Begriffe At
Atabyrius (griech.), Beiname des Jupiter auf Rhodos, nach dem Berg Atabyrius, dem höchsten der Insel. Als das Orakel dem Sohn des Königs Catreus von Kreta sagte, dass er zum Mörder seines Vaters werde, floh dieser zur Vermeidung der Gräueltat nach Rhodos und baute auf dem Berg Atabyrius dem Jupiter einen Tempel. Auf demselben Berg soll Jupiter zwei eherne Rinder aufgestellt haben, die beim Herannahen eines Unglücks zu brüllen begannen.
Lit.: Grimm, Jakob: Deutsche Mythologie. Überarb. Reprint d. Orig.ausg. v. 1943 nach d. Exemplar d. Verlagsarchives. Coburg: K. W. Schütz-Verlag, o. J.
Ataensic, Urgöttin und Stammmutter der nordamerikanischen Huronen. Sie lebte im Himmel, ließ sich von Hogouaho aus der Unterwelt verführen, wurde geschwängert und daraufhin ins Meer gestürzt. Dort nahm sie eine Schildkröte auf und auf deren Rücken gebar sie Zwillinge, die dann Tag und Nacht schufen. Die Fische bauten ihr aus Ton eine Insel, die Erde. Nach einer anderen Version holte die Bisamratte Erdreich aus dem festen Meeresboden, woraus die Erde entstand.
A. ist die Göttin des Todes. Allen lebenden Wesen feindlich gesinnt, ernährt sie sich von Schlangen und ausgesogenem Blut. Als Königin der Seelen wohnt sie im Reich der Geister, von denen sie all das bekommt, was man mit ihnen begräbt.
Lit.: Grimm, Jakob: Deutsche Mythologie. Überarb. Reprint d. Orig.ausg. v. 1943 nach d. Exemplar d. Verlagsarchives. Coburg: K. W. Schütz-Verlag, o. J.; Hawkins, Joyce M. (Hg.): The Oxford Reference Dictionary. Oxford: Clarendon, 1986.
Atahokan, „großer Hase“, Beiname des Schöpfers der Erde bei den nordamerikanischen > Irokesen, der sonst > Michabu heißt.
Lit.: Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie. Coburg: Schütz-Verl., 2001.
Atalanta fugiens (lat., „die flüchtige Atalanta“), das berühmteste Werk von Michael Maier (1569 – 1622) mit Kupferstichen von Matthäus Merian, das als eines der schönsten Emblembücher des Frühbarock gilt und 1617 erschien. In Anspielung an > Atalante wird A. hier vom Alchemisten und Musiktheoretiker Maier als jungfräuliches Quecksilber und als fugenartige (fuga = Flucht) Melodie verstanden. > Hippomenes wurde dem Schwefel zugeordnet. Mit diesen mythologischen Anspielungen und den emblematischen Illustrierungen entstand ein labyrinthartiges Geheimbuch ganz nach dem Geschmack des Barock.
Lit.: Maier, Michael: Atalanta fugiens, hoc est: Emblemata nova de secretis naturae chymica, accomodata partim oculis & intellectui, fig. cupro incisis, adjectisque sententiis, epigrammatis & notis, partim auribus & recreationi animi plus minus 50 fugis musicalibus trium vocum … . Kassel; Basel: Bärenreiter-Verl., 1964.
Atalante (griech.), eine Frauengestalt der griechischen Mythologie. Sie war eine berühmte jungfräuliche Jägerin aus Arkadien, Tochter des > Iasos und der Klymene, oder aus Böotien und Tochter des boötischen Königs Schoineus, dessen Wohnsitz nicht bestimmt angegeben wird. Sie nahm an der > Kalydonischen Jagd teil und traf als Erste den Eber, den > Meleagros schließlich erlegte, nachdem er mehrere Kämpfer zerrissen hatte. Er wurde daher zum Sieger erklärt. Da er A. liebte, gab er ihr den Siegespreis. Als Frucht ihrer Liebe wird Parthenopaeus genannt, der später einer der Sieben gegen Theben war.
Nach einer anderen Version sei A. als Kind ausgesetzt worden, da Iasos einen Sohn wollte. Eine Bärin habe sie jedoch gesäugt und Jäger zogen sie auf. Von bezaubernder Schönheit hielt sie ihre Jungfräulichkeit so hoch, dass sie als schnellste Läuferin den Freiern zur Bedingung machte, mit ihr in einen Wettkampf zu treten. Im Fall eines Sieges ihrerseits würde sie den Mitkämpfer mit einem Speer durchbohren; wenn er Sieger würde, so solle ihre Hand der Lohn sein. Als > Melanion, nach anderer Version > Hippomenes, sich um sie bewarb, bat er > Venus um Hilfe, die ihm drei goldene Äpfel schenkte. Als A. ihn einzuholen drohte, ließ er einen nach dem anderen fallen. A. hob den seltenen Fund auf, belastete sich dadurch und verlor zudem noch Zeit, sodass Melanion das Ziel vor ihr erreichte. Die beiden heirateten und entweihten einen Tempel des Zeus (nach anderer Version der Kybele), indem sie dort beisammenlagen und zur Strafe in zwei Löwen verwandelt wurden.
Lit.: Kerényi, Karl: Die Heroen der Griechen: Die Heroengeschichten der griechischen Mythologie. Zürich: Rhein-Verl., 1958; Grant, Michael: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. München: Dt. Taschenbuch-Verl., 1995; Graves, Robert: Griechische Mythologie: Quellen und Deutung. Autoris. dt. Übers. von Hugo Seinfeld unter Mitw. von Boris v. Borresholm nach der im Jahre 1955 erschienenen amerikan. Penguin-Ausg. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2001.
Ataphoi (griech., „die nicht Beerdigten“), Verstorbene, die nicht beerdigt wurden. Die Griechen unterschieden drei Arten von Verstorbenen:
die frühzeitig Verstorbenen (aoroi),
die gewaltsam Verstorbenen (biaiothanatoi) und
die Verstorbenen, die nicht beerdigt wurden (ataphoi) und daher umherwandern müssen.
Lit.: Puhle, Annekatrin: Das Lexikon der Geister: über 1000 Stichwörter aus Mythologie, Volksweisheit, Religion und Wissenschaft. M. e. Geleitw. v. Adrian Parker. München: Atmosphären Verlag, 2004.
Ataplok, in der indischen Mythologie eine der sieben oberen Welten, die das Reich der Geister sind, der Himmel an sich.
Lit.: Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Erftstadt: area verlag gmbh, 2004.
Atar, Feuer, Sohn des > Ahura Mazda, eine seiner sieben Guten Schöpfungen. Im Durchbruch des alten Volksglaubens wurde A. auch als Gott verehrt, was wohl nicht im Sinne Zarathustras war. So steht in der Avesta: „dich, o Atar, Sohn des Ahura Mazda (wollen wir) unter Zufriedenstellung verehren und preisen“ (Wolff, Eingang). Im Kult spielt das göttlich verehrte Feuer eine weitaus größere Rolle als der Gott selbst. So ist das Ritualfeuer der Brennpunkt der zoroastrischen Kultfeiern, die von einigen als das Ausstrahlen der Macht Gottes interpretiert werden und von anderen als das beste Symbol für „Er, der selbst das reine, unbefleckte Licht ist“. Es gibt drei Kategorien des Feuers und zwei Typen des Feuertempels. Vier solcher Tempel existieren im Iran, acht in Indien. Ihre Königlichkeit wird durch eine bekrönende Kuppel symbolisiert, und das auf das Feuer gelegte Holz hat die Gestalt eines Thrones.
Lit.: Wolff, Fritz: Avesta: die heiligen Bücher der Parsen; übers. auf d. Grundlage von Chr. Bartholomae‘s Altiranischem Wörterbuch. Berlin: de Gruyter, 1960.
Atargatis (griech.), syrische Göttin, die seit dem 3. / 2. Jahrhundert v. Chr. in Syrien, Mesopotamien und im Nabatäergebiet verehrt wurde. Kultzentrum war Hierapolis-Bambyke, über dessen Brauchtum Lukian (De Dea Syria) berichtet. A. gehört zum Kreis der vorderasiatischen Muttergottheiten (> Kybele, > Ischtar ). In hellenistischer Zeit fand der Kult den Weg nach Griechenland und in die römische Welt bis nach Britannien.
Als Fruchtbarkeits- und Schutzgöttin zahlreicher Städte wird A. oft zusammen mit dem Wettergott > Hadad verehrt. Ihr Thronsitz ist von Löwen flankiert oder sie sitzt selbst auf einem solchen Tier. Ihre Attribute sind Ähre und Mauerkrone, ihre heiligen Tiere Taube und Fisch. In Askalon führte sie den Beinamen Derketo und wurde als Mischwesen – halb Frau, halb Fisch – dargestellt. Als Symbol der Lebenskraft spielten bei ihrer Verehrung Seeprozession, > Hydrophorie, Statuenbad, > Regenzauber, > Frühlingsfeuer usw. eine Rolle. Zum Vollzug ihres orgiastischen Kultes gehörten Tanz, Verwundung sowie Entmannung in Ekstase. Als allgebärende Muttergottheit (Apuleius, Metamorphosen 8, 24 ff.) genoss sie bis zum 3. Jh. n. Chr. großes Ansehen.
Lit.: Lucianus, Samosatensis: Lukians Schrift über die syrische Göttin / übers. und erl. von Carl Clemen. Leipzig: Hinrichs, 1938; Hörig, Monika: Dea Syria: Studien zur religiösen Tradition der Fruchtbarkeitsgöttin in Vorderasien. Kevelaer [u. a.]: Butzon & Bercker [u. a.], 1979; Apuleius, Madaurensis: Metamorphosen oder der goldene Esel. Ausgew. und bearb. von Norbert Krauth und Meinhard-Wilhelm Schulz. Stuttgart [u. a.]: Klett, 1998.
Atavismus (lat. atavus, Ahne), Wiedervorkommen von Eigenschaften, Anschauungen und Vorstellungen unmittelbarer Vorfahren. In der Biologie wurde der Begriff von Hugo De Vries 1901 zur Bezeichnung des Wiedererscheinens von Merkmalen der Vorfahren eingeführt, die in der Vorgängergeneration fehlten. So versteht man allgemein unter A. auch den Rückfall in eine frühere Entwicklungsstufe.
Die Tiefenpsychologie versteht darunter Vorstellungen, die im Traum, bei Neurosen und Psychosen auftauchen und uns auch in den Mythen der Naturvölker begegnen. In der Parapsychologie halten manche Autoren die > Psi-Funktion für eine atavistische (Edgar > Dacqué), andere dagegen für eine Vorwegnahme einer zukünftigen Eigenschaft, die sich bei Einzelnen manifestiert, latent aber bei allen vorhanden sei.
Im Bereich der Magie spricht man von einer Urkraft aus früheren Evolutionsphasen, die nach vielen Generationen noch einmal in Erscheinung tritt. So praktizierte der Okkultist Austin Osman Spare atavistische Wiedererweckungstechniken, eine Mischung aus Visualisation und Sexualmagie, um die animalischen Aspekte seiner Persönlichkeit aus früheren Existenzen zum Leben zu bringen.
Lit.: De Vries, Hugo: Die Mutationen und die Mutationsperioden bei der Entstehung der Arten: Vortrag, gehalten in der allgemeinen Sitzung der Naturwissenschaftlichen Hauptgruppe der Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg; am 26. September 1901. Leipzig: Veit, 1901; Dacqué, Edgar: Urwelt, Sage und Menschheit. Eine naturhist.-metaphys. Studie. München: R. Oldenbourg, 1924; Dacqué, Edgar: Natur und Seele. Ein Beitr. zur mag. Weltlehre. München: R. Oldenbourg, 1926; Rhine, Joseph B.: Die Reichweite des menschlichen Geistes. Parapsychologische Experimente. Hg. von Rudolf Tischner. Stuttgart: Dt. Verl.-Anst., 1950; Jungkurth, Markus M.: Zoskia: d. Magier Austin Osman Spare u. d. Magie d. Voodoo. Berlin: Kersken-Canbaz, 1983.
Atbasch (hebr.), monographisches / monoalphabetisches Chiffriersystem, bei dem jedes Zeichen durch exakt ein anderes Zeichen ersetzt wird. Dabei wird das Alphabet einfach umgedreht. Das erste Zeichen wird durch das Letzte, das Zweite durch das Vorletzte usw. ersetzt. Das System entstand unter den Kopisten der Bücher des Alten Testaments. Der Name „Atbasch“ leitet sich von den ersten beiden (Aleph & Beth) und letzten beiden (Taw & Shin) Zeichen des 22-buchstabigen hebräischen Alphabets ab. Trotz seiner hebräischen Herkunft, lässt sich A. auf alle anderen Alphabete übertragen. A. hat jedoch nichts mit dem hypothetischen > Bibelcode zu tun.
