Andreas Resch: Johannes Maria Boccardo


JOHANNES MARIA BOCCARDO
(1848-1913)

PRIESTER UND GRÜNDER
DER KONGREGATION DER SCHWESTERN
„ARME TÖCHTER
VOM
HL. KAJETAN“

Selig: 24. Mai 1998
Fest: 30. Dezember

JOHANNES MARIA BOCCARDO wurde am 20. November 1848 als erstes von zehn Kindern des Gaspare Boccardo und der Giuseppina Malerba in Moncalieri, Provinz Turin, Italien, geboren und am darauffolgenden Tag auf den Namen Johannes Maria getauft. Von seiner Familie erhielt er eine solide christliche Erziehung vermittelt und besuchte mit Erfolg die Volksschule in Moncalieri. Bereits seit der Firmung und Erstkommunion, die er 1858 empfing, fühlte er sich zum Priesterberuf hingezogen. Nach Beendigung der Volksschule schrieben ihn die Eltern als Externen in das Gymnasium des Königlichen Kollegs Carlo Alberto der Barnabiten in Moncalieri ein. Die Ausbildung dort war hervorragend und Johannes kam allgemein gut voran, wobei er besonders in Mathematik hervorstach. Auf dem Schulweg leistete er einem alleinstehenden, einsamen Blinden immer wieder kleine Dienste. Als er im 16. Lebensjahr Klarheit über seine Priesterberufung erlangt hatte, brachte er dies zu Hause deutlich zum Ausdruck mit den Worten: „Ich möchte Priester werden!“ Seine Eltern machten ihn darauf aufmerksam, wie viele Opfer das mit sich bringen würde, stimmten jedoch zu. Der Vater meinte: „Dass du mir aber ja ein richtiger Priester wirst, der ganz im Dienst des Herrn steht; nicht nur einer, der mit einer schwarzen Soutane herumläuft, sondern einer, der auch Werke tut!“

Während Johannes noch darum bemüht war, das nötige Geld für den Talar aufzubringen, ohne die Seinen zu belasten, wurde er eines Tages vor dem Schloss von Moncalieri von einem riesigen Hund gebissen, der den Wächtern entkommen war. Die Fürstin Klothilde von Savoyen drückte dem Jungen, um die Familie für das erlittene Unglück zu entschädigen, eine große Geldsumme in die Hand. „Das kann ich für meinen Talar gebrauchen“, meinte dieser. „Auch nicht schlecht! Bin ich also über einen Hund zum Talar gekommen!“

1864 trat Johannes in das Seminar von Turin ein, wo er sich als herausragender Kleriker erwies, der fest entschlossen war, Priester zu werden. Inzwischen gab er sich einem intensiven Philosophie- und Theologiestudium hin. Nach den verschiedenen vorbereitenden Abschnitten, während der er auch Don Bosco aufsuchte, schrieb er am Abend vor seiner Priesterweihe: „Ich werde es nie zur Heiligkeit bringen, wenn ich nicht gefordert bin. Man darf sich nicht mit einer allgemeinen Heiligkeit begnügen, sondern muss nach der großen Heiligkeit streben.“

Nach der Priesterweihe am 3. Juni 1871 wurde ihm, noch keine 23 Jahre alt, das hochrangige Amt des Assistenten im Priesterseminar zugewiesen. Obwohl er seine Aufgaben mit ziemlicher Präzision und Umsicht erfüllte, war Boccardo sanftmütig und gut und besaß die Fähigkeit, mit allen ins Gespräch zu kommen, nicht nur durch das rechte Wort, sondern auch durch konkrete Hilfe, sofern dies nötig war. Nach zwei Jahren wurde er Spiritual im gleichen Seminar.
Während dieser ganzen Zeit setzte er auch seine Studien fort und erlangte am 1. Februar 1877 das Doktorat in Theologie. 1881 wurde er Spiritual des Theologischen Seminars in Turin, wo er auch die Kleriker wieder traf, die er schon in Chieri begleitet hatte, als diese noch das Lyzeum besuchten. Im Seminar von Turin blieb er keine zwei Jahre, denn am 10. Mai 1882 betraute ihn der Erzbischof mit der Pfarre S. Nicola in Pancalieri, einem Bauerndorf in der von Po und Pellice bewässerten Ebene 30 km von Turin, wo er am folgenden 24. September einzog. Die Pfarre hatte ca. 3000 Einwohner, die größtenteils von Feldarbeit, Seidenraupenzucht und Hanfanbau lebten. Boccardo erkannte bald, dass es sich in der Mehrzahl um ehrliche Menschen handelte, die der traditionellen christlichen Praxis verpflichtet waren, und er fasste sofort ins Auge, seinen Pfarrkindern das christliche Leben noch näherzubringen, indem er die Sonntagsmesse und die religiöse Unterweisung bei der Predigt und der Vesper nach dem Vorbild einer echten Glaubensschule in den Mittelpunkt stellte.

