Andreas Resch: Claudine Thévenet

CLAUDINE THÉVENET
(Maria vom hl. Ignatius)
(1774-1837)

GRÜNDERIN
DER KONGREGATION DER SCHWESTERN
VON JESUS-MARIA

Heilig: 21. März 1993
Fest: 3. Februar

CLAUDINE THÉVENET (Maria vom hl. Ignatius) wurde am 30. März 1774 als zweites Kind von Philibert Thévenet und Antoinette Guyot in Lyon, Frankreich, geboren. Nach einer soliden Erziehung im Schoß der Familie erhielt „Glady“, wie sie von allen genannt wurde, von 1784 bis 1789 ihre Jungmädchen-Ausbildung in der berühmten Abtei der Benediktinerinnen von Saint-Pierre-les-Nonnains, wo sie zusammen mit anderen Schülerinnen bei Ausbruch der Revolution entlassen wurde.

In die Familie zurückgekehrt, wuchs sie im aufgeheizten Klima der Revolution heran und erlebte die Tage der „Schreckensherrschaft“, wobei sie ihre ganze Energie darauf verwandte, die Leiden derer zu lindern, die in die Hände der Jakobiner gefallen waren. Als sie am 5. Januar 1794 wie üblich den Kerker aufsuchte, in dem auch ihre Brüder Louis Antoine und François eingesperrt waren, wurde sie Zeugin der Hinrichtung von 24 jungen Männern, darunter auch der Brüder, denen sie sich kurz vor der Erschießung noch nähern und das Vermächtnis entgegennehmen konnte: „Glady, vergib, wie auch wir vergeben!“

Claudine war damals 19 Jahre alt und dieser Moment war entscheidend für ihr Leben. Die Erfahrung des Verzeihens, die sich ohne Antwort ausdrückte, machte ihr die unendliche Güte Gottes bewusst, verbunden mit dem tiefen Wunsch, von der Güte des Vaters zu sprechen, indem sie ihre Nächstenliebe auf alle Bedürftigen ausdehnte. Sie wurde so zum tröstenden Engel der Familie und der Verwandten, stets wachsam inmitten der Ruinen der Revolution, um den von den Sansculotten verfolgten Priestern und Ordensleuten zu helfen und den Familien beizustehen, die im Elend versanken. Dennoch schlugen sich die sogenannten „Massaker von Lyon“, deren gewaltsames Ausmaß sie voller Angst mit eigenen Augen mitansehen musste, auf den Organismus von Glady, die ihr ganzes Leben hindurch unter chronischen Kopfschmerzen, einem ständigen Tremor des Kopfes und keuchendem Atem litt, obwohl sie den Mördern und dem Denunzianten verziehen hatte. Wenn sich diese Auswirkungen in einer etwas auffälligeren Form bemerkbar machten, versuchte sie mit dem Ausdruck „mein Terror“ davon abzulenken.

Kaum konnte die Kirche wieder atmen, nahm Claudine an den Versammlungen in Saint-Bruno teil und organisierte dort 1815 die erste „Fürsorge“ für die verlassenen Mädchen. Ihre eigentliche Berufung durch den Herrn erfuhr sie jedoch, als der Pfarrer von Saint-Bruno, P. André Coindre, der die Qualitäten der jungen Frau erkannt hatte, ihr zwei weinende Mädchen mit zerschlissenen Kleidern brachte, die vor Kälte zitterten. Claudine nahm sie auf und widmete sich mit Hilfe anderer junger Frauen deren Pflege und Erziehung. Nach dieser Begegnung unterstützte P. Coindre Claudine bei ihrer Arbeit, ermunterte sie mit seinem Rat und wurde ihr Seelenführer.

