Andreas Resch: Franziska Salesia Aviat

FRANZISKA SALESIA AVIAT
(Léonie)
(1844-1914)

GRÜNDERIN DER KONGREGATION
DER OBLATINNEN DES
HL. FRANZ VON SALES

Heilig: 25. Nov. 2001
Fest: 10. Januar

FRANZISKA SALESIA AVIAT (Léonie) wurde am 16. September 1844 als Tochter der ehrbaren, wenn auch religiös eher untätigen Kaufleute Theodor Aviat und Emilia Caillot in Sézanne, Departement Marne, Frankreich, geboren und am Tag darauf auf den Namen Léonie getauft.

Nach dem Besuch der Volksschule in Sézanne kam sie in das Pensionat der Schwestern der Heimsuchung in Troyes, mit Mutter Maria Salesia Chappuis als Oberin und Aloisius Brisson als Kaplan. Diese beiden Personen, die ganz von der Lehre und dem Geist des hl. Franz von Sales erfüllt waren, hatten großen Einfluss auf die spirituelle Entwicklung Léonies, die bis zu ihrem 16. Lebens­jahr in Troyes blieb. Hier empfing sie auch das Sakrament der Erstkommunion und der Firmung.

Als sie dann mit 16 in die Familie zurückkehrte, hatte ihr Vater bereits Vorbe­reitungen für die Hochzeit mit einem reichen und vornehmen Bürger des Or­tes getroffen, doch fühlte sich Léonie zum Ordensstand berufen und entsprach damit zum ersten Mal nicht dem Willen des Vaters.

Zur damaligen Zeit vollzogen sich in der europäischen Gesellschaft gerade weitreichende ökonomische Veränderungen, die unter dem Einfluss der marxistischen Ideologie mit ihrem Klassenkampf zu einer Verschärfung der sozialen Spannungen und zur Revolution des Proletariats führten. Auf der eine Seite stand eine „neue Form des Eigentums, das Kapital“, auf der andern eine „neue Form der Arbeit… ohne die gebührende Rücksicht auf Geschlecht, Alter und Familienstand“. Der wirtschaftliche Liberalismus zielte allein „auf Gewinnmaximierung“, der Lohn reichte nicht einmal „für das Notwendigste zum Unterhalt der Person und deren Familie“. Die Maschinen ersetzten die menschliche Arbeitskraft, die Arbeit selbst wurde zur Ware, die den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen und zunehmend weniger gefragt war, auch weil Kinder- und Frauenarbeit an die Stelle des Arbeiters traten, ohne jedweden Schutz und ohne jegliche Unterstützung. Hinzu kam, dass der Arbeitstag kaum geregelte Zeiten kannte.

Auch die Textilfabriken in Troyes nahmen blutjunge Mädchen vom Lande auf, die ohne jede Ausbildung und auf sich allein gestellt waren. Anlässlich des Besuchs eines solchen Industriebetriebs kam in Léonie der Wunsch auf, sich der Ausbildung und geistigen Formung der jungen Arbeiterinnen zu verschreiben. So ersuchte sie 1866 darum, in das Kloster der Heimsuchung zu­rückkehren zu dürfen, um dort in geistiger Abgeschiedenheit über einen Weg für ihre Mission nachzusinnen. Damals kam sie auch mit der von Pater Brisson initiierten Hilfsorganisation für junge Arbeiterinnen in Kontakt. Diese be­deutende Vorläuferin der Sozialbewegung Ende des 19. Jahrhunderts hatte 1858 unter der Bezeichnung „Werk des hl. Franz von Sales“ die sog. Oeuvres-ouvrières (Arbeiterinnenheime) zur Aufnahme junger Frauen und zu deren humanen und christlichen Ausbildung ins Leben gerufen. Für sichere Unterkünfte und die nötige Verpflegung war damit gesorgt, nicht aber für menschliche und religiöse Bildung, wozu es einer kontinuierlichen Anleitung bedurfte. Angesichts der Schwierigkeit, jemanden zu finden, der für diese Aufgabe geeignet war, erwog Brisson die Gründung ei­ner Ordensgemeinschaft, um die Werke auf eine gesicherte und permanente Basis zu stellen. Gerade in Léonie Aviat fand er jene kostbare Mitstreiterin, in der er zudem die religiöse Berufung erkannte. Tatsächlich hatte Léonie das Kloster am Ende ihrer Studien in der Absicht verlassen, wieder dorthin zurückzukehren, um Laienschwester zu werden. Doch hatten ihr P. Brisson und Mutter Chappuis geraten, abzuwarten. Die junge Frau gehorchte, weil sie dies als Willen Gottes ansah; bald darauf aber wurde ihr ein so außergewöhnliches Zeichen zuteil, dass eine Täuschung ausgeschlossen war. Sie hatte eine Optikerwerkstatt betreten, um eine Bestellung aufzugeben, als sie ein Geistesblitz durchfuhr und zu einer Entscheidung führte. In der Werkstatt traf sie auf eine beträchtliche Anzahl junger Frauen, die dort unter dem wachen und wohlwollenden Auge der Aufseherin ihre Arbeit verrichteten. Dies weckte in ihr den Wunsch, sich zu ihnen zu gesellen, um sie zu beraten und anzuleiten. Als Pater Brisson sie einlud, das von ihm gegründete Heim in Troyes zu besuchen, war Léonie sehr bewegt und verwundert zugleich; sie nahm die Einladung an, die sie als einen Ruf betrachtete, ihre erzieherischen Bestrebungen in die Praxis umzusetzen.

Am 18. April 1866 trat sie gemeinsam mit einer ihrer Gefährtinnen aus dem Kloster der Heimsuchung dem „Werk des hl. Franz von Sales“ bei. Damit war der Grundstein für das Institut der Oblatinnen des hl. Franz von Sales gelegt.