Kurz nach seiner Ankunft in der Pfarre versammelte er eine Gruppe von etwa 15 Mädchen um sich und trug ihnen einfache, aber wichtige Aufgaben an: häufige bzw. regelmäßige Beichte, spirituelle Führung sowie sonntäglichen, späterhin täglichen, Kommunionempfang. 1883 zählte die „Fromme Vereinigung“ schon 40 Mädchen und als Pancalieri 1884 von der Cholera heimgesucht wurde, taten diese Jugendlichen unermüdlich und großzügig Dienst an den Kranken – ganz dem Beispiel Boccardos folgend, der die Hilfe organisierte, ohne sich zu schonen oder vor einer Ansteckung zu fürchten.

Bei Abflauen der Cholera im Herbst des Jahres wurde für den Pfarrer offensichtlich, wieviele Wunden diese hinterlassen hatte: alte und einsame Menschen, um die sich niemand kümmerte. Für diese von Schmerz gepeinigten und hilflosen Kreaturen errichtete er, mit Erlaubnis seines Erzbischofs, ein Hospiz der Barmherzigkeit unter dem Titel und Schutz des hl. Kajetan von Thiene und nach dem Beispiel des Cottolengo. Die Eröffnung erfolgte am 6. November 1884, zunächst mit Assistenz einer Freiwilligen, die dann jedoch ihren Dienst an den ersten drei betagten Insassen nicht weiterführen konnte. Boccardo selbst servierte ihnen das erste Mittagessen. Nach langen Gebeten und nachdem er sich auch mit Don Bosco beraten hatte, gründete er am 21. November 1884 die Kongregation der Armen Töchter vom hl. Kajetan (Abb.) und stellte mit Domenica Libra die erste junge Frau zur Vollbetreuung der Alten und untergebrachten Waisen in Dienst. Diese Gründung, zu der es durch Cholera und Hospiz gekommen war, sah er als Notwendigkeit seines seelsorglichen Dienstes für Pfarre und Kirche.

Als Pfarrer und Gründer dehnte er auch seine Mission weiter aus, predigte in anderen Pfarreien und ging zum Beichthören in die Gefängnisse von Saluzzo. An einem bestimmten Punkt fürchtete er jedoch, sich vom großen Ideal der Heiligkeit, auf das er immer hingearbeitet hatte, entfernt zu haben: „Ich bin in einen Abgrund der Lauheit gefallen.“ Doch wurde ihm bewusst, dass er im Grunde nur vom geregelten Seminaralltag zum mühsamen Alltag einer Pfarre übergetreten war, und er erneuerte seinen Vorsatz, in der persönlichen Heiligkeit heroisch zu sein. Boccardo begnügte sich mit sehr wenig, was Essen und Kleidung betraf. Er ging sogar so weit, dass er auf Mittag- und Abendessen zugunsten seiner Armen verzichtete. Bei den verschiedenen Ereignissen und Problemen, denen er begegnete, empfahl er sich stets dem hl. Josef und Jesus in der Eucharistie.

