Andreas Resch: Johannes Duns Scotus


JOHANNES DUNS SCOTUS
(ca. 1265-1308)

PROFESSPRIESTER
DES ORDENS DER MINDERBRÜDER D.
HL. FRANZ VON ASSISI

Kultbestät.: 6. Juli 1991
Fest: 8. November

JOHANNES DUNS SCOTUS wurde um 1265 in dem schottischen Städtchen Duns in Berwickshire geboren. Seine ersten Studien absolvierte er bei den Franziskanern von Haddington. 1282 trat er bei den Minderbrüdern in den Konvent von Dumfries ein, wo er von seinem Onkel, Bruder Elias Duns, dem damaligen Generalvikar des noch jungen, erst seit kurzem errichteten schottischens Vikariats, empfangen wurde. Im Franziskanerorden brachte er seine persönlichen Fähigkeiten und spirituellen Gaben zu höchster Vollendung und brillierte dabei durch Scharfsinn und lebhafte Intelligenz.

Am 17. April 1291 weihte ihn Oliver Sutton, Bischof von Lincoln, in der St. Andreas-Kirche in Northampton zum Priester. Nach seiner Ordination begann für Scotus ein ständiges Pendeln zwischen England und dem Kontinent. Etwa zwei Jahre lang studierte er in Oxford, bevor er 1293 nach Paris geschickt wurde, wo er u. a. Gonsalvus Hispanus zum Lehrmeister hatte.

Nach Erlangung der ersten akademischen Grade begann er in Paris zu unterrichten. 1297 kehrte er nach England zurück, wo er – nach einer eigenhändigen Notiz in der Ordinatio zu schließen, in der von einer „quaestionem cantabrigensem“ die Rede ist – möglicherweise auch in Cambridge lehrte. Im Juli 1300 kommentierte er in Oxford das Sentenzenwerk des Petrus Lombardus, Sententiarum libri IV. 1301 ging Scotus wiederum nach Paris und arbeitete dort in den Jahren 1302 / 03 weiter an seinem Kommentar. Nach dem Erwerb des Bakkalaureats an der Pariser Universität musste er die französische Hauptstadt 1303 verlassen, weil er in einem Konflikt zwischen dem französischen König Philipp dem Schönen und Papst Bonifatius VIII. den Papst unterstützt und am 25. Juli desselben Jahres seine Unterschrift für die Einberufung eines allgemeinen Konzils zur Absetzung des Pontifex verweigert hatte.

Während seines Exils, das kaum ein Jahr dauerte, lehrte Scotus weiterhin in Oxford. Schließlich konnte er aufgrund eines Empfehlungsschreibens des Generalministers der Franziskaner, Gonsalvus Hispanus, vom 18. November 1304 an das Professorenkollegium für Theologie der Pariser Universität wieder nach Paris zurückkehren und promovieren. 1805 folgten die Kooptierung und die Beauftragung als „magister regens“ des franziskanischen Studiums. Nach Abschluss des Trienniums musste Scotus die Universität von neuem verlassen, teils aus politischen Gründen, teils weil einige Gegner Zweifel an seiner Theologie geäußert hatten. Der Generalminister der Franziskaner schickte ihn daraufhin nach Köln, wo er eine Zeitlang lehrte, bevor er am 8. November 1308 mit nur 43 Jahren während des Unterrichts verstarb. Wenngleich es Johannes Duns Scotus durch seinen vorzeitigen Tod versagt blieb, seine Ideen besser darzulegen, konnte nicht verhindert werden, dass sein inzwischen anerkannter Genius die Zeiten überdauerte.

Sein literarisches Schaffen kann sowohl in Umfang und Qualität mit dem der großen Geister der Scholastik verglichen werden. In der kurzen Spanne seiner wissenschaftlichen Tätigkeit verfasste er zahlreiche philosophische Arbeiten, in erster Linie Kommentare und Abhandlungen zur aristotelischen Philosophie, unter denen De primo rerum omnium Principio besonders hervorsticht. Die vollständige Ausgabe seines Werkes in zwölf Bänden erschien 1639 bei Lucas Wadding in Lyon, doch hat die moderne Kritik den Katalog der Veröffentlichungen stark entrümpelt, wobei sie Scotus mit Sicherheit die Quaestiones in IV libros Sententiarum zuschreibt, besser bekannt als Opus Oxoniense seu Ordinatio, sowie die Reportatio bzw. zum gleichen Thema das Opus Parisiense; ebenso die Quodlibetalia, die Collationes, De primo principio und die Theoremata; zahlreiche Kommentare zu den Arbeiten über Logik des Aristoteles und des Porphyrius, darunter De anima und Metaphysica. Umstritten ist die Authentizität der großen Apologie über franziskanische Armut, De perfectione statuum. Als Hauptwerk gilt somit die Ordinatio, auf die er sein ganzes Herzblut verwandte, ohne dass es ihm gelang, noch letzte Hand anzulegen. Duns Scotus’ Lehrtätigkeit an den Universitäten zog aufgrund der Genialität und Tiefe seiner Gedanken ungewöhnliches Interesse auf sich. Kollegen wie Studenten wetteiferten um seine Skripten. Bedauerlicherweise konnte er seine Arbeiten aufgrund seines frühzeitigen Todes nicht mehr vollenden bzw. für die Veröffentlichung aufbereiten. Es waren letztlich seine Schüler, welche die unvollendeten Werke des Meisters zu Ende brachten.

