Der Schleier von Manopello

Andreas Resch

DER SCHLEIER VON MANOPPELLO

Die Veronika

Kapuzinerkloser
Abb. 1: Basilika Volto Santo in Manoppello

Neben dem Grabtuch von Turin und der Tilma von Guadalupe gehört vor allem der Schleier von Manoppello zu den „Acheiropoietos“, den nicht von Menschenhand gemachten Bildern. Daher wurde er auf der Internationalen Tagung Scientific Approach to the Acheiropoietos Images (wissenschaftliche Untersuchung der „nicht von Menschenhand gemachten Bilder“) vom 4. – 6. Mai 2010 im ENEA-Forschungszentrum von Frascati bei Rom in mehreren Vorträgen behandelt.

In meinem Beitrag versuchte ich neben den geschichtliehen Hinweisen, vor allem e die Entsprechungen des Antlitzes auf dem Schleier mit dem Antlitz auf dem Grabtuch in einer rein mathematischen Form aufzuzeigen.

Die dabei gewonnen Entsprechungen von Antlitz auf dem Schleier und dem Antlitz auf dem Grabtuch werden dann anhand einer Skizze auf die Christusdarstellungen vom 3. bis 12 Jahrhundert übertragen, um herrauszufinden, ob es nicht vom Beginn der Christusdarstellungen an ein Vorbild gab, das gleichsam als allgemein verpflichtendes Gesetzt die Darstellungen prägte.

Dabei nimmt das Antlitz auf dem Schleier von Manopplello eine zentrale Rolle ein. Dies ist so offensichtlich, dass man davon ausgehen kann, dass sie insbesondere bei den Christusdarstellungen in den Katakomben bestimmend war.

I. Der Schleier

Beim Schleier von Manoppello, dem Volto Santo, handelt es sich um ein feines, durchsichtiges Gewebe von 24 x 17,5 cm mit dem Abbild eines männlichen Antlitzes, das wie bei einem Dia von der Vorder- und Rückseite betrachtet werden kann. Der Schleier befindet sich zwischen zwei von Bruder Remigio da Rapino umrahmten Glasplatten, eingebaut in ein Reliquiar in der Form einer Monstranz auf dem Altar der Kapuzinerkirche (Abb. 1) in Manoppello. Das Reliquiar ist frei zugänglich und das Bild von beiden Seiten sichtbar, nämlich vom Kirchenschiff und von der Rückseite des Altars aus (Abb.  2).
Das Tüchlein ist aus feinstem Stoff, vermutlich aus Byssus, Muschelseide. Die Fäden weisen einen mittleren Durchmesser von 120 μm auf, können jedoch von einer zur anderen Zone um bis zu 50 % variieren. Das Gewebe ist sehr unregelmäßig, elementar und wurde nach traditioneller Art mittels eines Schaftwebstuhls hergestellt. In horizontaler Richtung lassen sich je Zentimeter 27 ± 2 Fäden ausmachen. Der Achsenabstand der einzelnen Fäden beträgt im Mittel 370 μm, sodass der leere Zwischenraum von Faden zu Faden bei 250 ± 100  μm liegt, was dem Gewebe Einmaligkeit verleiht. Aus diesem Grund ist es mehr als halb durchsichtig und wird „Schleier“ genannt. Jeder Faden besteht aus 60 ± 35 Fasern mit einem Durchmesser von 14 ± 6 μm. Der Schuss verläuft rechtwinklig zur Kette. Der Achsenabstand liegt im Mittel bei 270 μm (Abb. 3).

Abb. 2: Reliquiar Abb. 3: Schleiergewebe vergrößert (Fanti)

Das Bild zeigt das Antlitz eines Mannes mit offenen Augen, dünnem Bart, Schnurrbart, bis in den Nacken herabhängendem Haar sowie verlängerter und leicht geschwollener Nase im Verhältnis zur Nasenscheidewand (Abb. 4) und wird nach der Tradition als das Antlitz Christi bezeichnet. Das Antlitz ist auf beiden Seiten des Schleiers sichtbar und nimmt je nach Art der Beleuchtung verschiedene Ausdrucksformen an (Abb. 5).

Schleier Vorderseite
Abb. 4: Schleier, Vorderseite Abb. 5: Schleiervorderseite bei starker Beleuchtung

Mikroskopische Analysen, Analysen in ultraviolettem Licht und Infrarot sowie spektrometrische Analysen im Sichtbereich und Analysen der Dreidimensionalität ergaben keine Anhaltspunkte für Pigmente, die für die Färbung der Fäden verantwortlich sein könnten. Seine eigentliche Bedeutung gewinnt der Schleier jedoch erst aufgrund der Entsprechung des auf ihm sichtbaren Bildes mit dem Antlitz auf dem Grabtuch, wie noch zu zeigen ist. Vorher stellt sich aber die Frage nach der Herkunft des Schleiers.

1. Geschichte

Die Geschichte des Schleiers von Manoppello verliert sich in seinen Ursprüngen ebenso im Dunkeln wie jene des Grabtuches, doch lassen sich seine Spuren bis in das 2. Jahrhundert zurückverfolgen, wie ich in meinem Buch „Das Antlitz Christi“1 darzulegen versuchte, weshalb ich mit hier kurz fassen kann.
Die ersten Berichte fußen auf Legenden, da die schriftlichen Aufzeichnungen über das wahre Christusbild erst später einsetzen. Zum einen war es nicht ratsam, öffentlich von Reliquien oder gar Abbildungen Christi zu sprechen, andererseits wurden vor allem im Osten Christusbilder wegen des Bilderstreites überwiegend abgelehnt, bis 843 die offizielle Anerkennung von bildlichen Darstellungen Christi erfolgte.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch der Vater der Kirchengeschichte, Eusebius von Cäsarea (ca. 260 – 339), ein entschiedener Gegner der Bildverehrung war. Zum einen sei diese nach dem Gesetz des Alten Bundes (Ex 20,4; Dtn 5,8) verboten und zum andern fördere sie die Rückkehr zum heidnischen Bilderdienst. Dennoch schreibt er in seiner geschichtlichen Verantwortung von einem Antwortschreiben Jesu, vermittelt durch Ananias, den Eilboten des Fürsten Abgar V. Ukama (4 v. – 7 n. Chr. und 13 – 50 n. Chr.), in dem Jesus dem Fürsten verspricht, nach der Himmelfahrt einen seiner Jünger zu schicken, um ihn zu heilen. Mit diesem Brief aus den Archiven der damals königlichen Stadt Edessa ist noch folgender Bericht in syrischer Sprache verbunden, in dem von der Sendung des Thaddäus, eines der Siebzig, zu König Abgar die Rede ist:
„Als er kam, da zeigte sich sofort schon beim Eintreten dem Abgar in Gegenwart der umstehenden hohen Würdenträger ein deutliches Gesicht im Antlitz des Apostels Thaddäus“ (h.e. I, 14). 2
Der Brief, den König Abgar V. um 30 n. Chr. an den römischen Magistrat von Eleutheropolis geschrieben habe, wird als versuchte Frühdatierung des syrischen Christentums von Edessa gegen Ende des 3. Jahrhunderts gewertet. Er kann nämllich nur aus der Zeit von Lucius Abgar VIII. dem Grossen (177 – 212) stammen, da die palästinensische Stadt Beth Gubrin erst vom römischen Herrscher Lucius Septimus Severus um 200 in Eleutheropolis umbenannt wurde. Abgar VIII. habe diese Brieflegende von Abgar V. erfunden und in das Archiv eingefügt, um sein Land durch einen direkten Schüler von Jesus zu bekehren.3
Jedenfalls genoss der Brief schon früh große Verehrung. So kommt auch Egeria (Aetheria) in ihrem Pilgerbericht,Itinerarium Egeriae4, dem ersten von einer Frau geschriebenen Bericht, der erst 1884 entdeckt wurde, bei der Beschreibung ihrer Reise ins Heilige Land in den Jahren 381 – 384 auf den Brief Jesu zu sprechen, der in Edessa aufbewahrt wurde und von dem man sogar Kopien als Talisman benutzte.
Die Doctrina Addai, die in syrischer Sprache vorliegt, berichtet um 400 ebenfalls von einem Bild Jesu:
„Als Hannan, der Archivar, sah, dass Jesu so zu ihm redete, stellte er, da er der Maler des Königs war, ein Porträt von Jesus mit erlesenen Farben her und brachte es zu Abgar, seinem König und Meister. Und als Abgar, der König, das Porträt sah, nahm er es mit großer Freude in Empfang und gab ihm einen Ehrenplatz in einem seiner Paläste.“5