Am 31. Juli 1816 gründete sie gemeinsam mit P. Coindre die „Fromme Vereinigung des Heiligsten Herzens Jesu“ für junge Mädchen, gegliedert in vier Bereiche nach dem zu verrichtenden Apostolat seitens der Mitglieder, zu denen außer ihr anfangs noch sieben weitere gehörten. Claudine wurde einstimmig zur Leiterin ernannt. Für alle Mitglieder stellte die Vereinigung eine Vorbereitung auf das Ordensleben dar. P. Coindre, die Seele des Werkes, lud die Gruppe am 31. Juli 1818 ein, sich als Gemeinschaft zu strukturieren, wobei er die eifrigsten in einer Ordensgemeinschaft zusammenschloss und Claudine zum Eckstein des neuen Instituts machte. „Gott hat dich erwählt“, sagte er. Die Antwort von Claudine war ein volles Ja.

In der Nacht vom 5. zum 6. Oktober 1818 verließ sie endgültig das Haus in Pierres-Plantées, das sie mit ihrer Mutter bewohnt hatte, um ihr Leben Gott zu weihen und sich um die Erziehung der bedauernswerten Kinder und jungen Mädchen zu kümmern. Jene Nacht war die schmerzlichste ihres Lebens, wie sie selbst sagt: „Es schien mir, als würde ich mich in ein waghalsiges Abenteuer stürzen, das keinerlei Garantie auf Erfolg bot.“ Am 6. Oktober 1818 richtete Thévenet in Pierres-Plantées auf der Anhöhe des Roten Kreuzes von Lyon eine zweite „Fürsorge“ ein. Es befanden sich dort die Gründerin und lediglich drei weitere Personen: ein Mitglied, eine Arbeiterin und eine Waise. Das Abenteuer bestand darin, sich endgültig in einem einfachen Haus niederzulassen, um die Kongregation der Schwestern von den Heiligsten Herzen Jesu und Maria bzw. seit 1841 Schwestern von Jesus-Maria (Abb.) zu gründen mit dem Zweck, sich der Erziehung der weiblichen Jugend aus allen Schichten zu widmen.

Das auf so schlichte Weise begonnene Werk nahm eine rasche Entwicklung. Nachdem Thévenet vom Bruder von Paulina Jarricot, Gründerin der Päpstlichen Missionswerke, auf der Lyoner Anhöhe von Fourvière, in der Nähe des Heiligtums Notre-Dame, ein großes Grundstück erworben hatte, begann sie am 12. Juli 1820 mit dem Bau des Mutterhauses des Instituts und anderer Bauten für die karitativen Werke: ein Pensionat für höhere Töchter und ein Fürsorgeheim für Waisen und verlassene Mädchen, um ihnen eine angemessene religiöse und kulturelle Erziehung zu vermitteln, während sie gleichzeitig lernten, in der Spinnerei zu arbeiten, damit sie dann in den Seidenfabriken von Lyon eine feste Anstellung fänden. Einige Monate später gründete sie ein weiteres Pensionat in Belleville mit einer Zusatzklasse für die Armen.

Claudine, die in ihrer Jugend eine exzellente Ausbildung genossen hatte, wollte eine solche auch ihren Mädchen zuteil werden lassen. Sie versicherte sich daher, dass alle Töchter, denen die Pensionate anvertraut wurden, reguläre staatliche Voraussetzungen hatten. Abgesehen vom Unterricht ermunterte sie die Mädchen, einen Teil vom verdienten Geld zu sparen, machte sie an der eigenen Ausbildung mitarbeiten und war ihnen eine gütige Lehrerin. In der Tat wurde sie, was Erziehung anbelangte, als eine echte Pionierin betrachtet.
Die Kommunität wie auch das Werk selbst entwickelten sich. Und in Claudine und ihren Gefährtinnen wuchs zunehmend das Verlangen, sich Gott in einer echten und eigentlichen Kongregation zu weihen. Die Umstände waren jedoch nicht günstig. Der 1818 wegen seiner antinapoleonischen Haltung aus Lyon vertriebene Kardinal Fesch hatte nämlich nicht den Rücktritt eingereicht, sondern residierte in Rom und verbot jedwede Neugründung.