Auch die biografischen Daten von Johannes Duns Scotus waren lange Zeit eher dürftig und in gewissem Maße unsicher. Sein Tod fiel mit der aufkommenden Säkularisierung der Kultur und dem sich daraus ergebenden schwindenden Interesse an den religiösen Aspekten der Scholastik und ihrer Vertreter zusammen. Von daher erklärt sich auch das mangelnde Interesse an den biografischen Daten eines Lehrers der Scholastik, der – außer im Bereich der Lehre – nichts Wesentliches hinterlassen hatte. Im Gegensatz zum hl. Bonaventura war Duns Scotus nie ein Mann der Macht und lebte weit weg vom Zentrum der Christenheit, wo mehr über seine Lehre bekannt war als über sein Leben. In den Ereignissen des Franziskanerordens nahm er eher eine Randstellung ein, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kommt, dass die erste Biografie über Johannes Duns Scotus, verfasst von Marianus von Florenz, auf das Jahr 1480 zurückgeht und viele Ungereimtheiten enthielt, die erst anhand eingehender Studien in den Jahren 1925 – 1935 aufgrund bedeutsamer Funde in den Archiven ausgemerzt wurden.

Die Originalität von Duns Scotus nimmt ihren Ausgang in einer Kritik am aristotelisch-thomistischen und am augustinisch-bonaventuranischen System, die sich an der Universität von Paris gegenüberstanden. Scotus sucht eine neue Synthese, wobei er auf subtile Unterscheidungen zurückgreift, um nichts, was auch in gegensätzlichen Systemen und Ansätzen an Positivem vorhanden ist, außer Acht zu lassen, da er die Unzulänglichkeit der Vernunft erkennt, wenn es darum geht, die konkrete Situation des Menschen zu erfassen, und daher den Glauben mit einbringt, denn: im Zentrum von allem steht Christus nicht nur als Erlöser, sondern auch als Vergöttlichung des Menschen. Daher gilt als die bedeutendste These seiner Metaphysik die Eindeutigkeit des Seins nicht im Sinne der Uniformität zwischen unendlichem und kreatürlichem Sein, sondern um hervorzuheben, dass es zwischen allem, was existiert, eine intrinsische Gemeinsamkeit gibt, die es uns gestattet, wenngleich unvollkommen, so doch legitim vom gleichen Unendlichen zu sprechen. Scotus legt dar, dass es eine auslösende Erstursache für alles geben muss, eine absolut perfekte Natur und ein letztes Ziel – Gott. Daher ist auch der menschliche Geist nicht nur für das Sein der wahrnehmbaren Dinge offen, sondern tendiert zur Ganzheit.

In der Kosmologie stützt sich Scotus auf die hylomorphische Theorie (Einheit von Materie und Form). Da ihn aber diese Theorie, derzufolge die Individuation durch die Materie bedingt ist, nicht befriedigt, erarbeitet er einen Vorschlag, nach dem weder die Materie noch die spezifische Form bestimmend ist, sondern ein letztes Prinzip, haecceitas (ein vom ihm geprägter Neologismus = „dieses Sein hier“), eine letzte vollkommene Entität. Auch der Mensch hat insofern eine hylomorphische Struktur, als Seele und Geist eine substantielle Einheit bilden. Einerseits hat der Körper eine eigene „forma corporeitatis“, während der Geist in gewisser Weise eine geistige Substanz ist, Prinzip von Erkennen und Wollen, die über die Ebene der Gefühlserfahrung hinausgehen. Der Primat in den Fähigkeiten wird dem Willen zugestanden. Das Gute wird hingegen nur dann zur moralischen Pflicht, wenn es ein notwendiges Gutes (Gott) ist oder unverzichtbares Mittel, um das letzte Ziel zu erlangen.

In der Theologie führt der Liebesbegriff Scotus dazu, die berühmte Doktrin des Christozentrismus zu postulieren: Christus, Gott-Mensch, ist für sich selbst von Gott gewollt, also auch dann, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte. Was den Begriff der unendlichen Liebe betrifft, so ist er Gegenstand gleichbleibender Liebe. Daher ist Christus Prinzip und Ziel der gesamten Schöpfung, in der Ordnung der Natur, in Gnade und Herrlichkeit. Unmittelbare Konsequenz dieser Doktrin ist die am 8. Dezember 1854 zum Glaubensdogma erklärte Unbefleckte Empfängnis: Maria konnte, da als Mutter Christi vorherbestimmt, von der Fülle der Liebe nicht ausgeschlossen sein. Zur Rechtfertigung der These, dass die Muttergottes sowohl erlöst als auch von der Erbschuld befreit sei, führt Scotus den Begriff der „Vorerlösung“ ein.

Angesichts all dieser Gedanken überrascht es nicht, dass Scotus von jenen, die ihn kannten und seine Vorlesungen hörten, mit dem Titel eines „doctor noster“, „doctor subtilis“ und „doctor modernus“ belegt wurde. Sein Ruhm wuchs auch nach seinem Tod noch weiter und fand rasche Verbreitung. Wegen des außerordentlichen Rufes der Heiligkeit, verstärkt durch Zeichen der Verehrung, wurde auf Anordnung von Papst Johannes Paul II. am 6. Juli 1991 das Dekret über die Bestätigung des Kultes seit unvordenklichen Zeiten für Johannes Duns Scotus veröffentlicht. Die würdige Feier des Zugeständnisses liturgischer Ehren erfolgte am 20. März 1993 im Petersdom in Rom.

Das Grab des Seligen befindet sich in der Minoritenkirche am Kolpingplatz in Köln, Deutschland.

 

Resch, Andreas: Die Seligen Johannes Pauls II. 1991 – 1995. Innsbruck: Resch, 2008 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 3). XIII, 321 S., 67 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-083-4, Ln, EUR 27.70 [D], 28.63 [A]

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