a) Kamulia

Neben dem Bild von Edessa ist auch die Rede von einem „Schleier von Kamulia“ oder Kamuliana, einem Flecken in Kappadozien, in der Nähe der heute türkischen Stadt Kayseri, der ab 553 Justinianopolis Camulianorum genannt wurde, daher auch Kamuliana. So berichtet die Legende von der Heidin Hypatia, die das Bild des Herrn auf Leinwand gemalt im Wasser aufgefunden habe:
„und als sie es herausnahm, ohne dass es nass war, wunderte sie sich, und verhüllte es mit dem Mantel, den sie trug, indem sie es ehrte… Und da blieb auch in dem Mantel die Gestalt von dem, was aus dem Wasser genommen war, in allen (Einzelheiten)“.
Weiter berichtet die Legende:
„Das eine Bild kam nach Kaisereia, eine gewisse Zeit nach dem Leiden des Herrn, und das andere Bild wurde da, im Dorf Kamulia, aufbewahrt, und ihm zu Ehren wurde von Hypatia, welche Christin geworden war, ein Tempel erbaut.“ 6
In Kamulia, das heute nicht mehr existiert, soll sich der Schleier in der Nähe von Edessa in einem Kloster von Nonnen befunden haben, die vor den Persern aus Melitene, dem heutigen Malitya in der Türkei, dorthin geflüchtet waren. Es war dies das erste religiöse Bild, auf das die Bezeichnung acheiropoietos angewandt und dem eine öffentliche Prozession mit Ehrungen und Feiern zuteil wurde.

Abb. 6.: Reliquienkreuz Justins II., Vorderseite Abb. 7: Reliquienkreuz Justins II., Rückseite

Wie sehr dieses Christusbild verehrt wurde, geht allein schon aus der Tatsache hervor, dass Kaiser Justin II. bereits 570, als das Bild noch in Kamulia war, Papst Johannes III. (561 – 574) ein Reliquienkreuz (Abb. 6) schenkte, mit den ältesten Christusmedaillons auf dem Längsbalken und den Porträt-Medaillons des Kaisers und seiner Gemahlin auf dem Querbalken der Rückseite (Abb.  7). Das Kreuz ist heute noch im Schatz von St. Peter in Rom unter der Standnummer 138 zu sehen. Bedeutsam ist dabei – im Zusammenhang mit dem Schleier von Manoppello (siehe Abb. 4) – das Haarbüschel auf den Christus-Medaillons, wie noch ausführlich dargelegt wird.

b) Konstantinopel

574 wurde der Schleier, das acheiropoietos, von Kamulia in feierlicher Prozession nach Konstantinopel übertragen. Dort ersetzte der Schleier das Labarum, die Standarte Konstantins, die unter Julian II. Apostata profaniert worden sein soll und daher nicht mehr den kaiserlichen Heeren vorangetragen wurde. Als Ersatz wurde der Schleier von Kamulia 574 zum Schutzpanier des Reiches und blieb dies bis etwa 700. Solche Palladien von Herrschern waren allerdings nicht zum Anschauen da. Es wurden nur Kopien gezeigt, während die Originale streng verborgen behütet wurden. Die Kaiser Maurikios (582 – 602) und Herakleios (610 – 641) führten dann das Christusbild von Kamulia auf ihren Feldzügen mit.7

c) Rom

Kaiser Justinian II. (10. Juli 685 – Ende 695 und Sommer 705 – 4. November 711) ließ 692 als erster Herrscher der Geschichte das Christusporträt auf eine Münze prägen, mit dem Bild des Kaisers auf der Rückseite (Abb. 8). Bemerkenswert ist auch hier, neben dem Gesichtsausdruck, insbesondere das angedeutete Haarbüschel auf der Stirn (vgl. Abb. 4).

Abb. 8a: Solidus Justinians II. Links: Vorderseite mit dem Christusbild, rechts: Rückseite mit dem Bild des Kaisers (Museum St. Gallen)
695 wurde Justinian II. des Vorhabens beschuldigt, den Patriarchen ermorden zu lassen und in Konstantinopel ein Massaker anzurichten. Dieses haltlose Gerücht wurde sofort geglaubt. Justinian wurde festgenommen, im Hippodrom schnitt man ihm öffentlich die Nase ab und verbannte ihn daraufhin nach Cherson auf der Krim, von wo er 705 wieder zurückkehrte.
Abb. 9: Christusbild durch Michael III. (832-867)

In der Zwischenzeit war die Situation des byzantinischen Reiches so ungewiss geworden, dass der Patriarch von Konstantinopel, Callinicus I. (693 – 705), die wertvolle Reliquie dadurch in Sicherheit brachte, dass er sie zu Papst Johannes VII. (705 –707), der Grieche war und einer Adelsfamilie des byzantinischen Hofes entstammte, nach Rom schickte. Dort wurde der Schleier mit dem authentischen Christusbild um 705 als „Veronika“ in der vom gleichen Papst erbauten Kapelle verwahrt.8 In Byzanz blieb der Schleier voll im Bewusstsein und seine Rückkehr galt wohl als selbstverständlich, wie die Prägung eines Solidus mit dem Christusbild (Abb.  9) nach dem Muster von Justinian durch den byzantinischen Kaiser Michael III. (842 – 867) belegt. Hierauf ist das Haarbüschel besonders hervorgehoben.
In Rom entstand aus dem griechischen Wort Eikon (Bild) und dem lateinischen Adjektiv vera (wahr), also dem „wahren Bild“, der Name „Veronika“. So lesen wir in der Descriptio von St. Peter des Petrus Mallius aus dem Pontifikat Alexanders III. (1159 –1181), dass vor dem Maria geweihten Oratorium von JohannesVII. „auch ein Schweißtuch Christi ist, das Veronika genannt wird“ (est etiam sudarium Christi quod vocatur Veronica) 9. Die Descriptio beschreibt auch die Entstehung des Bildes:

Ausstellung der Veronika
Abb. 10: Ziborium der Veronika in St. Peter von 1197
(Album Grimaldi)
Abb. 11: Ausstellung der Veronika, Mirabilis Urbis Romae

„Auf dem Sudarium Christi habe dieser vor seiner Passion, wie durch mündliche Tradition überliefert, sein allerheiligstes Angesicht abgewischt, als sein Schweiß wie Blutstropfen geworden sei, die auf den Boden flossen.“10
Papst Coelestin III. (1191–1198) ließ 1197 die „Veronika“ in einem neu errichteten Ziborium wohl an derselben Stelle unterbringen (Abb. 10). Spätestens um 1200 wurde das Bild öffentlich gezeigt.11
Der eigentliche Promotor des Bildes ist Papst Innozenz III. (1198 –1216). In sein Pontifikat fällt die Schwerpunktverlagerung vom Lateran zum Vatikan. Da nach Einnahme Konstantinopels 1204 durch die Kreuzfahrer die „Veronika“ nicht mehr gefährdet war, wurde sie ebenfalls in den Vatikan gebracht. 1208 richtete der Papst eine jährliche Prozession mit der „Veronika“ von St. Peter zu dem von ihm gegründeten Spital S. Spirito ein.12 Die „Veronika“ wurde nun auch international bekannt und zum Ziel weiter Pilgerreisen. So schriebt Dante Alighieri (1265 –1321) in Paradiso XXXI, Verse 103 –106:

„Treibt einen, etwa aus Kroatiens Gauen, Zu unsrer Vera Icon heilge Pflicht,
Und kann am alten Ruhm nicht satt sich schauen
Der ferne Fremdling, der wohl staunend spricht:
„O Jesus Christ, wahrhaftiger Gott der Ehren,
So also war zu schauen dein Angesicht – ?'“13

Rahmen
Abb. 12: Venezianischer Rahmen der Veronika, Schatz von St. Peter

Dies besagt, dass die „Veronika“ weithin bekannt war und verehrt wurde. Außer hochgestellten Persönlichkeiten wurde sie auch dem Volk in den Heiligen Jahren ab 1300, wenn nicht schon früher, gezeigt (Abb.  11). Tausende Pilger kamen nach Rom, um dem Bild zu huldigen. Eine Gruppe von Malern war von Händlern beauftragt, Kopien der „Veronika“ herzustellen, die sie den Pilgern als Andenken verkauften.
Dies änderte sich, als die „Veronika“ beim Bau der neuen Peterskirche plötzlich verschwand. Am 18. April 1506 wurde unter Julius II. (1503 – 1513) genau an der Stelle, wo heute die Säule der Veronika steht, der Grundstein für die neue Peterskirche gelegt. Ob das Bild bereits bei der Grundsteinlegung oder später abhanden kam, bleibt offen. Beim Sacco die Roma14 1527, der Erstürmung Roms durch die Truppen Karls V. unter Clemens VIII. (1523 – 1534), befand sich die „Veronika“ jedenfalls nicht mehr unter den aus St. Peter entwendeten Reliquien. So schreibt ein Soldat aus Frundsberg in Tirol in seiner Schrift Die Wahrhaftige und Kurtze Berichtung, dass die Plünderer, als sie die „Veronika“ nicht fanden, andere Reliquien mitnahmen.15 
Zurückgeblieben ist nur der im Schatz von St. Peter aufbewahrte leere Rahmen mit den Außenmaßen 40  x  38  x  5,1 und den Innenmaßen 31,7  x  29,5 16 und dem beschädigten Glas (Abb. 12). Der Rahmen wurde dem Kapitel von St. Peter 1350 von drei venezianischen Adeligen als Zeichen großer Verehrung für das Sudarium geschenkt. Das beschädigte Glas lässt vermuten, dass das Tuch mit dem Bildnis gewaltsam entwendet wurde. Ohne Rahmen konnte das zarte Tüchlein leicht verborgen werden.
Am 26. November 1528 verordnete Clemens VIII., dass alle nach Rom zurückgekommenen Reliquien von der Kirche San Marco in feierlicher Prozession in die Basilika St. Peter zu bringen seien.17 Die „Veronika“ war nicht dabei. Papst Paul V. (1605 – 1621) belegte in einem Schreiben vom 7. September 1616 die Herstellung von Kopien mit Strafe und Exkommunikation.

Vatikan Mandylion
Abb. 13: Mandylion des Vatikan (von San Silvestro)
Damit verlieren alle Berichte über Ausstellungen der „Veronika“ nach dem Sacco di Roma an Bedeutung, zumal die später erstellten Kopien jedwede echte Bildvorlage vermissen lassen. Sie erwecken vielmehr den Eindruck von Kopien des damals noch in San Silvestro in Capite aufbewahrten Mandylions, das sich seit 1871 im Vatikan befindet. Heute wird es in der Galleriola del Romanelli nahe der päpstlichen Privatkapelle Redemptoris Mater aufbewahrt (Abb. 13).
Abb. 14a: Kopien der Veronika
Abb. 14b: Kopien der Veronika

2000 wurde das Bild bei der Weltausstellung in Hannover noch als „Mandylion von Edessa“ beschrieben und als das älteste Abbild des Antlitzes Christi bezeichnet.
Die bekanntesten Kopien (Abb. 14a-b) sind jene von 1617 in der Schatzkammer der Hofburg in Wien, die 1720 von Caterina Savelli Kaiser Karl VI. geschenkt wurde; die Kopie von 1617 in Chiusa Scalfani bei  Palermo, welche Papst Clemens VIII. dem Franziskanerbruder Innozenz gab; die Kopie in der Chiesa del Gesù in Rom, die Papst Gregor XV. 1621 der Gräfin Sforza überließ, und schließlich die aus der Zeit Urbans VIII. stammende und in Venetico (Sizilien) aufbewahrte Kopie.18 All diese Kopien beweisen nicht nur, dass sie dem Mandylion des Vatikans nachgebildet sind, sondern auch, dass es schon bei der Kopie von 1617 keine Tradition der ursprünglichen Veronika-Maler mehr gab, geschweige denn Kenntnisse des ursprünglichen Bildes, wenngleich in der Malerei, wie wir noch sehen werden, die Tradition an sich aufrechtblieb.

d)Manoppelllo

Die Geschichte der „Veronika“ spielte sich nach der Grundsteinlegung der neuen Peterskirche anscheinend außerhalb Roms ab, wie die Relatione historica, der historische Bericht, den der Kapuziner Donato da Bomba 1645 verfasste, zeigt.19 In diesem „Bericht“ ist davon die Rede, dass zur Zeit von Papst Julius II. (1503 – 1513) in Manoppello, im Königreich Neapel, also außerhalb des Kirchenstaates, ein sehr gelehrter und wohlhabender Dr. Giacom‘ Antonio Leonelli 1506, also im Jahr der Grundsteinlegung der Peterskirche, auf dem Platz vor der Kirche S. Nicola von einem unbekannten Pilger angesprochen und ihm dann in der Kirche ein Päckchen mit dem Schleier übergeben wurde (Abb. 15).

Gedenktafel
Abb. 15: Gedenktafel gegenüber der Kirche in Manoppello

Daraufhin sei der Pilger spurlos verschwunden. Leonelli habe den Schleier in seinem Arbeitszimmer in einer Nische aufbewahrt, zu dem niemand Zutritt hatte; selbst die Familienangehörigen durften diesen nur in seinem Beisein betreten. So machten es auch seine Erben. Als sich dann Leonellis Urenkel um das Erbe stritten, sei ein gewisser Pancrazio Petrucci, Soldat und Ehemann von Marzia Leonelli, einer Erbin der Familie, gewaltsam in das Haus eingedrungen, um den versprochenen Erbanteil seiner Frau zu holen.20
Bemerkenswert ist hierbei, dass auf S.  17 des Berichtes, wo der Diebstahl beschrieben wird, eine fremde Hand am oberen Rand „Nel 1608 la santissima Imagine viene pigliata“ (1608 wird das heilige Bild geraubt) eingefügt hat.21
Als Petrucci im Gefängnis Regia Udienza von Chieti saß, wandte sich seine Frau Marzia 1618 in ihrer Not an Dr. Donat’Antonio de Fabritiis und verkaufte ihm den Schleier um vier Scudi, die sie zum Freikauf ihres Mannes aus dem Gefängnis benötigte.22 De Fabritiis, der das Bild in einem völlig desolaten Zustand vorfand, wollte es um das ausgegebene Geld wieder loswerden. Da traf er den Kapuzinerpater Clemente da Castelvecchio, dem er sein Missgeschick anvertraute.23 P. Clemente erkannte sogleich den Wert des Bildes und gewann De Fabritiis für die Mitarbeit am Bau des Klosters von Manoppello.
Soweit die Aussagen der Relatione historica. Darin werden die Jahre 1506, 1608 und 1618 genannt. Woher die Soldatenfrau das genaue Jahr 1506 der Übergabe des Schleiers an ihren Urahn hatte, wird nicht gesagt. Auch der Verfasser Donato da Bomba bleibt im Bericht, der ursprünglich an den Generalminister des Ordens, P. Innocentio da Caltagirone gerichtet war, anonym und unterzeichnet mit „Padre N. da N.“
Die Erstellung des Berichtes begann bereits 1640 wenngleich auf der Titelseite 1645 steht. Dies hat wohl damit zu tun, dass Papst Urban VIII., der hartnäckigste Wächter der Geheimhaltung der „Veronika,“ erst 1644 starb. Das Verschweigen der „Veronika“ ist aufgrund der schon genannten Strafandrohungen und Exkommunikation mehr als verständlich, wenngleich die volle Kenntnis der historischen Bedeutung des Schleiers wohl nicht gegeben war.
So konnte es geschehen, dass P. Clemente den Schleier, der sich, wie gesagt, in einem sehr desolaten Zustand befand, auf die Bildgröße von 24  x  17,5  cm zusammenschnitt. Bruder Remigio da Rapino legte das zarte Tüchlein dann zischen zwei Glasplatten, umrahmte diese und baute sie in ein Reliquiar in Form einer Monstranz ein, die seit 1646 auf dem Altar der Kapuzinerkirche von Manoppello ausgestellt ist. De Fabritiis hatte den Schleier 1638 den Kapuzinern geschenkt (Abb. 16 – 17).

