Andreas Resch: Johanna Delanoue


JOHANNA DELANOUE
(1666-1736)

MITBEGRÜNDERIN
DER KONGREG. DER
HL. ANNA
VON DER VORSEHUNG

Heilig: 31. Oktober 1982
Fest: 17. August

JOHANNA DELANOUE wurde am Freitag, den 18. Juni 1666, als Tochter von Pierre Delanoue und Françoise Hureau in Saumur, Diözese Angers, Frankreich, geboren. Bei der Taufe in der Kirche Notre-Dame des Ardilliers, die später zum Mittelpunkt ihrer religiösen Tätigkeit wurde, erhielt sie den Namen Johanna. Sie war das jüngste von 12 Kindern einer einfachen Kaufmannsfamilie, die in Fenet, in der Nähe des Heiligtums Notre-Dame des Ardilliers, eine Kurzwarenhandlung betrieb.

Johanna erlebte eine fromme Kindheit und Jugend, die allerdings von Skrupeln und Gewissensbissen getrübt war. Der Vater war Wanderhändler und schon 48 Jahre alt, als die Kleine erst vier war. Dies prägte ihre kindliche Erfahrung, wie folgende Belehrung jenen gegenüber zeigt, die später ihre Gefährtinnen im Ordensleben wurden: „Seht euch diesen reichen Mann an, der immer nur zusammengerafft und dabei verächtlich auf all die kleinen Händler geblickt hat, die zum Verkauf ihrer minderwertigen Ware von Ort zu Ort ziehen mussten, um sich ihr Brot zu verdienen. Auch er hat einmal als kleiner Händler angefangen und sein Bündel auf den Schultern getragen. Dann kam er durch Betrügereien zu Wohlstand, der sich immer weiter vermehrte, und so kaufte er zuerst ein Pferd, dann zwei, und schließlich wurde er ein ,Herr‘ auf Kosten der kleinen Kaufleute, die er verachtet, denen er nicht mehr ins Gesicht blickt.“

Von derlei Gewissensbissen gepeinigt und mit einem scharfen Verstand gesegnet machte Johanna ihre ersten Lernschritte in der örtlichen Schule. Mit sechs Jahren verlor sie den Vater und mit zehn Jahren, nach dem Empfang der Erstkommunion, verließ sie die Schule der Ursulinen, um im Kurzwarengeschäft der Mutter zu arbeiten. Sie war aktiv, realistisch eingestellt und für das Geschäftsleben wie geschaffen, doch nährte sie in ihrem Herzen einen Schmerz, der sie ihre gesamte Jugend hindurch begleitete, nämlich das Bedürfnis, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben.

Nach dem Tod der Mutter 1692 führte Johanna den Laden mit einer 17-jährigen Nichte weiter. Die Geschäfte gingen gut, die Armen aber verursachten Spesen. Die Almosen aus dem Hause Delanoue waren aufgebraucht. Um tatsächlich sagen zu können, dass sie nichts mehr zu verschenken habe, wartete Johanna, die aus Anstand nicht lügen wollte, bis zur Mittagszeit, um nur das notwendigste Brot zu kaufen. Und dennoch hielt sie, als Christin, das Geschäft auch sonn- und feiertags geöffnet, worüber sich ihre Mitbürger mit Staunen empörten. Konnte diese kleine Händlerin da, die anscheinend dazu bestimmt war, im Geschäft ihrer Mutter als alte Jungfer zu verkümmern, denn ruhig leben? Sie betete unentwegt zur Jungfrau Maria und oft rief sie den Heiligen Geist an, damit er sich in ihrem Leben kundtue.

