Andreas Resch: Diego (Josef) Oddi


DIEGO ODDI
(Josef)
(1839-1919)

PROFESSBRUDER
DES ORDENS DER MINDERBRÜDER
(FRANZISKANER)

Selig: 3. Oktober 1999
Fest: 3. Juni

DIEGO (JOSEF) ODDI wurde am 6. Juni 1839 als Sohn einer Bauernfamilie in Vallinfreda (Rom) geboren und noch am gleichen Tag auf den Namen Josef getauft. Seine Jugend war geprägt von täglicher Arbeit, um zu überleben. Die Familie war arm an Besitz, jedoch reich an religiösem Empfinden, Redlichkeit und christlichen Tugenden, die aus dem kleinen Haus einen Hort des Glücks und des Friedens machten. Der Pfarrer kümmerte sich um Josefs kulturelle und religiöse Erziehung und dieser zog großen Gewinn aus seinen Unterweisungen. Schon von klein auf wurde er mit dem Spitznamen „Frater“ bedacht – einerseits wegen seiner Hingabe an die Arbeit und das Gebet, andererseits weil er den Wunsch geäußert hatte, in das Kloster zu gehen. Am 3. Oktober 1841 erhielt er die Firmung, mit 12 Jahren ging er zur Erstkommunion.
Bis zum 32. Lebensjahr half Josef den Eltern bei der schweren Feldarbeit. Je näher der 20. Geburtstag rückte, umso öfter wurde von Heirat gesprochen. Doch trotz der vielen Ermunterungen, der mehr oder weniger offenen Einladungen und des Drängens von Seiten der Mutter ließ die Antwort auf sich warten. Als die Mutter eines Tages gar zu aufdringlich wurde, fasste er sich schließlich ein Herz und sagte: „Ich will nicht heiraten!“ Was war geschehen?
Kurz zuvor hatte man auf dem Anwesen der Familie die Gerste geerntet und Josef war gerade dabei, die Ähren zu schneiden, als er plötzlich, über die Furchen gebeugt, mehrmals seinen Namen rufen hörte. Während er die schwere Arbeit fortsetzte, spürte er aus seinem Seelengrund jene Antwort aufkeimen, die er Dem geben sollte, der ihn rief. Beim täglichen Kirchgang und auf dem Heimweg von der Arbeit nahm diese Antwort durch das Zwiegespräch mit Gott und der himmlischen Mutter, die Josef seit langem zutiefst verehrte, immer konkretere Formen an. „Herr, was willst Du von mir?“ Von dem Augenblick an, da der Ruf erfolgt war, trat Gott in sein Leben.

Einige Zeit nach dieser mysteriösen Berufung besuchte Josef, gerade einmal 21 Jahre alt, mit einer Pilgergruppe das Kloster des hl. Franziskus in Bellegra. Er war von dem Ort und dem heiligmäßigen Leben, das die Brüder dort führten, sehr angetan und konnte sich von den gewonnenen Eindrücken nicht mehr lösen. Weitere vier Jahre vergingen. Das Kloster des hl. Franziskus hatte immer noch seinen Platz in seinem Herzen. Im Frühjahr 1864 wollte er dorthin zurückkehren. An der Pforte öffnete ihm ein Bruder, der für jeden ein gutes Wort und ein Lächeln zu verschenken hatte; es war Bruder Marianus von Roccacasale, auch er wurde seliggesprochen. Später erzählte Josef, wie sich diese Begegnung abspielte: „…ich wollte ihm die Hand küssen, aber er zog sie zurück und hielt mir stattdessen den Habit zum Kuss hin. Ich sagte ihm, er möge mir doch irgendeinen Rat, einen Hinweis geben, weil ich mir dachte, er könnte das, und er antwortete: ‚Sei gut, sei einfach gut, mein Sohn!‘ Mit diesen Worten erhob er sich, um in die Kirche zu gehen.“
Die schlichten Worte von Bruder Mariano waren bestimmend für die weiteren Geschehnisse. In ihnen hatte Josef die verborgene Bedeutung seines eigenen Lebens erkannt. Er widmete dem Gebet von nun an mehr Zeit, nahm seine Arbeit wieder auf und bemühte sich in der Gewissheit seiner Berufung. Schritt für Schritt wurde diese eins mit seinem Leben.

