Andreas Resch: Bernhard Tolomei

BERNHARD TOLOMEI
(1272-1348)

GRÜNDER
DER BENEDIKTINER VON
„MONTE OLIVETO“
(OLIVETANER)

Heilig: 26. April 2009 
Fest: 20. August

BERNHARD TOLOMEI wurde am 10. Mai 1272 als drittes Kind der adeligen und sehr begüterten Familie Tolomei in Siena, Italien, geboren und auf den Namen Johannes getauft. Später kamen noch zwei weitere Knaben und zwei Mädchen hinzu. Die Tolomeis gehörten zu den Pionieren des damals in Italien entstehenden modernen Bankwesens. Johannes genoss eine hervorragende Erziehung, insbesondere in dem von den Dominikanern geleiteten Collegio di S. Domenico di Camporeggio in Siena. Schon damals reifte in ihm zusehends der Wunsch, Priester zu werden. Der Vater war jedoch dagegen und machte ihn schon früh mit den Grundlagen von Handel und Bankwesen vertraut. So studierte er Philosophie, Rechtswissenschaft und Theologie in seiner Heimatstadt, wo er vermutlich auch Mitglied der „Confraternita dei Disciplinati di Santa Maria della Notte“ war, die sich der Kranken im Spital annahm.

Nach dem Studium diente Tolomei eine Zeitlang in der Armee Rudolphs I. von Habsburg († 1291), der ihn zum Ritter (miles) ernannte, sollte er doch in seiner Heimatstadt leitende Ämter übernehmen. Nach dem Abschied vom Militärdienst war Johannes daher in der Stadtpolitik von Siena tätig und wurde dabei in eine der höchsten Funktionen der Stadt gewählt. Eine progressive, nahezu völlig Erblindung veranlasste ihn jedoch zum Verzicht auf eine öffentliche Laufbahn. Der Überlieferung nach erhielt er auf die Fürbitte der seligen Jungfrau Maria sein Augenlicht wieder.

1313 zog sich Tolomei im Alter von 40 Jahren mit Freunden auf das von ihm geerbte und völlig abgelegene Landgut Accona, einige km südöstlich von Siena, zurück. Ein Chronist beschreibt diesen Schritt Tolomeis mit folgenden Worten: „Beseelt vom Hauch des göttlichen Geistes und in seinem Innersten von leidenschaftlicher Inbrunst bewegt, vereint mit seinen edlen Freunden aus Siena, Patrizio de’ Patrizi, Francesco und Ambrogio Piccolomini, Tag und Nacht in Betrachtungen versunken, strebte er der himmlischen Wirklichkeit zu. In großer Eintracht entfernten sie sich von den Nichtigkeiten der Welt und bemühten sich, Gott zu dienen.“ Die drei fanden in Accona ein Gebäude vor, in dem sie sich zunächst niederließen. Sie tauschten ihre Kleider aus feinstem Tuch gegen armselige Gewänder und errichteten eine Gebetsstätte, an der sie das Stundengebet verrichteten und von Priestern ihrer Wahl die Messe lesen ließen, da keiner von ihnen geweihter Priester war.

Eines Tages erschien Johannes im Gebet plötzlich eine silberne Leiter mit dem Heiland und seiner Allerseligsten Mutter in strahlend weißer Gewandung an ihrer Spitze. Über die Leiter stiegen Engel zur Erde herab, während weiß gekleidete Mönche in den Himmel emporstiegen. Johannes rief die Mitbrüder, die in der Nähe waren, herbei und ließ sie an dieser Vision teilhaben, welche bereits die Zukunft ankündigte: den Bau eines Klosters, das für viele weiß gekleidete Mönche zur Himmelsleiter wurde. Gestärkt durch diese Vision, beschlossen die Brüder von Accona, sich in die Schule des hl. Benedikt zu begeben. Johannes nahm im Gedenken an den Abt Bernhard von Clairveaux, den großen Marienverehrer aus dem 12. Jahrhundert, den Namen Bernhard an.

Da sich ihm immer mehr Menschen anschlossen, wurde Bernhard von Widersachern der Ketzerei angeklagt und von Papst Johannes XXII. nach Avignon gerufen. Der Papst erkläre ihn jedoch für unschuldig und verwies ihn an den zuständigen Bischof von Arezzo. Also reiste er in Begleitung von Bruder Patrizio zu Bischof Guido Tarlati nach Arezzo. Dieser nahm die beiden wohlwollend auf und billigte am 26. März 1319 durch eine Charta die Gründung des Benediktinerklosters von Accona. Das Kloster wurde der Jungfrau Maria geweiht und nicht nur wegen der vielen Olivenbäume in der Umgebung, sondern vor allem im Gedenken an den Ölberg, den Jesus mit seinen Jüngern aufzusuchen pflegte, „Santa Maria di Monte Oliveto“ (Heilige Maria vom Ölberg) genannt. Zur Unterscheidung von anderen Benediktinern durften die neuen Mönche statt eines schwarzen einen weißen Habit tragen. Die offizielle Einkleidung und die Ablegung der Profess in die Hände eines vom Bischof eigens für diese Zeremonie entsandten Mönches der Abtei Sasso fand am 29. März 1319 statt.

Nunmehr musste ein Kloster gegründet werden. Der Bischof sandte einen Priester nach Accona, um dafür einen geeigneten Platz zu finden und den Grundstein zu legen. Am Tag nach der Gründungsfeier des Klosters „Monte Oliveto Maggiore“ versammelte sich der Konvent zur Festlegung einzelner Punkte des Ordenslebens. Dabei wurde, im Gegensatz zu anderen Benediktinerabteien, die Amtsdauer des Abtes auf ein Jahr festgesetzt. Zum ersten Abt wurde nicht Bernhard gewählt, der wegen seiner schlechten Augen anderen den Vortritt ließ, sondern Patrizius. Ihm folgte Ambrosius, dann Simon de Tura. 1322 nahm Bernhard auf Drängen seiner Mitbrüder das Amt an und wurde fortan Jahr für Jahr wiedergewählt. Ein Akt vom 24. Dezember 1326 bezeugt, dass Kardinal Giovanni Caetani Orsini († 1339), Legat des Hl. Stuhls, Abt Bernhard vom Sehdefekt dispensierte.

Die Tage im Kloster waren mit Stundengebet, händischer Arbeit und Lektüre ausgefüllt. Die Armut der Mönche konnte man an ihrer Kleidung, ihren Mahlzeiten und ihrem Nachtlager, das nur aus Stroh bestand, ablesen.

Mit der Wahl Bernhard Tolomeis zum Abt rückte die Tugend der Demut in der Vordergrund. Seine eigene Bekehrung zum monastischen Leben war mit einer völligen Abkehr vom weltlichen Leben verbunden. In einem Brief schrieb er, dass die Mutter der Demut die Liebe sei, die uns Christus allein schenken kann. Nichts sei daher so wichtig wie Christus nachzufolgen, der uns im Überfluss beschenkt. Die Nächstenliebe müsse speziell in der ‚heiligen Liebe zur Gemeinschaft‘ zum Ausdruck kommen. So begegnete Bernhard jedem seiner Mitbrüder mit großer Fürsorglichkeit und führte sein Amt wie ein Familienvater, der sich seiner Verantwortung und Grenzen bewusst ist. Seine Briefe unterzeichnete er mit „Bruder Bernhard, wiewohl unwürdiger Abt des Klosters Santa Maria di Monte Oliveto“.

Bald schon ersuchten Bischöfe und Landesfürsten, vom neuen Eifer der Mönche angesteckt, um Klostergründungen. Das erste Kloster wurde bereits 1322 in Siena errichtet. Zwanzig Jahre später gab es bereits zehn Klöster in der Nähe von Städten, aber auch ganz abgelegen auf dem Lande. Alle Klöster verstanden sich als Einheit und als mit dem Mutterhaus verbunden und von ihm abhängig. Folglich gab es auch nur einen Abt, jenen von Monte Oliveto. Die anderen Gemeinschaften wurden jeweils von einem Prior geleitet und fügten ihrem Namen immer auch den Zusatz „Monte Oliveto“ an.