Man musste eine andere Diözese suchen. So übersiedelte die junge Kongregation 1821 nach Monistrol in die Nachbardiözese und begann ein reguläres Ordensleben. Claudine, welche die wichtigsten Entscheidungen ihrer Weihe an Gott am Fest des hl. Ignatius von Loyola getroffen hatte, gab sich den Namen Maria vom hl. Ignatius. 1823 erhielt die Kongregation schließlich die vorläufige Approbation des Bischofs, und am 25. Februar 1823 weihte sich Maria vom hl. Ignatius zusammen mit vier Gefährtinnen in der Kapelle der Missionare von Puy in Monistrol für immer dem Herrn. Am Tag darauf wurde sie die erste Generaloberin. 1825 wurden auch die Niederlassungen von Lyon und Belleville anerkannt.

Die folgenden Jahre waren von großen Prüfungen gekennzeichnet. Im Februar 1826 starb P. Coindre im Alter von 39 Jahren. 1830, 1831 und 1834 kam es in Lyon zu blutigen Aufständen. Am 19. April 1834 besetzten die Soldaten das Pensionat. „Wir waren zwischen zwei Feuern eingeschlossen“, schrieb Maria. In ihrem außerordentlichen Mut ließ sich die Gründerin von den Feindseligkeiten niemals einschüchtern. In kühner Manier nahm sie neue Bauten in Angriff, darunter die Kapelle des Mutterhauses. Gleichzeitig widmete sie sich der Abfassung der Konstitutionen der Kongregation.

Zur Erlangung der vom Staat geforderten Titel für die Leitung der Pensionate schrieb sie sich zu den Prüfungen für das offizielle Diplom ein; sie war damals 48 Jahre alt. Ihre Sensibilität für die Bedürfnisse der Armen war so groß, dass sie ihnen, wenn sie an die Pforte klopften, die Aufnahme nicht verwehren konnte. Als daher eines Tages, an dem alle Plätze besetzt und die finanziellen Ressourcen erschöpft waren, ein neues Kind kam, sagte sie wie gewohnt: „Nehmt es auf, Gott wird sich darum kümmern!“

1835 musste sie gegen den Versuch einer Fusion ihrer Kongregation mit den Ordensfrauen vom Heiligsten Herzen Jesu der hl. Magdalena Sophie Barat kämpfen. Diese Gefahr hatte sehr an ihren Nerven gezehrt. 1836 hingegen erlebte sie die Freude, einer der ersten Messen ihres Neffen beiwohnen zu können, die im Oratorium des Hauses gefeiert wurde.

Wenngleich sie sich weiterhin für das Institut und ihre Mitschwestern einsetzte, begannen ihre physischen Kräfte langsam zu schwinden. Am 29. Januar 1837 erhielt sie die Krankensalbung. Die letzten Tage ihres Lebens waren gekennzeichnet von körperlichen und seelischen Schmerzen. Thévenet starb am 3. Februar 1837, um 3 Uhr nachmittags im Haus von Fourvière in Lyon, nach einem Leben unverbrüchlicher Treue zu den seit 1816 gemachten Vorsätzen, die eigene Heiligung in der Ausübung der christlichen Tugenden und der evangelischen Räte sowie durch Werke der Nächstenliebe zu verwirklichen. Ihre letzten Worte waren: „Wie gut Gott doch ist!“
Claudine Thévenet wurde in Fourvière beigesetzt. Heute ruhen ihre sterblichen Überreste in der Kapelle “Maison Fondatrice”, 2, Place de Fourvière, Lyon, Frankreich.

Ihr Beispiel als Erzieherin und ihr missionarischer Eifer leben in den Töchtern ihrer Kongregation fort. Fünf Jahre nach ihrem Tod, 1842, gingen sechs von ihnen nach Indien. Es war dies der Anfang der Ausbreitung der Kongregation, die mittlerweile in 26 Ländern über fünf Kontinente verteilt ist.

Am 4. Oktober 1981 wurde Maria vom hl. Ignatius Thévenet von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen und am 21. März 1993 heiliggesprochen.

 

RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Johannes Pauls II. 1982 – 2004. Innsbruck: Resch, 2012 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 5). XIV, 480 S., 109 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-094-0, Ln, EUR 48.60 [D], 49.90 [A]

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