Kirche Innen Kirche Altar
Abb. 16: Innenraum der Basilika Abb. 17: Altarraum mit Aufstieg zum Reliquiar

Die ursprüngliche Größe des Tüchleins dürfte den Innenmaßen des Rahmens von 31,7  x  29,5  cm in etwa entsprochen haben. Das Frontispiz mit der Darstellung des Antlitzes Christi im Originalmanuskript von Giacomo Grimaldi 24 deutet auf ein ähnliches Ausmaß hin (Abb. 18).
Seit 1668 wird der 6. August, der Tag der Verklärung des Herrn, als Fest des Volto Santo gefeiert, und seit 1772 finden jeweils am 3. Sonntag des Monats Mai die äußeren Feierlichkeiten statt. 1718 gewährte Papst Clemens XI. den Besuchern des Heiligtums einen vollkommenen Ablass. Im Verlauf der wechselvollen Geschichte des Heiligtums des Volto Santo mit zweimaliger Vertreibung der Kapuziner wurde schließlich 1871 die neue Kapelle errichtet und 1960 bzw. 1965 die Erweiterung der Kirche mit der neuen Fassade vorangetrieben und fertiggestellt (Abb.  19).

Abb. 18: Frontispiz im Opusculum von Grimaldi Abb. 19: Fassade der Basilika

Die eigentliche Bedeutung des Volto Santo drang jedoch erst wieder ins Bewusstsein, als der Jesuit Dr. Heinrich Pfeiffer, Prof. für christliche Kunstgeschichte an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, im Herbst 1986 nach Manoppello kam, um sich persönlich zu den verschiedenen Aussagen über den Schleier ein Bild zu machen. Dabei sagte er beim ersten Anblick des Volto Santo ganz spontan: „Das ist die verschollene Veronika von St. Peter in Rom.“ Um dies auch geschichtlich zu untermauern, veröffentlichte er seine diesbezüglichen Untersuchungen im Band II von Das Turiner Grabtuch und das Christusbild mit dem Untertitel Das echte Christusbild.25
Pfeiffer wurde durch die von Sr. Blandina Pascalis Schlömer gemachen Entsprechungsversuche des Antlitzes auf dem Grabtuch und des Schleiers von Manoppello angeregt, die ihrerseits durch einen Artikel von Renzo Allegri auf den Schleier aufmerksam wurde. Ich selbst lud Pfeiffer 1995 zum XV. Internationalen IMAGO MUNDI-Kongress nach Innsbruck zu einem Vortrag zum Grabtuch von Turin und zum Schleier von Manoppello ein, was meinerseits, neben der Veröffentlichung der Vorträge Pfeiffers26, zur Herausgabe der Schrift von Schlömer, Der Schleier von Manoppello und das Grabtuch von Turin 27 führte. Dies sollte der Auftakt zur Erforschung und zur internationalen Anerkennung des Volto Santo werden. Dazu lieferten vor allem die Arbeiten von Blandina Pascalis Schlömer 28, Heinrich Pfeiffer,29 mein Buch Das Antlitz Christi,30 die Veröffentlichungen von Paul Badde31, Saverio Gaeta32Michael Hesemann33 und insbesondere die Untersuchungen von Giulio Fanti34 einen besonderen Beitrag. Schließlich wurde das Thema, wie eingangs erwähnt, auf dem IWSAI 2010 in Frascati behandelt.35
Inzwischen wurde aufgrund des erhöhten Bekanntheitsgrades auch die Absicherung der Reliquie verstärkt, doch bleibt sie weiterhin frei zugänglich.
Am 1. September 2006 besuchte Papst Benedikt XVI. (Abb. 20) das Heiligtum des Volto Santo in Manoppello und erhob am 15. Okt. 2006 die Kapuzinerkirche zur Basilika.

Abb. 20: Benedikt XVI. in Manoppello, 1.09.2006

II. Das Antlitz am Grabtuch von Turin
und auf dem Schleier von Manoppello („Veronika“)

Das Grabtuch von Turin und der Schleier von Manoppello gehören nicht nur zu den außergewöhnlichsten Gegenständen im Grenzbereich der Physik, sondern erbringen durch die Entsprechungen der beiden Antlitze auch den Beweis, dass diese Abbildungen des Antlitzes ein und dieselbe Person darstellen.

