Böhme, Jakob

(*1575 Alt-Seidenberg bei Görlitz; †16./17.11.1624 Görlitz, Schlesien), Mystiker und Theosoph lutherischer Prägung, „Philosophus Teutonicus“.
Leben
Der Bauernsohn erlernte das Schuhmacherhandwerk, das er bis März 1613 in Görlitz ausübte.

Während seiner Zeit als Schustergeselle kam einmal ein Fremder in den Laden, kaufte Schuhe und rief nach Verlassen des Geschäfts von der Straße aus: „Jakob, komm heraus!“ Als dieser hinausging, blickte ihm der Fremde in die Augen und sagte: „Jakob, du bist klein, aber du wirst groß und gar ein anderer Mensch werden, dass sich die Welt über dir verwundern wird. Darum sei fromm, fürchte Gott und ehre sein Wort. Du wirst viel Not und Armut mit Verfolgung leiden müssen, aber sei getrost und bleibe beständig“ (nach Weiss, 10).
1599 erwarb sich B. in Görlitz das Meister- und Bürgerrecht und heiratete die Tochter eines Görlitzer Fleischermeisters, die ihm vier Söhne schenkte.Seine Initiation als Mystiker ereignete sich im Jahr 1600, nachdem er durch den örtlichen Pastor Martin Molle mit den Werken der Mystiker Johannes > Tauler, Jan van > Ruysbroeck und Heinrich > Seuse bekannt gemacht worden war. Sein Biograf Frankenberg berichtet von vier Verzückungen, bei denen er vom göttlichen Licht ergriffen und von Gott berührt worden sei. Der zweite Raptus von 1600 erfolgte beim Anblick eines Zinngefäßes, auf das ein Sonnenstrahl fiel. Der liebliche Schein habe ihn in den innersten Grund der geheimen Natur eingeführt. Man könnte hier an eine hypnotische Induktion denken. Dagegen spricht aber, dass der plötzliche Eindruck B. für das Leben prägte und dass darin urplötzlich offenbar wurde, dass er fortan alles Lebende und Tote in der Natur nach seiner „Signatur“, den physiognomischen Merkmalen durchschauen konnte, in denen sich das Innerliche sinnbildlich ausdrückte. Zudem berichtete er erst zwölf Jahre später im Werk „Morgenröte“ über diese spirituelle Erweckung. Auf alle Fälle beeindruckten diese Schauungen seine Umgebung und weckten ein unstillbares Interesse an seinen Eingebungen, das sonst wohl kaum entstanden wäre, denn seine Gedankengänge sind nicht nur ungewohnt, sondern auch schwierig.
1610 konnte sich B. bereits ein Haus kaufen. Als Grübler und tiefsinniger Denker vertiefte er sich in die Bibel und in allerlei mystische und naturphilosophische Schriften. In diesem Suchen wurde er auch im Umgang mit Anhängern von > Paracelsus, Valentin Weigel und Kaspar Schwenckfeld beeinflusst und geriet dabei in Zweifel über die überlieferte kirchliche Schöpfungslehre. Schließlich brachten ihm visionäre Erlebnisse Klarheit über das Verhältnis der Schöpfung und des in der Welt vorhandenen Bösen zu Gott als dem Schöpfer einer vollkommenen Welt. 1612 schrieb B. diese Gedanken nieder, die wie ein Platzregen über ihn kamen, sodass Hand und Feder ihnen nacheilen mussten. Das Manuskript mit dem Titel „Aurora oder die Morgenröte im Aufgang“ wurde von einem Freund heimlich kopiert und so verbreitet. 1613 verkaufte B. seine Schuhbank und betrieb mit seiner Frau einen Garnhandel, um mehr Zeit für seine philosophische Schriftstellerei zu haben. Im Juli desselben Jahres fiel eine Abschrift von „Morgenröte“ in die Hände des Görlitzer Pastors Gregorius Richter, der seinen Rat aufrief, gegen die ketzerische Schriftstellerei des Schusters vorzugehen, und das Manuskript beschlagnahmte. Am 30.7.1613 musste B. geloben, nichts mehr zu schreiben. Diese aufgezwungene Schweigezeit nützte er für umfangreiche Studien von Schriften alchemistischen, astrologischen, kabbalistischen und theologischen Inhalts.
Auf Anraten einiger Freunde und einer inneren Eingebung folgend brach B. 1618 oder 1619 das Gelübde, weil er dem inneren Druck zu schreiben nicht mehr widerstehen konnte. So gelangten ab 1618 De tribus principiis oder Beschreibung der Drey Prinzipien göttlichen Wesens (1619); Mysterium Pansophicum (1620); De signatura rerum oder von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen (1622); Von der Gnadenwahl oder Von dem Willen Gottes über die Menschen (1623), Mysterium Magnum oder Erklärung über das 1. Buch Mosis (1623) als Handschriften in Umlauf. Nach dieser Arbeit griff er ein letztes Mal zur Feder, um seine Quaestiones theosophicae oder Betrachtung Göttlicher Offenbarung (1624) niederzuschreiben, die jedoch Fragmente geblieben sind. Im Mai 1624 reiste er an den Dresdner Hof, weil der Rat auf Betreiben Richters seine Ausweisung angeordnet hatte. B. hoffte dort von allerhöchster Stelle sein Recht gegen Richter zu finden. Man entließ ihn aber lediglich mit der Ermunterung, getrost wieder heimzukehren.
Am 7. November 1624 kam B. krank nach Görlitz zurück. Pfarrer Richter war inzwischen verstorben. Auf B.s Bitten hin reichte ihm Pfarrer Elia Theodorus nach vielen Fragen doch das Abendmahl. B. starb am 17.11.1624 mit den Worten: „Nun fahre ich hin ins Paradies.“

Werk
B. hinterließ mehr als 30 visionäre theosophische Schriften, die sehr stark vom Neoplatonimus, der Zahlensymbolik und insbesondere der paracelsischen Alchemie geprägt sind. Ein Teil seine Werke wurde 1624 unter dem Titel Weg zu Christo gedruckt. 1682 wurden seine theosophischen Schriften erstmals gemeinsam herausgegeben. Bis 1730 folgten zahlreiche weitere Drucke.
B. hatte einen nachhaltigen Einfluss auf den > Pietismus wie auch auf Friedrich Wilhelm Joseph von > Schelling, der ihn 1806 während der Lektüre von Oetingers Buch über E. > Swedenborg kennenlernte.

Die Grundidee seiner Schriften ist die der absoluten göttlichen Einheit, in der alle Gegensätze vermittelt sind. Etwas kann sich nur durch etwas anderes zeigen. Die Dunkelheit ist allein durch das Licht und das Gute kann sich nur durch das Böse kundtun. Gott ist an sich selbst der Urgrund, ein unterschiedsloses Nichts. Er offenbart sich aber durch die absoluten Gegensätze. Diese Gedanken spiegeln sich vor allem in seinen Hauptwerken.
In Morgenröte unternimmt B. den Versuch, die Wirklichkeit als das „ausgesprochene Wort“ Gottes zu beschreiben. Dabei will er deutlich machen, dass die Schöpfung kein längst vergangener und in sich abgeschlossener Prozess ist, sondern ein „Gebären“, das noch voll im Gange ist. In seinem zweiten Werk, De tribus principiis, richtet B. seinen Blick auf das für ihn grundlegende trinitarische Prinzip Gottes, das Zornfeuer, Licht und Liebe, die Welt als Aufenthaltsort des Menschen. B. ist daran gelegen, dass sich der Mensch dem Zornfeuer Gottes entzieht und durch Einkehr in das zweite Prinzip, in das Licht und die Liebe Christi das verlorene Paradies erreicht. In Signatura Rerum verweist der lateinische Text auf die paracelsistische Naturphilosophie. Jedes Ding der sichtbaren Welt wird von deren „inneren geistigen Welt“ getragen und kann somit anhand seiner spezifischen Signatur erkannt und verstanden werden. Im Willen Gottes über den Menschen kritisiert B. die Prädestination des Menschen, indem er nachzuweisen versucht, dass Gott das Böse und die Strafe für dieses nicht gewollt und nicht von Anfang an vorherbestimmt hat. Gott entzieht sich auch nicht der gefallenen Natur, er wohnt ihr nicht mehr inne, sondern durchwohnt sie. Denn das Übel in der Welt ist nicht Gottes, sondern der Menschen Vorsatz.
Diese Gedankenwelt von B. steht durch seine Bezüge zur jüdischen Theosophie der > Kabbala und zur christlichen > Gnosis in einer einzigartigen Weise zwischen Theologie und Philosophie, wobei die persönliche Erfahrung besonders zum Tragen kommt. Mit diesen Gedanken hat B. u.a. Goethe, Hegel, Franz von > Baader, und wie schon erwähnt von Schelling beeinflusst.

W.: Aurora oder Die Morgenröte im Aufgang (1612); De tribus principiis oder Beschreibung der Drey Prinzipien Göttlichen Wesens (1619); De triplici vita hominis oder Von dem Dreyfachen Leben des Menschen (1620); Psychologica vera oder Vierzig Fragen von den Seelen (1620); De incarnatione verbi oder Von der Menschwerdung Jesu Christi (1620); Sex puncta theosophica oder Von sechs Theosophischen Puncten (1620); Sex puncta mystica oder Kurtze Erklärung Sechs Mystischer Puncte (1620); Mysterium pansophicum oder Gründlicher Bericht von dem Irdischen und Himmlischen Mysterio (1620); Informatorium novissimorum oder Von den letzten Zeiten an P. Kaym (1620); Christosophia, der Weg zu Christo (1621); Libri apologetici oder Schutz-Schriften wider Balthasar Tilken (1621); Antistifelius oder Bedenken über Esaiä Stiefels Büchlein (1621); Ingleich Vom Irrtum der Secten Esaiä und Zechiel Meths (1622); De signatura rerum oder Von der Geburt und der Bezeichnung aller Wesen (1622); Mysterium Magnum oder Erklärung über das erste Buch Mosis (1623); De electione gratiae oder Von der Gnaden-Wahl (1623); De testamentis Christi oder Von Christi Testamenten (1623); Tabulae principorium oder Tafeln von den Dreyen Pricipien Göttlicher Offenbarung (1624); Apologia contra Gregorium Richter oder Schutz-Rede wider Richter (1624); Libellus apologeticus oder Schriftliche Verantwortung an E.E. Rath zu Görlitz (1624); Clavis oder Schlüssel, das ist Eine Erklärung der vornehmsten Puncten und Wörter, welche in diesen Schriften gebraucht werden (1624) Quaestiones theosophicae oder Betrachtung Göttlicher Offenbarung (1624); Epistolae theosophicae oder Theosophische Send-Briefe (1618-1624); Des Gottseligen Hocherleuchteten Teutschen Theosophen Jacob Böhme Sämmtliche Werke: genau nach der Amsterdamer Ausgabe von 1682 unter steter Vergleichung der beiden Editionen von 1715 und 1730, von Neuem aufgelegt. Stuttgart: Hallberger, 1835
Lit.: Böhmens, Jacob: De vita et scriptis Jacobi Böhmii oder ausführlich erläuterter historischer Bericht von dem Leben und Schriften des teutschen Wunder-Mannes und hocherleuchteten Theosophi Jacob Böhmens/Abraham von Frankenberg [Mitarb.]. [3. Gesamtausg.], o.O., 1730; Weiss, Victor: Die Gnosis Jakob Böhmes. Zürich: Origo Verlag, 1955; Böhme, Jakob: De Vita et Scriptis Jacobi Böhmii, oder Historischer Bericht von dem Leben und Schriften Jacob Böhmens. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1961.
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