstand sein Hauptwerk Apologia pro vita sua (Geschichte meiner reliösen Überzeugungen), worin er festhält: „In der katholischen Kirche erkannte ich plötzlich eine völlig neue Realität für mich. Ich begriff, dass es nicht an mir war, mir eine Kirche kraft meiner Gedanken zu schaffen. Mein Geist kam in sich selbst zur Ruhe. Ich betrachtete sie – die Kirche – als objektive Gegebenheit von unumstößlicher Klarheit.“ Es war ein großer Triumph, der den Namen John Henry Newman in ganz England zum Klingen brachte. Es war nicht mehr möglich, ihn der Doppelbödigkeit und Unredlichkeit zu bezichtigen.
1879 ernannte ihn Papst Leo XIII. zum Kardinal. Als ihm die unerwartete Nachricht überbracht wurde, weinte er vor Freude und sagte: „Die Nebel sind für immer gefallen“. Es war die Freude eines Mannes, der nach unsagbar zähem Ringen um die Wahrheit erkannte, dass sich diese durchgesetzt hatte und nun den Weg für viele erhellte. Newman lebte noch elf Jahre in seiner Klause in Birmingham, bestehend aus zwei Zimmern voller Bücher, betend, Licht ausstrahlend, die Seelen zur Wahrheit führend – seine einzige Leidenschaft von Kindheit an. Seine Bücher und Vorträge, sein Erziehungswerk offenbaren daher sein ganz von Christus in Besitz genommenes Genie.
Am 11. August 1890 ging Kardinal John Henry Newman, nachdem alle Finsternis vertrieben war, seinem Schöpfer, „dem edlen Licht“, entgegen, das seine Schritte stets begleitet hatte. Auf seinem Grabstein wollte er nur seinen Namen und die Essenz seines Daseins verewigt haben: „Ex umbris et imaginibus in veritatem“ (Von den Schatten und Bildern zur Wahrheit).
1958 wurde der Seligsprechungsprozess eröffnet, 1991 wurde Newman zum Ehrwürdigen Diener Gottes erklärt und 2010 durch Papst Benedikt XVI. in Birmingham seliggesprochen.
Die Heiligsprechung erfolgte am 13. Oktober 2019 durch Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom.