Andreas Resch: Johanna Jugan

JOHANNA JUGAN
(Maria vom Kreuz)
(1792-1879)

GRÜNDERIN
DES INSTITUTS DER
KLEINEN SCHWESTERN
DER ARMEN

Heilig: 11. Oktober 2009
Fest: 29. August

JOHANNA JUGAN (Maria vom Kreuz) wurde am 25. Oktober 1792 in dem kleinen Dorf Petites-Croix bei Cancale (Ille-et-Vilaine), Frankreich, als Tochter des Jean Jucan und der Maria Horel geboren. (Jucan war der eigentli­che Familienname, der wegen Johanna in Saint-Servan in Jugan umgewandelt wurde.) Die ersten Jahre verbrachte die kleine Johanna in der Geborgenheit ih­rer Familie. Diese wurde jedoch bald getrübt, zuerst durch den vorzeitigen Tod eines Bruders und zweier Schwestern und um 1798 durch den Tod des Vaters, eines Seemannes aus Neufundland, der während eines Sturms auf dem Meer ertrank. Die Mutter musste sich forthin allein um die vier Kinder kümmern. In der damaligen Zeit der sozialen Umwälzungen konnte die Erziehung und Aus­bildung der Kinder nur rudimentär erfolgen. Einige Terziarinnen aus dem Or­den des hl. Johannes Eudes, Hüterinnen des Glaubens des Volkes, unterwiesen Johanna im Lesen und Schreiben und lehrten sie den Katechismus. Wenngleich man im revolutionären Frankreich seinen Glauben nicht frei äußern konnte, war dieser in der bretonischen Seele nach wie vor fest verankert. Nach dem Konkordat zwischen Napoleon und Pius VII. im Jahre 1802 wurden in der Kir­che von Cancale wieder Gottesdienste abgehalten und Johanna empfing die ers­te hl. Kommunion.

Schon bald musste sie von zu Hause weg, um zum Unterhalt der Familie bei­zutragen. Um 1810 wurde Johanna im Dorf San Colombo, unweit ihres Heimat­dorfes, im Hause der Viscountess de la Choüe zu Mettrie-aux-Chouettes als Küchengehilfin aufgenommen. In dieser Zeit machte ihr ein junger Matrose den Hof, doch die kaum 18-jährige Johanna wich ihm aus. 1816 wurde in Can­cale eine große Mission abgehalten, an der sie mit Feuereifer teilnahm, und sie entschied sich, ihr Leben einzig und allein Gott zu weihen. Als sich dann der junge Matrose neuerlich einstellte und um ihre Hand anhielt, antwortete sie ihm fast prophetisch: „Gott will mich für sich. Er hat mich für ein Werk be­stimmt, das ich noch nicht kenne, ein Werk, das noch nicht existiert.“ 1817 trat sie in den vom hl. Johannes Eudes (1601 – 1680) gegründeten Dritten Orden des Herzens von der Wunderbaren Mutter ein, wo sie, in Eud’scher Spiritua­lität, lernte, lange das Herz Jesu und Mariä zu betrachten, in ihrer Gegenwart zu leben und alles aus Liebe zu tun. So verließ sie Cancale und ging nach SaMt­Servan, um dort im Spital von Rosais zunächst als Apothekenhelferin und dann als Hilfe bei einem betagten und kranken Priester zu arbeiten. In ihrer Freizeit unterwies sie jene in der christlichen Lehre, die diese nicht kannten.

Sechs Jahre später, 1823, trat sie in die Dienste von Frau Lecoq, deren Mitar­beiterin und Freundin sie 12 Jahre lang blieb. Sie beteten gemeinsam und üb­ten sich gemeinsam in Frömmigkeit, sie halfen in der Pfarre bei der Vorberei­tung der Erstkommunikanten und widmeten sich dem Besuch der Armen und Bedürftigen. Nach dem Tod von Frau Lecoq am 27. Januar 1835 mietete Johan­na zusammen mit ihrer Freundin Fran,oise Aubert eine bescheidene Unter­kunft in Saint-Servan und gab sich, unterstützt von zwei Gefährtinnen, ganz dem Dienst an den Kranken hin.

Im Winter 1839 sah sie sich mit dem Elend einer alten, blinden und kranken Frau namens Anna Chauvin konfrontiert, die nach dem Tod ihrer Schwester im Jahre 1840 allein war und sich in einem sehr schlechten Zustand befand. Johanna nahm sie in die Arme und legte sie auf ihr Bett. Bald darauf kam eine weitere alte Frau, dann eine dritte. Von diesem Augenblick an wusste Johanna, was ihre Mission war: sich den armen alten Leuten zu widmen. Inzwischen hat­ten sich ihr zwei weitere Mädchen, Maria Jamet und Virginia Tredaniel, ange­schlossen. Sie ersuchten daraufhin den Priester August Le Pailleur, ihr Spiritu­al zu werden. So entstand eine kleine Hospitalitergemeinschaft, die sich anfäng­lich „Dienerinnen der Armen“ nannte. Im Mai 1840 wurde Johanna zu deren Oberin gewählt. Sie erarbeitete eine Regel in Anlehnung an jene der Barmherzi­gen Brüder, und am 15. Oktober 1840 wurde die kleine Gemeinschaft de facto (später de iure) approbiert.

Dass sich Johanna die Regel der Barmherzigen Brüder zum Vorbild nahm, kam nicht von ungefähr. Diese hatten 1836 in Dinan, unweit von Saint-Servan, ein Spital für Geisteskranke gegründet, und ein Ordensmitglied, Bruder Claude Marie, traf sich bei seinen Sammelgängen des öfteren mit Johanna. Als er sah, dass sie große Schwierigkeiten hatte, für den Unterhalt ihrer armen Schützlin­ge aufzukommen, ermutigte er sie ebenfalls zum Betteln und gab ihr zu diesem Zweck einen Bettelkorb. Es war der erste, den Johanna gebrauchte. Bruder Claude berichtete alles seinem Provinzial, P. Felix Massot, der die Bedeutung des Werkes, das sich da anbahnte, sofort erkannte, zu dessen Förderer und Be­rater wurde und die kleine Kommunität einlud, sich dem Spitalsorden anzu­schließen. Am 15. Januar 1841 wurde vom General Bruder Benedikt Verno die Aufnahmeurkunde ausgegeben, die dann am 29. August des darauffolgen­den Jahres unterzeichnet wurde. Da die Zahl der alten Leute immer mehr zu­nahm, kaufte Johanna am 29. September 1841 ein größeres Haus, das „Haus des Kreuzes“ genannt wurde. Inzwischen ersetzte der zum Konsultor des auf­keimenden Werkes ernannte Priester Le Pailleur Johanna als Initiatorin, und so wurde sie am 8. Dezember 1843 gezwungen, auf das Amt der Oberin zu ver­zichten, woraufhin sie als einfache Bettelschwester das Werk in voller Verant­wortung weiter vorantrieb.

Am 4. Februar 1844 fügten die Dienerinnen der Armen ihren bereits in der Gemeinschaft abgelegten Gelübden der Keuschheit und des Gehorsams auch noch jene der Armut und der Gastlichkeit hinzu, die von Johanna als Ausdruck des vollen Mitgefühls verstanden wurden in dem Sinne, jeden so anzunehmen, wie er ist. Gleichzeitig wurden die „Dienerinnen der Armen“ in „Schwestern der Armen“ umbenannt, wobei jede Schwester einen Ordensnamen erhielt. So wurde aus Johanna Sr. Maria vom Kreuz, die ihre Arbeit als einfache Bettelschwester weiterführte und so das Überleben der Gemeinschaft sicherte. In den Augen des Volkes war sie die Oberin.

Im Herbst 1845 wurde Sr. Maria vom Kreuz von der Academie fratwaise mit dem Montyon-Preis ausgezeichnet, der für arme Franzosen oder Französinnen vorgesehen ist, die als Initiatoren besonderer Werke gelten. Der Preis wurde ihr in der öffentlichen Sitzung vom 11. Dezember 1845 in Anwesenheit der be­deutendsten Schriftsteller der damaligen Zeit übergeben.

Nach Annahme der endgültigen Bezeichnung Kleine Schwestern der Armen erlebte das Institut, das zur Betreuung armer alter Menschen gegründet wor­den war, einen enormen Aufschwung. Es entstanden Häuser in Dinan (1846), Paris, Nantes, Besatwon (1849), Angers, Bordeaux, Rouen und Nancy (1850). Am 29. Mai 1852 erhielt die Kongregation die Diözesanapprobation und am 9. Juli 1854 die Approbation durch Pius IX. Damals zählte sie bereits 500 Schwes­tern und 36 Häuser.

1852 wurde Maria vom Kreuz abrupt in das Mutterhaus nach Rennes ver­setzt, welches dann 1856 gemeinsam mit dem Noviziat nach La Tour Saint-Jo­seph verlegt wurde. Es war dies der Beginn ihres Rückzuges, mit 60 Jahren und bei noch guter Gesundheit. Er dauerte 27 Jahre. Inmitten der Novizinnen, von denen sie „Kleine Sr. Maria vom Kreuz“ genannt wurde, bewahrte sie sich wei­terhin ihre Demut und Fröhlichkeit, eine aufmunternde Güte und einen mit­reißenden apostolischen Eifer. So wirkte sie durch ihren Glauben und ihre Nächstenliebe auf Generationen von Kleinen Schwestern der Armen, wenn sich auch die Erinnerung an sie als Gründerin des Werkes sogar innerhalb der Mau­ern des Instituts verlor. Sr. Maria nahm trotz allem mit großem Interesse an der Entwicklung des Werkes teil, das sich über die Grenzen Frankreichs hinaus nach England (1851), Belgien (1853), Spanien (1863), Irland, Amerika, Nord­afrika (1868), Italien (1869) und Malta (1878) ausbreitete, und begleitete die Arbeit mit ihrem Gebet bis zum letzten Tag.

Johanna Jugan starb am 29. August 1879 in La Tour Saint-Joseph, wobei sie noch bei vollem Bewusstsein betete: „Ewiger Vater, öffne deine Pforten, heute, für die niedrigste Deiner Dienerinnen, deren größter Wunsch es ist, Dich zu se­hen. 0 Maria, gute Mutter, komm‘ zu mir. Du weißt, wie sehr ich Dich liebe und wünsche, Dich zu sehen.“

Ihr Grab befindet sich bei den Petites Soeurs des Pauvres in La Tour des Saint-Joseph, Saint-Pern, Frankreich.

Die Kongregation zählte damals 2.400 Kleine Schwestern, verteilt auf zehn Länder. Das Andenken an die Gründerin ist Alexandre Leroy zu verdanken, der 1902 die erste Geschichte der Kleinen Schwestern niederschrieb, wobei er jene Schwestern, die Maria vom Kreuz noch persönlich gekannt hatten, bat, ihre Er­innerungen zu Papier zu bringen.

Am 11. Oktober 2009 wurde Johanna Jugan von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen, nachdem Papst Johannes Paul II. sie am 3. Oktober 1982 seliggesprochen hatte.

 

RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Benedikts XVI. 2005 – 2012. Innsbruck: Resch, 2013, XII, 204 S., 48 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-096-4, Ln, EUR 25.90 [D], 26.60 [A]

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