Am 30. Oktober 1868 nahm die junge Gründerin zusammen mit ihrer ersten Mitstreiterin, Lucia Canuet, das Ordenskleid und trug von nun an den bezeich­nenden Namen Sr. Franziska Salesia. Dieser Name war für sie regelrecht Programm, wie ihren persönlichen Notizen vom August 1871 zu entnehmen ist: „Heiliger Franz von Sales, Ihr habt mich zur Leiterin dieser kleinen Gruppe auserkoren. Gebt mir Euern Geist, Euer Herz…. Lasst mich teilhaben an dem Band, das Euch mit Gott verbindet und an dem inneren Geist, der mit Gott alles und ohne Gott nichts vermag!“ Die „kleine Gruppe“, die sie anführte, unterstellte sich dem Schutz des heiligen Bischofs von Genf und nahm ganz dessen Spiritualität und Pädagogik an. Das erklärt auch, warum die Gruppe Oblatinnen des hl. Franz von Sales genannt wurde.

In der Zwischenzeit schlossen sich ihr weitere junge Frauen an. Am 11. Oktober 1871 legte Sr. Franziska – verzögert durch die deutsche Okkupation 1870 – die Profess ab und wurde 1872 die erste Generaloberin des aufstrebenden und vom Bischof von Troyes approbier­ten Instituts. Am 5. Juni 1872 erhielt die Kongregation das „Decretum laudis“ vom Hl. Stuhl. Die 1890 für zehn Jahre genehmigten Konstitutionen wurden am 4. April 1911 endgültig approbiert.

Die Hilfswerke für die jungen Arbeiterinnen erfuhren unter der Leitung von Mutter Franziska und durch den unermüdlichen Einsatz von Pater Brisson sowie mit Hilfe der ersten Schwestern der jungen Gründung eine Ent­wicklung von bis dahin ungekannter Originalität. Die Werke und Familien­häuser, in denen die jungen Frauen im Praktischen wie im Spirituellen auf ihre künftige Mutterrolle in den Familien vorbereitet wurden, nahmen stetig zu.

Mutter Franziska betätigte sich als Arbeiterin unter Arbeiterinnen und ließ diese die Freude an der geleisteten Arbeit bewusst erfahren, wenngleich der Lohn von einem Soldo die Stunde gering war. Die jungen Frauen lernten die Würde der Arbeit als ein Instrument der Nächstenliebe begreifen, konnten sie doch auf diese Weise bedürftigen Gefährtinnen eine Stütze sein!

Nachdem die Werke in Troyes auf einem soliden Fundament standen, be­gab sich Mutter Aviat nach Paris, um dort ein Pensionat für höhere Töchter zu schaffen, womit sie genauso erfolgreich war wie mit den Werken zugunsten der jungen Arbeiterinnen. Nach acht Jahren Aufenthalt kehrte sie wiederum nach Troyes zurück; sie blieb dort 15 Jahre, von denen sie vier als einfache Schwester verbrach­te und dabei die Feindseligkeiten einiger Mitschwestern geduldig ertrug.

1893 wurde Mutter Franziska erneut zur Generaloberin gewählt und blieb dies bis zu ihrem Tod. Während ihrer neuen Amtszeit festigte sie die schon begonnenen Werke und bemühte sich, ebensolche Werke der Kongregation auch in Österreich, England, Italien, der Schweiz, in Südafrika und in Ecuador einzuführen.
Als in Frankreich 1903 jene subversiven Gesetze in Kraft traten, welche die Plünderung der Besitztümer der religiösen Kongregationen vorsahen, wurden 23 bereits gut organisierte Häuser sowie sechs Häuser in der Trägerschaft der Patres Oblaten geschlossen und dem Zwangsverwalter überlassen. Um dieser Unterdrü­ckung entgegenzuwirken und möglichst viele Häuser zu erhalten, ver­legte Mutter Aviat das Mutterhaus 1904 in ihre zweite Heimat nach Perugia in Italien. Von dort aus lenkte sie die Geschicke, perfektionierte die Organi­sation und ermutigte ihre Schwestern durch Briefe, Besuche und tröstlichen Zuspruch.

Am 2. Februar 1908 weilte sie am Sterbebett des verehr­ten Pater Brisson in seinem Heimatdorf Pancy. Um am Begräbnis teilnehmen zu können, musste sie in weltliche Gewänder schlüpfen. Es war dies eine harte Probe für sie, die sie gottergeben ertrug: „Fügen wir uns dem Willen Gottes, so wie es uns der gute Pater vorgelebt hat.“

In den letzten sechs Jahren ihres Lebens wachte Mutter Aviat mit penib­ler Sorgfalt über die endgültige Ausarbeitung der Konstitutionen des Instituts, die 1911 vom hl. Papst Pius X. approbiert wurden. Sie starb am 10. Januar 1914 in Perugia im Alter von 69 Jahren – im Ruf der Heiligkeit und allgemein betrauert. 1928 wurde ihre sterbliche Hülle in die dortige Kapelle der Oblatinnen übertragen und im April 1961 nach Troyes gebracht, wo sie in der Krypta Saint-Gilles im Mutterhaus der Soeurs Oblates des Saint-François de Sales, 4-10, rue des Terrasses, ihre letzte Ruhestätte gefunden hat.

Am 25. November 2001 wurde Franziska Salesia Aviat von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen, der sie am 27. September 1992 seliggesprochen hatte.

 

RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Johannes Pauls II. 1982 – 2004. Innsbruck: Resch, 2012 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 5). XIV, 480 S., 109 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-094-0, Ln, EUR 48.60 [D], 49.90 [A]

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