Nachdem er den Widerstand der Eltern überwunden hatte, trat er 1871 mit 32 Jahren und im Bewusstsein der widrigen Umstände, die mit der Enteignung der kirchlichen Güter seitens der italienischen Regierung verbunden waren, in das Kloster von Bellegra ein. In der Erwartung, dass der antiklerikale Sturm abflauen würde, überreichte ihm der Obere im Blick auf die treue und fleißige Pflichterfüllung bei der Pflege des Gartens und beim Almosensammeln am 12. April 1872 den franziskanischen Habit in der Funktion eines Terziaroblaten. Allerdings hielten es die Ordensleute, die am 17. Mai 1877 aus dem Kloster vertrieben und für 8 Monate und 12 Tage im Haus Saulini beherbergt wurden, für angebracht, Josefs kanonisches Probejahr bis zum 12. Februar 1885 aufzuschieben, als ihm nach Zulassung zum Noviziat als Laiennovize der Name Bruder Diego gegeben wurde. Nach Beendigung des Noviziats am 14. Februar 1889 legte er die einfachen Gelübde ab und wurde dann am 16. Mai 1889 zur feierlichen ewigen Profess zugelassen.

Vom Augenblick seines Klostereintritts an beachtete Bruder Diego die Regeln und Konstitutionen. Des Lesens und Schreibens unkundig, aber von scharfem Verstand und redegewandt, überraschte er alle mit seinen Worten, die einem Herzen entströmten, das es gewohnt war, Zwiesprache mit Gott zu halten. Tag und Nacht, bei der Arbeit, beim Wandern – immerzu betete er. Wenn Bruder Diego um Almosen bettelnd durch die Dörfer zog, kehrte er immer nach Beendigung seiner täglichen Hausbesuche in der Kirche ein und wohnte mit den Gläubigen der heiligen Handlung bei. Dann überredete er den Sakristan, nach Hause zu gehen, da er für das Läuten des „Ave Maria“ und die Schließung der Kirche sorgen werde. So verharrte er oft die ganze Nacht im Gebet und die Wohltäter, bei denen er zu Gast war, fanden sein Bett vollkommen unbenutzt vor.

Aus seiner ständigen Zwiesprache mit Gott schöpfte er die Weisheit und Tiefe des Glaubens, die andere seinen Worten und Gesprächen entnahmen. Es waren nicht nur die einfachen Gläubigen, die sich erbaut fühlten, sondern auch Priester und Pfarrer, ja sogar Bischöfe und Kardinäle. Bruder Diego beim Altardienst zu beobachten und zum Empfang der hl. Kommunion schreiten zu sehen, kam für den, der Zeuge dieser Handlungen wurde, einer Predigt gleich.
Abgesehen von seinem inbrünstigen Gebet beeindruckte jene, die zu ihm kamen, auch die Strenge seiner Lebensführung. Stets ging er zu Fuß die steinigen und schlammigen Straßen entlang, die Füße nur mit den franziskanischen Sandalen bekleidet – bei Regen und Schnee im Winter ebenso wie im Staub und in der Gluthitze des Sommers.

Im einfachen Leben von Bruder Diego leuchtet all das Große auf, das Gott in ihm gewirkt hat. Zahlreich sind die außergewöhnlichen Ereignisse, die sich auf die bescheidenen und einfachen Dinge der Bauern und Hirten bezogen, denen er begegnete. Das eigentliche Phänomen aber war er selbst mit seinem Lächeln: Wo immer er vorüberging, hinterließ er das Empfinden, dass alles vom schöpferischen Hauch Gottes durchdrungen werde.