Warum nun hatte sie sich an jenem Sonntag aufgemacht, um die Predigt des Kaplans des Hotel-Dieu zu hören? Er sprach über die Notwendigkeit, oft gute Werke zu tun, allein um Gott zu gefallen. Das wusste sie nur zu gut, und doch war sie getroffen. Sie suchte den Priester auf, um die Beichte abzulegen. Er aber empfing nur jene zur Beichte, die ein christliches Leben führen wollten. Und das bedeutete, das Geschäft an Sonn- und Feiertagen geschlossen zu halten. Johanna willigte ein und alles in ihr wurde neu. Sie fing an, die Armen zu besuchen. Am Pfingsttag nahm sie eine arme Frau aus Rennes bei sich auf, eine Bettlerin, die nach Ardilliers gepilgert war. Diese Frau sagte seltsame Dinge und gab ihr das Empfinden der Vergänglichkeit des Lebens ohne Führung des Heiligen Geistes. Von jenem Tag an galt für Johanna die Hingabe an die Armen als das einzige Lebensideal. Sie machte sich auf die Suche nach denen, die ihr Françoise Souchet im Namen Gottes genannt hatte, in Poitrineau, in Saint-Florent, und sie fand noch weitere. Ihnen brachte sie, was sie brauchten, und wusch im Fluss ihre Wäsche.

Am Fronleichnamsfest 1693 fiel sie plötzlich in Ekstase. Drei Tage und drei Nächte verbrachte sie ohne Essen und Trinken, ganz von Gott ergriffen – inmitten ihrer Arbeit, in ihrem Geschäft. Sie entstieg daraus mit dem tiefen und unabänderlichen Vorsatz, ihre ganze Sorge und die wenigen Habseligkeiten, die sie besaß, den Armen zu widmen, da sie in jedem Einzelnen von ihnen Christus zu erkennen glaubte.

Später sagte sie, dass sie die Mutter Gottes gesehen habe, die auf sie zuging, um sie zu umarmen, und ihr einen Rosenkranz gab. Sie hatte auch die Hölle gesehen, die sonderbarerweise den misslichen Bedingungen ähnelte, in denen viele Menschen lebten, die in ihrem Herzen ihre Geschwister wurden. So erhielt sie die Bestätigung ihrer Berufung, sie wusste um ihren Auftrag und was der Herr von ihr wollte: völlige Hingabe an die Armen und völlige Verleugnung ihrer selbst.

Tatsächlich gab sie 1698 ihr Geschäft auf, um Tag und Nacht arme Familien weitab ihrer Wohnung zu besuchen. 1700 beherbergte sie in ihrem Haus ein Mädchen, weitere folgten und schließlich kamen auch alte Leute. Um die Höchstform von Liebe und Achtung zu praktizieren, wollte sie erfahren, was es hieß Almosen zu erbitten, und so machte sie sich eines Tages mit einer Gefährtin in Richtung Tours auf. Es war dies eine echte Prüfung und an Ablehnung mangelte es nicht. Die beiden bekamen den Hunger am eigenen Leib zu spüren und mussten betteln, um ihren Weg fortsetzen zu können.

Eines Morgens im Juli 1703 kam es zur Katastrophe. Johannas Haus wurde durch einen Erdrutsch verschüttet, ein Kind starb unter den Trümmern. Damals gab man ihr zu verstehen, die um dieses Kind trauerte, dass Gott ihre Initiative nicht gutheiße, und sie sagte sich: „Die Vorsehung ist auf Erden!“ Johanna, arm unter Armen, weigerte sich, die Menschen zu verlassen und machte sich gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach einer Bleibe. Das einfache Volk war mit ihr und unterstützte sie. Langsam kam sie wieder ins Lot, immer noch im gleichen Viertel; und sie war sich sicher, dass Gott ein Scheitern nicht zulassen würde. Im September 1703 traf das erste Mädchen ein, die 26-jährige Johanna Bruneau aus Bourgueil; ihr folgte schon bald Anne Marie Tenneguin aus Churé-sur-Loire. Auch Johannas Nichte ließ sich auf das Abenteuer der kleinen Gemeinschaft ein.

Am 26. Juli 1704, dem Fest der hl. Anna, deren Namen das neue Institut nunmehr trug, weihten sich die vier jungen Frauen Gott und den Armen. Mitten im Sommer trugen sie armselige Gewänder aus grobem Leinen. So entstand die Kongregation der hl. Anna von der Vorsehung (Abb.). Gemeinsam führten die vier Frauen ein Leben des Gebets und der Dienstbarkeit, wobei sie mit den ärmeren Geschwistern eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft bildeten. Ihre Sorgen waren die Sorgen der Armen geworden. Schon bald zählten sie mehr als 200 Personen: Alte, Frauen und Kinder. Trotz mangelnder materieller und finanzieller Mittel genügte Johanna allen Anforderungen und es fehlte nie an Brot.

1706 kam der hl. Alois Maria Grignion de Montfort auf Besuch zu Johanna nach Saumur. Er sprach mit den Schwestern und ermunterte sie eingehend, weil er – überzeugt vom Eifer der neuen Kommunität – in dieser Institution die Hand und das Werk Gottes sah.

Da Johanna gezwungen war, in der Nähe der Oratorianer zu wohnen, die zum Großteil die extrem rigorosen Einstellungen der Jansenisten übernommen hatten, hatte sie viel zu leiden, vor allem weil ihre Bitte, auch täglich die Kommunion empfangen zu dürfen, abgelehnt wurde. Johanna bereitete inzwischen eine Regel vor, die am 29. September 1709 vom Bischof von Angers approbiert wurde. Die Anerkennung seitens der Kirche war für sie ein Quell großer Freude und neuer Energie, um den Weg fortzusetzen. Gleichzeitig erlebte sie tiefe seelische Schmerzen und mystische Prüfungen, worüber Sr. Maria Laglie, ihre langjährige Vertraute und spätere Nachfolgerin, sehr präzise Informationen hinterließ. Johanna hatte die nötigen Visionen, um bei ihrer sehr delikaten Aufgabe, als Beraterin zu fungieren und Entscheidungen zu treffen, die entsprechenden Eingebungen zu erhalten. Ihrer bediente sie sich auch, um Priester und Oberinnen von Frauenklöstern anzuleiten. Nachdem sie ihre Armen immer in barackenähnlichen Unterkünften am Fuße des Hügels hatte unterbringen müssen, war sie nun endlich in der Lage, ihnen ein Dach über dem Kopf anzubieten, das diesen Namen auch verdiente. Inzwischen hatten sich ihre Aktivitäten bereits über die Grenzen von Saumur hinaus verbreitet. 1721 wurde die erste kleine Gemeinschaft in Brézé errichtet. Die Schwestern zogen in kleinen Gruppen durch die Straßen von Frankreich und gründeten vielerorts neue Kommunitäten. Die Gründerin setzte ihr Werk ohne Unterlass fort und führte dabei ein Leben des Gebets und der Nächstenliebe. Langsam begannen die Jahre jedoch zur Last zu werden und sie erkrankte. Trotz allem erlebte sie noch Tage „großer Gnadenerweise und Tröstungen“ bis zu ihrem Tod am 17. August 1736, im Alter von 70 Jahren, in Saumur, als man überall hörte: „Die Heilige ist gestorben.“ Johanna hinterließ Häuser in der Bretagne, in Berry und in der Touraine sowie zehn öffentliche Schulen. Im Umfeld von Saumur hatte sie mehr als 600 Pfleglinge.

Ihr Grab befindet sich in der Kirche Notre-Dame des Ardilliers im Mutterhaus der Soeurs de Jeanne Delanoue in Saint-Hilaire-Saint-Florent, Saumur, Frankreich.

Am 9. November 1947 wurde Johanna Delanoue von Papst Pius XII. seliggesprochen und am 31. Oktober 1982 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Johannes Pauls II. 1982 – 2004. Innsbruck: Resch, 2012 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 5). XIV, 480 S., 109 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-094-0, Ln, EUR 48.60 [D], 49.90 [A]

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