Langsam begann die Kongregation Gestalt anzunehmen: 1888 das schwarze Kleid und die Bezeichnung „Arme Töchter“, die 1889 zum vollen Titel ergänzt wurde, als Boccardo, nach dem Lesen der Matutin mit dem Leben des Heiligen vom Tag, Kajetan von Thiene (1480-1547), von dessen Stil ergriffen war, der genau dem entsprach, was er seinem Institut zu vermitteln suchte: Jesus als Mittelpunkt von allem, Armut und Hingabe an die Vorsehung, Liebe zu den Armen und ein ganzes Leben für Jesus in den Armen.

1897 kam es zur ersten Approbation der von ihm erstellten Regeln und der Kongregation. Am 18. Januar 1905 folgte die Diözesanapprobation, 1958 dann die päpstliche Approbation. Das Institut hatte inzwischen erheblichen Zuwachs bekommen und zählte beim Tod Boccardos 150 Schwestern in 36 Häusern. Nach dem Willen des Gründers sollten die Mitglieder der Kongregation den Bedüftigsten Schwester und Mutter zugleich sein: Selbst ein Glas Wasser sollten sie aus Achtung vor den Armen, ihren „Gebietern“, auf einem Tablett servieren. Für seine Schwestern trug Boccardo große Sorge: „Was das Essen anbelangt, so tut euch keinen Zwang an… Um arbeiten zu können, müsst ihr auch ordentlich essen“ (1898).

Mit einem starken Charakter gesegnet und von einer etwas heftigen Natur, bemühte er sich dem Beispiel Jesu folgend, gütig und von Herzen demütig zu sein. In seinem und der Schwestern Umkreis geschahen wahre Wunder der Nächstenliebe.

Eines Tages stieß Boccardo im Gefängnis von Saluzzo, das er wie üblich zum Beichthören aufgesucht hatte, auf einen Betrunkenen. Es gelang ihm, diesen ins Hospiz zu bringen, wo er den Schwestern ans Herz legte, ihn mit allem Respekt zu behandeln. Dort aber drohte dieser, die Oberin umzubringen. Boccardo ordnete daraufhin an, ihn in ein Einzelzimmer zu verlegen, wo ihn die Schwestern immer zu zweit betreuen sollten. Von der Güte des Pfarrers und der Schwestern überwältigt, änderte der alte Mann sein Leben nach und nach und ersuchte darum, beichten und die Kommunion empfangen zu dürfen. Fürwahr, der erste Liebesdienst, den ein Priester seinen Brüdern anbieten sollte, war für Boccardo, ihnen die Wahrheit über Gott und den Menschen zu sagen, über das Leben und den Tod; bedingungslos Jesus Christus zu verkünden, der eben jene Wahrheit ist, in seiner ganzen Schönheit und all seinen Anforderungen, auch denen, die abverlangen.

Boccardo erfuhr diese Wahrheiten, die ihn vor allem in den letzten zwei Jahren seines Lebens forderten, am eigenen Leib. Am 26. Mai 1911 wurde er nach einer Predigt in S. Maurizio Cavese auf dem Heimweg von einer halbseitigen Lähmung getroffen und er blieb gelähmt bis zum Tod. Er starb am 30. Dezember 1913 in dem von ihm gegründeten Hospiz, nachdem er ein letztes Mal seinen Spruch getan hatte: „Ich danke Dir, mein Gott, dass es nicht nach meinem Willen geht.­ Sein Bruder Alois, Kanoniker, der ihm während der Krankheit zur Seite stand, sagte nach Boccardos Tod: „Der Pfarrer hat sich in den 31 Monaten seiner Krankheit mehr verdient gemacht als in den 31 Jahren seiner Pfarrseelsorge.“

Seine sterblichen Überreste ruhen in der Kapelle der Schwestern „Arme Töchter vom heiligen Kajetan“, Haus „Beato Giovanni Maria Boccardo“, via Roma, 11, Pancalieri (TO), Italien.

Am 24. Mai 1998 wurde Johannes Maria Boccardo von Papst Johannes Paul. II. in Turin seliggesprochen.


RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1996 – 2000. Innsbruck: Resch, 2010 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 4). XIII, 376 S., 86 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-088-9, Ln, EUR 39.90 [D], 40.98 [A]

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