Besonders bezeichnend ist der Ausruf Pius‘ X. bei einer Begegnung mit Oddi: „Siehe da, ein echter Sohn des hl. Franziskus!“ Tatsächlich verwirklichten sich im Leben von Bruder Diego nicht wenige Worte des hl. Franziskus an die Brüder:

„Die Brüder sollen sich nichts aneignen, weder Haus noch Ort noch sonst eine Sache. Und gleichwie Pilger und Fremdlinge in dieser Welt, die dem Herrn in Armut und Demut dienen, mögen sie voll Vertrauen um Almosen bitten gehen und sollen sich dabei nicht schämen, weil der Herr sich für uns in dieser Welt arm gemacht hat. Dies ist jene Erhabenheit der höchsten Armut, die euch, meine geliebtesten Brüder, zu Erben und Königen des Himmelreiches eingesetzt, an Dingen arm, aber an Tugenden reich gemacht hat. Diese soll euer Anteil sein, der hinführt ins Land der Lebenden. Ihr ganz und gar anhängend, geliebteste Brüder, trachtet danach, um des Namens unseres Herrn Jesu Christi willen auf immer unter dem Himmel nichts anderes besitzen zu wollen!“ (Bullierte Regel VI, FF 16)

„Und die von den Wissenschaften keine Kenntnis haben, sollen nicht danach trachten, Wissenschaften zu erlernen. Vielmehr sollen sie darauf achten, dass sie über alles verlangen müssen, den Geist des Herrn zu haben und sein heiliges Wirken, immer zu Gott zu beten mit reinem Herzen, Demut zu haben, Geduld in Verfolgung und Krankheit und jene zu lieben, die uns verfolgen und tadeln und beschuldigen.“ (Bullierte Regel X, 8-10)

Diese Worte des hl. Franziskus beschreiben genau jene Eigenschaften, die Bruder Diego auszeichneten: Demut und Frohsinn, Liebe zu Gott und zum Nächsten. Wenn er die Bauern um Almosen bettelte, war es ihm gegeben, geduldig und mit liebevollem Verständnis ihre Gefühlsausbrüche, ihre Wünsche anzuhören, den Schmerz zu lindern und sie in Momenten der Niedergeschlagenheit aufzumuntern. Es gab niemanden, der sich nicht über die Anwesenheit von Bruder Diego freute und sich nicht seinem Gebet empfahl.

Allmählich aber verließen ihn seine Kräfte. Am Nachmittag des 3. Juni 1919 erwartete Diego, auf dem einfachen Krankenlager seines Klosters ausgestreckt, den Bruder Tod. Die 50 Jahre, die er dort verbracht hatte, waren wie ein endloser Rosenkranz – so inständig hatte er gebetet, gearbeitet und allen Geschöpfen, denen er auf seinem Weg begegnet war, Gutes getan. Nun aber war er müde und dennoch glücklich und froh. Mit Ungeduld wartete er auf den Bruder Tod. Er tat dies singend, wie es sein Seraphischer Vater getan hatte. Ganz besonders kannte und liebte er einen Lobpreis auf die Gottesmutter: „Ich gehe eines Tages sie zu sehen, im Himmel, meiner Heimat“ sang er nun mit leiser Stimme, unmerklich die Lippen bewegend. Oddi starb am 3. Juni 1919 im Alter von 80 Jahren im Kloster von Bellegra im Ruf der Heiligkeit, der ihn zeitlebens umgab.
Sein Grab befindet sich in der Kirche des Klosters zum hl. Franziskus, via San Francesco, Bellegra (Roma).

Am 3. Oktober 1999 wurde Diego Oddi von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

RESCH, ANDREAS: Die Seligen Johannes Pauls II. 1996 – 2000. Innsbruck: Resch, 2010 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 4). XIII, 376 S., 86 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-088-9, Ln, EUR 39.90 [D], 40.98 [A]

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