Valtorta
Abb. 21: Maria Valtorta (1897-1961)
Skizze
Abb. 22: Skizze

Allerdings wurden solche Entsprechungen vornehmlich hinsichtlich des Körperbildes und der Spuren des Leichnams auf dem Grabtuch mit Christusdarstellungen in der Kunst gemacht, wie auf dem internationalen Symposium „La Sindone e le icone“, das vom 6. – 7. Mai 1989 in Bologna stattfand. Dort verglichen Giovanni Tamburelli und Nello Balossino das Antlitz auf dem Grabtuch mit sieben Abbildungen des Antlitzes Christi aus dem 6. bis 12. Jahrhundert durch Übereinanderlegen und Umsetzen in eine numerische Form, wobei sie eine Reihe von Entsprechungen feststellten.36 Der Schleier von Manoppello spielte bei diesen Vergleichen allerdings keine Rolle. Hier hat Sr. Blandina Pascalis Schlömer Pionierarbeit geleistet. Sie legte Filme vom Antlitz auf dem Grabtuch und vom Antlitz auf dem Schleier übereinander, die ich dann erstmals in digitalisierter Form am Computer nachprüfte und weitgehend bestätigen konnte.Solche Vergleiche sind erst durch die Digitalisierung der Bilder möglich geworden und haben gerade auch bei der Erforschung von Grabtuch, Schleier, Tilma und Sudarium zu großen Fortschritten geführt.
Als Paranormologe interessierte mich über alle Technik hinweg insbesondere auch die Frage, ob die bereits am 22. Februar 1944 erfolgte Aussage der Mystikerin Maria Valtorta (1897–1961, Abb. 21) zutrifft, die allerdings in der deutschen Ausgabe ihrer Schriften fehlt, weshalb ich sie hier in eigener Übersetzung anführe:
„Der Schleier der Veronika ist auch ein Stachel in eurer skeptischen Seele. Ihr Lauen und Wankelmütigen im Glauben, die ihr mit strengen Untersuchungen voranschreitet, ihr Rationalisten, vergleicht den Schleier des Schweißtuches mit dem Grabtuch. Das eine ist das Antlitz eines Lebenden, das andere das eines Toten. Länge, Breite, somatische Merkmale, Form, Eigenheiten sind jedoch gleich. Legt die Bilder übereinander. Ihr werdet sehen, dass sie übereinstimmen. Ich bin es. Ich, der euch zeigen wollte, wie ich war und wie ich aus Liebe zu euch wurde. Würdet ihr nicht zu den Verlorenen, zu den Blinden gehören, müssten jene zwei Antlitze genügen, um zur Liebe, zur Reue, zu Gott zu führen.“37
Zur Überprüfung dieser Aussage Valtortas bediente ich mich der Methode des Übereinanderlegens des Bildes vom Antlitz am Grabtuch auf die Vorder- und Rückseite des Schleiers von Manoppello. Als Foto vom Grabtuch wurde das Fotonegativ von Giuseppe Enri verwendet, weil das Originalnegativ ein genaues Übereinanderlegen nahezu unmöglich macht. Hingegen stammen die Fotos von der Vorder- und Rückseite des Schleiers vom Autor selbst, um so die absolute Echtheit zu garantieren. Die Fotos der Christusdarstellungen in den Katakomben wurden von der Commissione di Archeologia Sacra in Rom und die Fotos vom Kreuz Justins II. im Tresor von St. Peter erworben. Die anderen Fotos stammen vom Autor bzw. aus seinem Bildarchiv.
Nach Beschaffung dieser notwendigen Unterlagen wurden digitalisierte Bilder vom Antlitz auf dem Schleier auf das digitalisierte Antlitz vom Grabtuch gelegt, um eine Skizze (Abb. 22) zu erstellen. Dabei konnte in 6 gemeinsamen Merkmalen (siehe Abb. 23 – 5, 7, 13, 14, 16, 18) ein Höchstmaß an Entsprechungen der beiden Bilder ausgemacht werden. Zur Absicherung der Anpassung der beiden Bilder wurden insgesamt 20 Orientierungspunkte festgelegt (es könnten auch 100 oder 1000 sein), um am Computer durch die Skizze die Entsprechung der beiden Bilder unter sich auch bei den Christusbildern in den Katakomben und in der Ikonografie auszuloten. Die Auswahl der Orientierungspunkte (G = Grabtuch, V = Veronika) und der Kongruenzpunkte (G, V ) erfolgte aufgrund der folgenden Merkmale:
1 Haarbüschel (V): Dieses ist auf der Stirn der „Veronika“ wunderbar zu sehen und wurde daher zu einem Grundelement der Ikonenmalerei.38
2 Längslinie (G): Die Linie durchzieht das gesamte Antlitz auf dem Grabtuch und bildet die Grundorientierung für die Skizze.
3 Blutspuren (G): Die vier ausgewiesenen Blutspuren finden sich nur auf dem Grabtuch, auf der „Veronika“ fehlen alle derartigen Ablagerungen. Die rötlichen Stellen auf dem Schleier sind lediglich Lichtreflexe, die allerdings dem Aussehen des Antlitzes eine besondere Lebendigkeit verleihen.
4 Dunkle Zone (V): Auf der Seite des rechten Auges der „Veronika“ lässt sich unschwer ein dunklerer Verlauf ausmachen, der die Einpassung in die Skizze wesentlich erleichtert.
5 Augenbrauen (V, G): Die Augenbrauen sind auf dem Schleier besonders gut sichtbar, während sie auf dem Grabtuch in groben Konturen auszumachen sind. Dieses Detail erlangt, wie wir noch sehen werden, besondere Bedeutung beim Vergleich mit den Christusdarstellungen in den Katakomben und in der Ikonografie.
6 Querlinie (G): Die weiße Querlinie durch das linke Auge auf dem Grabtuch dient als besonders markanter Orientierungspunkt bei der Einpassung von Skizze und „Veronika“ in das Antlitz auf dem Grabtuch.
7 Pupillen (V, G): Die Pupillen sind auf dem Schleier besonders ausgeprägt, während sie auf dem Grabtuch nur indirekt ausgemacht werden können, daAugen geschlossen sind.

Abb. 23: Skizze mit 20 Orientierungspunkten, Grabtuchfotonegativ und
Schleiervorderseite

8 v-Form (G): Es handelt sich hierbei um einen dreieckigen weißen Fleck am unteren Lid des linken Auges auf dem Grabtuch, der mit 9 eine besonders genaue Einpassung ermöglicht.
9 Blutstropfen (G): Dieser Blutstropfen am unteren Lid des rechten Auges auf dem Grabtuch ermöglicht mit 8 eine absolute Genauigkeit der Skizze.
10 Rötung (V): Der rötliche Fleck auf der linken Wange der „Veronika“ erleichtert die Einpassung in Skizze und Grabtuch.
11 Fleck (V): An der linken Seite der Nase auf der Vorderseite des Schleiers findet sich ein dunkler Fleck, der nicht nur für die Einpassung des Antlitzes in die Skizze und in das Grabtuch von besonderer Bedeutung ist, sondern auch dazu beiträgt, Vorder- und Rückseite der „Veronika“ unmittelbar zu erkennen. Bei der Rückseite ist dieser Fleck rechts.
12 Flecken (V): Auf der rechten Wange der „Veronika“ sind zudem noch ein dunkler dreieckiger und ein leicht bräunlicher Fleck auszumachen, was die Einpassung in die Skizze zusätzlich verfeinert.
13 Nase rechts (V, G): An der rechten Seite der Nase der „Veronika“ findet sich ein besonders ausgeprägter dunkler Fleck, der auf dem Antlitz des Grabtuches eine unscharfe Entsprechung aufweist.
14 Nase links (G, V): An der linken Seite der Nase des Antlitzes auf dem Grabtuch lässt sich eine dunkle Stelle ausmachen, die auch auf dem Antlitz des Schleiers eine Entsprechung hat.
15 Oberlippe (V): Die Oberlippe der „Veronika“ ist besonders ausgeprägt und ermöglicht eine genaue Einpassung der Mundpartie.
16 Punkt (V, G): An der Oberlippe des Antlitzes auf dem Grabtuch und der „Veronika“ findet sich ein kleiner weißer Punkt, der das Einpassen der Oberlippe der „Veronika“ auf das Grabtuch sicherstellt.
17  Quetschung (V): Die Oberlippe der Veronika weist offensichtlich eine Quetschung auf, deren Konturen klar sichtbar sind.
18 Linien (G), Zahn (V): Zwei weiße Linien, eine in Form eines v, im Mundbereich des Antlitzes auf dem Grabtuch decken sich mit dem unteren Ende des oberen Zahnbereiches der „Veronika“. Diese Entsprechung ermöglicht eine letzte Einpassung der beiden Antlitze.
19 Unterlippe (V): Die Unterlippe der „Veronika“ ist ebenfalls sehr ausgeprägt und unterstützt zusätzlich die genaue Einpassung der Mundpartie.
20 Querfalte (G): Die große weiße Querfalte unter dem Antlitz des Grabtuches ist unabdingbar für die Erstellung und Einpassung der Skizze.
Diese zunächst am Fotonegativ des Grabtuches mit der Vorderseite des Antlitzes auf dem Schleier erstellte Skizze wurde dann mit dem Originalnegativ auf dem Grabtuch und mit dem Bild auf der Rückseite des Schleiers überprüft.

1. Entsprechungen zwischen den Antlitzen
auf Grabtuch und Schleier

Die folgenden Abbildungen geben die Entsprechungen zwischen dem Antlitz auf dem Grabtuch (Abb. 24) und dem Antlitz auf der Rückseite des Schleiers (Abb. 25) wieder. Wie die Skizze zeigt, entspricht das Originalnegativ dem Bild auf der Rückseite des Schleiers. Die Konturen auf dem Originalnegativ erlauben jedoch keine beweiskräftige Beurteilung der einzelnen Entsprechungen im Detail, wenngleich die Einpassung der Skizze durch die Längslinie, die Blutspuren auf der Stirn, den Blutstropfen unter dem rechten Auge (G 9) und die Zähne im Mundbereich (G / V 18) absolut gesichert ist. Allerdings wäre diese Einpassung der Rückseite des Antlitzes auf dem Schleier ohne die am Fotonegativ des Grabtuches und auf der Vorderseite des Schleiers erstellte Skizze kaum möglich. Dies besagt, dass das Antlitz auf dem Grabtuch kaum als Prototyp für die Darstellungen des Antlitzes Christi in den Katakomben und in der Ikonografie diente. Hier sind die Konturen des Antlitzes auf Vorder- und Rückseite des Schleiers nicht nur weit besser geeignet, sondern bei den Christusdarstellungen mit Haarbüschel absolut sicher.

Abb. 24: Antlitz auf Grabtuchoriginal mit Skizze Abb. 25: Antlitz auf Schleierrückseite mit Skizze

Anders verhält sich dies mit dem Fotonegativ des Antlitzes auf dem Grabtuch (Abb. 26), das jedoch erst seit 1898 bekannt ist. Bis dahin gab es nur das Originalnegativ auf dem Grabtuch und das Antlitz auf der Vorder- und Rückseite des Schleiers. Interessant ist dabei, dass einige Christusbilder sich nur mit der Vorderseite oder der Rückseite des Schleiers decken. Das heißt, dass nicht immer zwischen Vorder- und Rückseite unterschieden wurde, was in der Tat nicht einfach ist. Als Orientierung kann der obere dunkle Fleck auf der Nase dienen. Bei der Vorderseite ist der Fleck links, wie in Abb.  27.

Abb. 26: Antlitz auf Grabtuch-Fotonegativ mit Skizze Abb. 27: Antlitz auf Schleiervorderseite mit Skizze
Grabruch Fotonegativ Schleier Skizze
Abb. 28: Skizze auf Antlitz-Fotonegativ des Grabtuches
und Vorderseite des Schleiers

Die Skizze wurde, wie schon erwähnt, mit Hilfe von Abb.  25 und 26 erstellt, wobei durch Reduzierung der Dichte Abb.  26 samt Skizze so durchsichtig gemacht werden kann, dass Abb.  25 in vollen Konturen durch Abb.  26 hindurch sichtbar wird (Abb.  28). Natürlich könnte man diese Entsprechungen auch durch andere Verfahren aufzeigen, doch beinhaltet dieser Vergleich mit Hilfe einer Skizze eine optische Vergleichsmöglichkeit, die an Effizienz und Einfachheit kaum zu überbieten ist.
Dies zeigt sich insbesondere auch im Zusammenhang mit den von Giulio Fanti und seinem Kollegen Roberto Maggiolo bei den in Strahlenanalyse der Rückseite des Grabtuches festgestellten Konturen des Antlitzes (Abb.  29) und vermutlich auch der Hände des Körperbildes auf dem Grabtuch39.

 
Abb. 29: Antlitz-Konturen auf der Rückseite des
Grabtuches (Fanti)
Abb. 30: Antlitz-Konturen auf der Rückseite des
Grabtuches mit Skizze

Legt man die Skizze wie auf der Vorderseite des Schleiers auf das Konturenbild, das ja seitenverkehrt ist, so zeigt sich eine völlige Deckungsgleichheit (Abb. 30). Diese Deckungsgleichheit bezieht sich nur auf die Konturen des Köperbildes, nicht aber auf die Blutspuren. Das Blut ist durch den Kontakt des Leichnams auf das Grabtuch gekommen und hat den natürlichen Weg durch das Leinengewebe genommen, wie die Skizze eindrucksvoll zeigt. Die Abweichungen der Blutspuren von der Skizze sind zudem noch im Einzelnen verschieden. Damit ist ein zweifacher Beweis gegeben: Die Blutspuren gehören nicht zum Körperbild, wie dies heute allgemein betont wird. Das Antlitz des Körperbildes auf der Vorderseite des Tuches zeigt sich in Konturen als deckungsgleiches Spiegelbild auf der Rückseite, unabhängig von der Struktur des Tuches. Das lässt auf eine Strahlung schließen, die das Tuch ungehindert durchdrungen hat. Die Analyse der Daten der im Jahre 2002 gescannten Rückseite des Grabtuches zeigt Konturen eines Antlitzes genau in der Position des Antlitzes des Körperbildes auf der Vorderseite.
Die aufgezeigte Übereinstimmung der beiden Bilder bezieht sich nur auf die Proportionen und die oben ausgewiesenen Merkmale, nicht aber auf die beiden Bilder als solche, handelt es sich doch beim Grabtuch um das Antlitz eines Toten mit all seinen Merkmalen und auf dem Schleier um das Antlitz eines Lebenden mit den entsprechenden Eigenschaften.

2. Übereinstimmungen mit Christusdarstellungen in den Katakomben

Nach dieser Absicherung der Übereinstimmung der beiden Antlitze auf Grabtuch und Schleier stellte ich mir die Frage, ob sich eine solche Übereinstimmung auch bei den Christusdarstellungen in den Katakomben und in der Ikonografie aufweisen lässt, wie gelegentlich behauptet wurde. Für diese Untersuchung kann ich auf die Darstellung in meiner Arbeit Das Antlitz Christi zurückgreifen und aus Platzgründen hier folgende Auswahl treffen, die hinreicht, um den Zeitraum vom 3. bis zum 12 Jahrhundert abzudecken:

Gute Hirte Logoshirte
Abb. 31: Der Gute Hirte (Priscilla-Katakombe, 3. Jh.) mit
Skizze
Abb. 32: Der Logoshirte (Aureliergruft, 3. Jh.) mit
Skizze

Der Gute Hirte (Priscilla-Katakombe, Abb.  31), das häufigste Bild in den römischen Katakomben, ist dem Deckenbild des Velatio-Grabes der Priscilla-Katakombe entnommen, das aufgrund der Inschriften und Malereien sehr präzise in die ersten Jahrzehnte des 3. Jahrhunderts datierbar ist. Das Bild ist kein Christusbild im eigentlichen Sinne, da Christusporträts damals noch verboten waren. Man stellte Christus daher vornehmlich als den wahren Guten Hirten dar, der hier ebenso bartlos aufscheint wie der im Kreis seiner Jünger sitzende Christus in der Domitilla-Katakombe (vgl. Abb. 33).40 Umso erstaunlicher ist, dass selbst bei dieser Darstellung die Proportionen des Gesichtes mit der Skizze von Grabtuch und Schleier übereinstimmen, wobei die Vorderseite des Bildes auf dem Schleier zur Deckung kommt. Damit ist auch der Beweis geliefert, dass es sich bei diesem Bild um eine Christusdarstellung handelt.
Der Logoshirte (Aureliergruft, Abb.  32) zeigt den lesenden Hirten in Gestalt eines kynischen Philosophen. Die Aureliergruft wurde um 220 – 230 errichtet und zwischen 270 und 280 infolge der starken Stadtentwicklung Roms und des Baus der Aurelianischen Mauer aufgegeben. Das Fresko des Logoshirten entstand daher vor 270 und gilt als die älteste bekannte Darstellung des bärtigen Guten Hirten.41 Dass es sich dabei um eine Christusdarstellung handelt, beweist die angeführte Übereinstimmung der Proportionen mit dem Grabtuch und der „Veronika“. Auch hier kommt die Vorderseite der „Veronika“ zur Deckung.
Christus mit den Jüngern (Domitilla-Katakombe, Abb.  33) in der Ampliatusgruft der Domitilla-Katakombe, entstanden zwischen 330 und 340, zeigt Christus inmitten seiner Apostel als die alles überragende Gestalt. Durch das spätere Einfügen einer Grabnische wurde das Gemälde in seiner unteren Hälfte zerstört.42 Die Übereinstimmung der Züge des Antlitzes dieser Christusdarstellung mit Skizze und Antlitz auf dem Grabtuch und der „Veronika“ ist offensichtlich. Hier kommt die Rückseite der Veronika zur Deckung.

Christus in der Pudentiana
Abb. 35: Christus mit den Aposteln (Basilika S. Pudenziana, 5. Jh.) mit Skizze

Thronender Christus (Katakombe des Petrus und Marcellinus, Abb.  34) an der Via Labicana in Rom zeigt in dem um 350 entstandenen Deckengemälde Christus bereits in einem echten Porträt mit langem Haupthaar und kurzem Bart. Der Gesichtsausdruck und die Übereinstimmung der Gesichtsproportionen mit dem Antlitz auf dem Grabtuch und der „Veronika“ bilden eine vollkommene Entsprechung.43 Dabei kommt die Deckungsgleichheit nur mit der Rückseite der „Veronika“ zustande.
Christus mit den Aposteln in der Apsis der Basilika S. Pudenziana in Rom (Ab. 35). Nach der langen Christenverfolgung entstanden im 4. und 5. Jahrhundert in den Basiliken und Kirchen Roms sowie in anderen Städten des römischen Reiches große Mosaikzyklen, darunter das mächtige Mosaik „Christus mit Aposteln bei der Wiederkunft“ in der Apsis der Basilika S. Pudenziana in Rom. Dieses datiert zwischen 401 und 417 und stellt Christus bei der Wiederkunft am Ende der Zeiten dar.44 Von besonderer Bedeutung ist hier, dass selbst die Mosaikdarstellung des Antlitzes Christi mit den Gesichtsproportionen von Grabtuch und „Veronika“ übereinstimmt. Auch in diesem Fall erfolgt die Deckungsgleichheit mit der Rückseite der „Veronika“. Dabei ist anzumerken, dass Aufnahmen, die vom Boden der Kirche aus gemacht werden, die Proportionen des Gesichtes verschieben, womit eine Deckungsgleichheit unmöglich wird.

3. Übereinstimmung mit dem Christusbild am Reliquienkreuzes Justins II.

Justinkreuz
Abb. 36: Oberes Ende des Längsbalkens
des Reliquienkreuzes Justins II. mit
Christusmedaillon
Abb. 37: Christusmedaillon am Reliqienkreuz Justins II. Abb. 38: Christusmedaillon am Reliquienkreuz
Justins II. mit Skizze

Christusbild am oberen Ende vom Längsbalken des Reliquienkreuzes Justins II. (Abb. 36 – 37). Zu den eindrucksvollsten Übereinstimmungen gehört vor allem die völlige Übereinstimmung der Skizze mit den Gesichtmerkmalen des Christusmedaillons auf dem Reliquienkreuz Jutsins II, zumal es sich hier um das älteste Christusmedaillon handelt.
Diese Übereinstimmung von Skizze, Grabtuch und „Veronika“ mit dem Christusmedaillon am oberen Längsarm der Rückseite des Reliquienkreuzes Justins II. ist allein schon deswegen beachtenswert, weil die Schenkung des Kreuzes, wie dargelegt, noch vor der Überführung der „Veronika“ aus Kamulia 574 erfolgte. Das besagt nicht nur, dass das Bild bereits bekannt war und man ihm große Verehrung entgegenbrachte, sondern auch dass selbst im Osten das Kamulia-Bild in seinen genauen Proportionen als das verpflichtende Grundmodell für Christus-Darstellungen galt. Besonders hervorzuheben ist das deutlich sichtbare Haarbüschel, ein Charakteristikum der „Veronika“. Zu beachten ist auch, dass die Vorderseite der „Veronika“ deckungsgleich ist (Abb.  38).
Wer sich angesichts dieser Übereinstimmungen nur auf das Grabtuch beruft, geht an den offensichtlichen Gegebenheiten vorbei.45

4. Übereinstimmungen mit Christusbildern in der Ikonografie

Auch in der Ikonografie ist die Übereinstimmung mit den Proportionen des Antlitzes auf dem Grabtuch und jenen auf der Vorder- und Rückseite des Schleiers von Manoppello besonders ausgeprägt, wie an den folgenden drei Ikonen gezeigt werden soll.

Mandylion Vatikan
Abb. 39: Santo Volto von Genua (14. Jh.) mit Skizze Abb. 40: Mandylion des Vatikan (14. Jh.) mit Skizze

Der Santo Volto von Genua (S. Bartolomeo degli Armeni, Abb. 39) ist ein aus Eierfarben hergestelltes Temperabild auf einem Leinentuch, das auf ein sehr altes Zederntäfelchen aufgeklebt wurde. Das Bild wurde, als es sich noch in Konstantinopel befand, in ein größeres Holzrahmengestell eingefügt. Auf dieses wurde ein sehr kostbares, in Konstantinopel hergestelltes Filigranornat aus Silber und Gold aufgesetzt, das aus zehn Hohlreliefs mit Szenen der Geschichte des acheiropoietos besteht. Es handelt sich dabei um ein wahres Meisterwerk byzantinischer Goldschmiedekunst, was diese Reliquie von allen anderen Nachbildungen des acheiropoietos wesentlich unterscheidet.
Das Bild kam durch Leonardo Montaldo nach Genua, der 1362 und 1382 im Rahmen der engen Verbindungen der Genuesen mit dem Byzantinischen Hof im Orient weilte und bei einem dieser Aufenthalte, wahrscheinlich 1362, den Santo Volto mit nach Genua brachte. 1384 vermachte er ihn per Testament den Mönchen des Konvents von San Bartolomeo degli Armeni.46
Was schließlich die Kongruenz des Santo Volto mit dem Antlitz auf dem Grabtuch und der „Veronika“ betrifft, so fällt auf, dass es sich im Gegensatz zum Mandylion des Vatikan mit der Vorderseite der „Veronika“ deckt.
Das Mandylion des Vatikan (Galleriola del Romanelli, Vatikan, Abb.  40). Bei diesem Mandylion handelt es sich ebenfalls um ein mit Temperafarben auf Leinen gemaltes, silhouettiertes Bild, aufgeklebt auf einer kleinen Holzplatte, welche ihrerseits von einer flachen Silberplatte in Teilen umrahmt ist.
Das Bild ist mit einer vergoldeten Metallkleidung versehen, die den charakteristischen Umriss des Gesichts mit den drei Spitzen von Bart und Haaren umschreibt. Über die Entstehung des Bildes gehen die Meinungen auseinander. Es soll zu jenen Kultbildern gehören, die als „nicht von Menschenhand gemacht“ bezeichnet werden, also der Legende nach entweder himmlischen Ursprungs oder aber als Kopie des Originals entstanden sind. Als 1204 Konstantinopel von den Venezianern erobert wurde, sei es in den Westen gelangt. 1377 übergab Gregor XI. bei seiner Rückkehr aus Avignon nach Rom Bischof Nicholás de Biedma angeblich eine Kopie zur Ausstellung im Dom von Jaén (Spanien). Sicher nachweisbar ist das Vatikanbild jedenfalls seit 1587 im Besitz des stadtrömischen Klarissinnenklosters in der Kirche S. Silvestro in Capite, Rom. Der aktuelle Rahmen wurde 1623 von Francesco Comi gefertigt. 1870 wurde
das Bild auf Veranlassung von Papst Pius IX. in den Vatikan gebracht, damit es bei der Auflösung des Kirchenstaates nicht mit der Stadt Rom an den italienischen Staat falle.
Die Ähnlichkeit mit dem Bild von Genua in Form und Geschichte führte fast zwangsläufig zur Frage, welches von beiden älter ist. Im Grunde sind die zwei, abgesehen vom Rahmen, künstlerisch sehr einfach gestalteten Bilder Kopien der „Veronika“, mit der sie in den Proportionen übereinstimmen. Eigenart, Lebendigkeit und Ausdrucksform der „Veronika“ werden jedoch von beiden Kopien nicht einmal annähernd erreicht.47 Im Gegensatz zum Santo Volto von Genua ist sonderbarerweise nur die Rückseite der „Veronika“ deckungsgleich.

Novgorod
Abb. 41: Mandylion von Nowgorod mit Skizze

Das Mandylion von Nowgorod (Tretajakovskaja Galeria, Moskau, Abb.   41) war ursprünglich in der Kirche des Heiligen Mandylion in Nowgorod, am Ufer des Volchov, die 1191 von einem gewissen Vnezd Nezdiniè erbaut wurde. Die Ikone, die in einem sehr guten Zustand ist, befindet sich nun in der Tretajakovskaja Galeria in Moskau.
Die Darstellung des Antlitzes Christi folgt genau der byzantinischen Tradition, was besagt, dass dem Maler gute byzantinische Vorbilder vor Augen standen oder aber dass er eine Ausbildung durch byzantinische Maler erhalten hatte.
Besonders auffallend sind der Haarwuchs, der gespaltene Bart, die schmale Nase, das Haarbüschel an der Stirn, der Blick nach rechts.48
Auch hier ist nur die Rückseite der „Veronika“ zur Deckung zu bringen. Obwohl die Augen überproportional vergrößert sind, fügt sich die Skizze in die Grundproportionen ein.

5. Ähnliche Christusbilder

Christus Katharinenkloster
Abb. 42: Pantokrator vom Katharinenkloster am Sinai
mit Skizze

Da es bei dieser Darstellung von Christusbildern um die höchstmögliche Übereinstimmung mit dem Antlitz auf dem Grabtuch und auf dem Schleier von Manoppello geht, müssen all die zahlreichen Bilder ausgeschlossen werden, die eine Abweichung von den Maßen der Skizze aufzeigen, selbst wenn sie zu den bedeutendsten Christusikonen zählen.
So kann die Christusikone des Pantokrator vom Katharinenkloster am Sinai (Abb. 42) wegen der überproportionierten Augen im strengsten Sinn nicht als übereinstimmend bezeichnet werden, obwohl die Proportionen offensichtlich sind.
Proprotionen des Antlitzes auf dem Grabtuch und dem Schleier finden sich in so vielen Christlusdarstellungen, dass hier nur darauf verwiesen werden kann. Es lohnt sich anhand der angeführten Skizze die zahlreichen Etnsprechungen in den Christusdarstellungen auszumachen. Bei der heutigen Computertechnik ist dies bei einiger Übung mit einem entsprechenden Programm, wie etwa Photoshop, eine interessante Arbeit und Faszination. Man muss sich jedoch darauf einstellen, dass die Skizze oft nur durch ein entsprechendes Drehen und ein horizontales Spiegeln eingepasst werden kann. An den Proportionen der Skizze darf dabei nichts verändert werden.
Abgesehen von kleinen künstlerischen Gestaltungsfreiheiten weisen fast alle Ikonen in ihrer Grundstruktur auf das Antlitz des Schleiers hin, insbesondere dann, wenn auch noch das Haarbüschel angedeutet wird.
Ich möchte sogar so weit gehen, nur jene Ikonnen als wahre Ikonen zu bezeichnen, die ein Haarbüschel andeuten, ist dies doch das Charakteristikum des Antlitzes auf dem Schleier von Manoppello und dem Christusmedaillon auf dem Längsbalken des Reliquienkreuz Justins II.
Inwieweit bei der Ikonenmalerei auch das Antlitz auf dem Grabtuch eine Rolle spielte, muss offen bleiben, zumal bis 1898 das ausdrucksvollere Negativ unbekannt war. Das Antlitz auf dem Original ist nämlich nur aus einer gewissen Entfernung zu sehen, was eine eine genaue Feststellung der Gesichtszüge fast unmöglich machte, weshalb man auch bei der ersten Erstellung des Negativs von der Echtheit des Antlitzes so überrascht war, dass man den Fotografen des des Betrugs bezüchtigte und mit der Ermordung bedrohte.

III. Schlussfolgerungen

Die so signifikanten Entsprechungen der Proportionen des Antlitzes auf dem Schleier mit dem Antlitz auf dem Grabtuch, verbunden mit zusätzlichen Merkmalen, weisen darauf hin, dass beide Antlitze Abbilder derselben Person sind.
Die Übereinstimmung von Skizze und Antlitz auf dem Schleier mit dem Antlitz Christi auf dem Kreuz Justins (Abb. 43) und dem charakteristischen Haarbüschel ist ein überzeugender Beweis dafür, dass das Bild auf dem Schleier als Vorlage diente. Das Haarbüschel ist hier wegen seiner Einmaligkeit so bedeutsam, dass sich jedes Gegenargument als überflüssig erweist. Nicht zuletzt ist diese Übereinstimmung auch von besonderer Bedeutung für die Datierung des Grabtuches.

Abb. 43: Antlitz Christi am Reliquienkreuz Justins II. mit Schleiervorderseite und Skizze

Dass die auf dem Grabtuch hinterlassenen Spuren des Leichnams und des Körperbildes von Jesus Christus stammen, kann nur aus den Entsprechungen mit den in der Bibel gemachten Beschreibungen von Geißelung, Dornenkrönung, Kreuzweg, Kreuzigung und Grablegung geschlossen werden. Das Bild auf dem Schleier ermöglicht von sich aus diesbezüglich keine direkte Aussage. Die Merkmale des Antlitzes auf dem Schleier gewinnen erst durch die Deckungsgleichheit mit dem Antlitz auf dem Grabtuch und den genannten Bezügen zur Bibel eine christologische Dimension, genauso wie die Christusdarstellungen in den Katakomben und in der Ikonografie. Der Bezug zu Christus geht letztlich nur über die biblische Beschreibung, deren Entsprechung mit den Merkmalen des Grabtuches so signifikant ist, dass kein Gegenargument greift.
Die Untersuchungen haben ferner gezeigt, dass – wenn schon das Antlitz auf dem Schleier von Manoppello aufgrund der Deckungsgleichheit mit dem Antlitz auf dem Grabtuch auf Christus zurückgeht – die Einprägung des Bildes auf den Schleier nur in der Zeit zwischen Geißelung und Grablegung erfolgen konnte, zumal der Schleier das Bild eines gefolterten (Nasenknorpelverschiebung und Lippenquetschung), aber lebendigen und selbstbewussten Mannes zeigt.
Ob Jesus dabei mit dem Tüchlein sein Gesicht berührt oder auf Entfernung hin die Fäden so modifiziert hat, dass sie bei entsprechendem Lichteinfall sein Antlitz zeigen, muss offen bleiben. Ebenso offen bleibt, wer das Tuch gehabt hat. Aufgrund seiner Zartheit und Kostbarkeit darf man wohl eher an eine Frau denken. Vielleicht war es seine Mutter, die Frau des Pilatus oder aber Maria Magdalena?
Die Tatsache, dass das Antlitz auf dem Schleier nach den Aussagen der Skizze zumindest bis zum Kreuz Justins II. zurückreicht, wenn nicht bis zum Guten Hirten zwischen 200 und 250, ist, wie schon erwähnt, auch aufschlussreich im Hinblick auf das Alter des Grabtuches. Dieses Faktum spricht auch dafür, dass die Proportionen, die in der Ikonografie zur Darstellung Christi verwendet wurden und werden, dem Schleier entstammen, da das Originalgesicht auf dem Grabtuch so exakte Maße nicht zulässt.
Ferner lässt sich die Tatsache, dass die Entsprechung der Skizze manchmal nur mit der Vorderseite und manchmal nur mit der Rückseite des Schleiers möglich ist, nur dadurch erklären, dass aufgrund der Eigenart des Schleiers zwischen Vorder- und Rückseite nicht so leicht zu unterscheiden ist. Damit soll aber nicht auch schon gesagt sein, dass in der Christusikonografie der Einfluss des Antlitzes auf dem Grabtuch ohne jede Bedeutung ist.
Die Übereinstimmung des Antlitzes auf dem Grabtuch und des Antlitzes auf dem Schleier mit den Christusbildern bis zurück in das dritte Jahrhundert ist ferner ein Hinweis darauf, dass es schon damals in der bildenden Kunst und in der Ikonografie strenge Proportionsnormen gab.
Schließlich hat die ganze Untersuchung die eingangs gestellte Frage nach der Stimmigkeit der Aussagen von Maria Valtorta in einer Form bestätigt, dass man von einer echten Eingebung sprechen muss, zumal zur damaligen Zeit noch niemand eine Vorstellung von solchen Entsprechungen hatte.
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