Chaldäer

(Griech. Chaldioi), ursprünglich die Bezeichnung für einen Volksstamm, der seit dem frühen 1. Jh. v. Chr. in Babylonien nachweisbar ist. Unklar ist, ob sie Westsemiten bzw. Aramäer oder eine eigene ethnische und sprachliche Größe unter den semitischen Völkern waren. Seit der 1. Hälfte des 9. Jh. v.  Chr. sind sie als Feinde der Assyrer in akkadischen Texten u.a. als Kaldu belegt. Die Etymologie ist unbekannt, da „Chaldäer“ nur als Fremdbezeichnung auftaucht.
Sowohl in der biblischen (Hdt. I.181; Dan 2,4; 4,4) als auch in der klassischen Überlieferung (Diog. Laert. 1,1,6) ging außerhalb Babyloniens nach dem Untergang des babylonischen Reiches die Bezeichnung C. auf die in Rom und Griechenland sehr geschätzten babylonischen Astrologen, Magier, Zukunftsdeuter und Gelehrten über. Von ihnen sollen Pythagoras, Demokrit, Zoroaster, Cyprianus u.a. ihre Weisheit bezogen haben. Echte Chaldäer, und solche, die sich so nannten, waren nämlich schon im 4. Jh. v.  Chr. in Griechenland verbreitet und zogen durch ihre Geheimlehren und ihre Magie Aufmerksamkeit auf sich (Boll).

Die als „chaldäisch“ ausgewiesene Zauberliteratur befand sich in einem Bibliothekssaal in Ninive in Form von beschriebenen Tonplatten, ursprünglich bei 200. Das jetzt noch Erhaltene kann als die Abschrift einer wesentlich älteren Quelle (884-860 v. Chr.) gelten.
Das Material zeigt, dass die C. ein sehr ausgeklügeltes dämonologisches System besaßen, welches einen mindestens ebenso großen Einfluss auf die abendländische Geisteswelt ausübte wie das ägyptische (Schröder). Dämonen seien bei Wettererscheinungen und besonders bei Krankheiten von Mensch und Tier am Werk, deren man mittels Beschwörung Herr zu werden versuchte. Die Austreibung von Krankheitsdämonen ging mit Hilfe eines Bildnisses derselben in der Annahme vor sich, dass die Dämonen vor ihrem eigenen Anblick flüchten würden. Haus und Bewohner sollten > Amulette und > Talismane schützen.
Die Zauberliteratur gibt zwar keine Anweisung für Zauberhandlungen, wohl aber wie man sich dagegen wehren kann. Die häufigste Form des > Schadenzaubers sind der > Böse Blick und der > Wachspuppenzauber, bei dem man einem Abbild das zufügt, was man dem Feind antun möchte.
Besonders geschätzt waren die astrologischen Kenntnisse der C. So werden sie in den astrologischen Traktaten der Spätantike oft als Autorität angeführt (Cumont) und Oracula Chaldaica waren mit ihrem Namen verbunden.
In der römischen Kaiserzeit änderte sich dann das Ansehen der C. aufgrund der zahllosen umherwandernden Wahrsager und Gaukler, die sich ihren Lebensunterhalt durch Horoskope und Wahrsagen verdienten. Eudoxos von Knidos (zit. bei Cicero, De Divinatione II, 42,87) schreibt: „Man glaube nicht den Chaldäern, die das Leben des Menschen vorhersagen und nach dem Tag seiner Geburt bestimmen.“ Im römischen Kaiserreich wurden die C., weil sie die Zukunft durch Berechnung der Gestirne zu erkunden suchten, meist „mathematici“ genannt, deren Tätigkeit zu verbieten sei. Kaiser Tiberius (42 v. Chr. bis 37 n. Chr.) versuchte vergeblich, sie aus Italien zu vertreiben. Auch spätere römische Kaiser gingen mit „Zauberern, Mathematikern und anderen dergleichen“ hart ins Gericht, wie die im Codex Justinianus aufgelisteten Verordnungen zeigen.

Lit.: Catalogus codicum astrologorum Grecorum. Bd. I-VIII, hrsg. von Franz Boll, Franz Cumont, usw. Brüssel: Lamertin, 1898; Cumont, Franz: Astrology and Religion among the Greek und Romans. London, 1912; Schröder, Franz Rudolf: Germanentum und Hellenismus: Untersuchungen zur german. Religionsgeschichte. Heidelberg: Carl Winter, 1924; Boll, Franz: Sternglaube und Sterndeutung. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1966; Lenormant, François: Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer. Walluf (bei Wiesbaden): Sändig, 1974; Codex Justinianus. Leipzig: Reclam, 1991.
Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.