Das Generalkapitel, das einmal im Jahr im Mutterhaus zusammentrat, begann mit dem Rücktritt des Abtes. Nach der Wahl des neuen Abtes übernahm dieser den Vorsitz, ernannte die Prioren und die wichtigsten Amtsträger für jedes Haus. Zwischen zwei Kapiteln visitierte der Abt die einzelnen Klöster bzw. ließ sie von einem Vertreter visitieren. Neben diesen Visitationen hatte der Abt die Last der Korrespondenz mit Wohltätern und Bittstellern zu tragen und musste sich in väterlicher Fürsorge um die Mitbrüder kümmern.

Zur Erlangung der Anerkennung der monastischen Familie schickte Bernhard zwei Mönche, Simone Tendi und Michele Tani, zum französischen Papst Clemens VI. nach Avignon, der selbst Benediktiner war. Am 21. Januar 1334 genehmigte der Papst die in Bernhards Bittschrift genannten Anträge mittels zweier Bullen: Vocantibus sub religionis (formale und kanonische Approbation des Instituts) und Sollicitudinis pastoralis officium (Vollmacht zur Errichtung neuer Klöster in Italien) – was gewissermaßen die offizielle Geburtsstunde der Kongregation war, die damals insgesamt 160 Mönche im Kloster von Monte Oliveto und den zehn weiteren Gründungen zählte. 1336 erließ der Zisterzienserpapst Benedikt XII. die Bulle Summi magistri zur Reform der benediktinischen Klöster, die von den Generalkapiteln der Olivetaner voll aufgenommen wurde.

Die außerordentliche spirituelle Persönlichkeit Tolomeis kommt schließlich auch darin zum Ausdruck, dass seine Mönche ihn bis zu seinem Tod 27 Jahre in Folge zum Abt wählten. Den letzten Vertrauensbeweis lieferten sie schließlich beim Generalkapitel vom 4. Mai 1347, auf dem sie ihm die Vollmacht erteilten, alles im Einklang mit dem Willen Gottes für das Heil aller zu tun, obwohl Tolomei schon zweimal, 1326 und 1342, von seinem Amt als Abt befreit werden wollte. Als Grund führte er dabei vor dem päpstlichen Legaten und anderen Rechtsexperten an, dass er kein Priester sei, sondern nur die niederen Weihen erhalten habe. Sein Amt wurde jedoch für völlig legitim erklärt.

Tolomeis mystische Erfahrungen kennen wir aus der Überlieferung seiner Gespräche mit dem Gekreuzigten und der Erscheinungen von Heiligen. Er hinterließ seinen Mönchen ein Beispiel heiligmäßigen Lebens, der Tugenden, der Hingabe für die anderen und der Meditation. Während der großen Pestepidemie von 1348 verließ er die Einsamkeit von Monte Oliveto, um seinen Mitbrüdern im Kloster S. Benedetto a Porta Tufi in Siena beizustehen. Dabei wurde er selbst mit 82 Mönchen Opfer der Krankheit. Bernhard Tolomei starb am 20. August 1348 im Alter von 76 Jahren im Ruf der Heiligkeit.

Von seinen Schriften sind lediglich Fragmente von 48 Briefen sowie eine Homilie erhalten. Seine sterblichen Überreste sind seit der Zerstörung des Klosters von Siena 1554 im Krieg zwischen Karl V. und der Republik von Siena verschollen.

Sein Kult als Seliger wurde am 24. November 1644 per Dekret von der Ritenkongregation bestätigt. Der Gedenktag wurde auf den 19. August verschoben, um ihn nicht mit dem Gedenktag des hl. Bernhard von Clairveaux zusammenfallen zu lassen. Im Jahre 1960 schloss sich der Orden der Olivetaner der Benediktinerkongregation an.

Die Heiligsprechung von Bernhard Tolomei fand am 26. April 2009 durch Papst Benedikt XVI. in Rom statt.

 

RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Benedikts XVI. 2005 – 2012. Innsbruck: Resch, 2013, XII, 204 S., 48 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-096-4, Ln, EUR 25.90 [D], 26.60 [A]

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