Lit.: Sgarro, Andrea: Geheimschriften. Verschlüsseln und Enträtseln von Geheimtexten. Augsburg: Weltbild Verlag, 1991.
Ate (griech., „Unheil“), Verblendung, die ins Verderben führt, sowie das Verderben selbst. A. wird auch als griechische Unheilsgöttin personifiziert und als Tochter des > Zeus bezeichnet (Hom. Il. 9, 502 ff.), die den Geist und das Gemüt des Menschen betört und ihn ins Unglück stürzt. Bei den griechischen Tragikern ist A. die Richterin böser Taten.
Lit.: Müller, G.: Der homerische Ate-Begriff und Solons Musenelemente, Navicula Chiloniensis: studia philologa Felici Jacoby Professori Chiloniensi emerito octogenario oblata. Leiden: Brill, 1956, 1 – 5; Gruber, Joachim: Über einige abstrakte Begriffe des frühen Griechischen. Meisenheim am Glan: Hain, 1963, 56 ff.; Stallmach, Josef: ATE: zur Frage des Selbst- und Weltverständnisses des frühgriechischen Menschen. Meisenheim am Glan: Hain, 1968.
Atea, polynesischer Urgott. Nach dem Mythos der Maori (Polynesien) vom Werden des Lichtes stand am Anfang aller Dinge das Nichts (Te Kore). Aus ihm ging die kosmische Urnacht (Po) hervor, aus der das Fragen (Rapunga) entstand, das schließlich zur Entstehung der Gedanken führte. Das Anschwellen der Gedanken wurde zur Tatkraft (Hihiri), worauf die Form und das Wesen der Dinge und schließlich der Raum im Licht, Atea, der Urgott, entstanden. Dieser war zunächst noch geschlechtslos, spaltete sich dann in den Himmel (Rangi) und in die Erde (Papa). Der Gott Rangi und die Göttin Papa sind die Eltern aller Götter.
Nach dem tahitischen Mythos wurde A. zunächst als weibliche Gottheit von Tangaroa erschaffen.
Lit.: Frank, Thomas Sebastian: Mythen der Maori: Legenden von Neuseelands ersten Menschen, neu erzählt nach authentischen Quellen. Wien: Aarachne-Verl., 1996.
Atel, Dämon und Engel, dessen Element die Luft ist. Er regiert am Sonntag und hat sein Herrschaftsgebiet im Osten.
Lit.: Wierus, Joannes: Ioannis Wieri De Praestigiis Daemonum, et in cantationibus ac veneficiis: Libri sex; Acc. Liber apologeticus, et pseudomonarchia daemonum; Cum rerum ac verborum copioso indice. Postrema editione quinta aucti & recogniti. Basileae: Oporinus, 1577.
Atem (sanskr. atman, Hülle, Leib, Hauch, Seele), der lebensnotwendige Luftstrom, der in die Lunge eingesogen und wieder ausgestoßen wird. Bei vielen Völkern wird der A. mit der Lebenskraft und auch der Seele eines Menschen in Verbindung gesetzt. So lässt sich Atem je nach Kontext als Hauch, Rhythmus, Leben, Seele und Geist definieren.
In Indien, wo Atem das Wort für Persönlichkeit, die Lebenskraft und die Seele (atman) ist, gab es bereits in der vedisch-brahmanischen Periode Sitz- und Atemübungen, die besonders mit der Silbe > Om (entstanden aus a-u-m, einem Urlaut beim intensiven Ausatmen) ausgeübt wurden. Eine wichtige Schlüsselrolle spielt die Atmung vor allem bei der > Meditation und im > Yoga. Der Fluss des A.s wird dabei bewusst beobachtet und gesteuert und in vielen unterschiedlichen Techniken gelehrt. So zeichnet sich etwa der > Kriya-Yoga, der älteste überlieferte Yoga überhaupt, durch eine Dreiteilung der Atmung aus: Einatmen, Anhalten des A.s und Ausatmen. Mit der veränderten Atmung treten auch veränderte Bewusstseinszustände auf.
Im Hebräischen ist es > Ruach, der von Gott geschaffene Geist, der dem Menschen das Leben gibt. Ähnlich bezeichnet in der islamischen Sichtweise Ruh, Atem oder Wind, eine göttliche Ausstrahlung, die als Lebenskraft die körperlichen und geistigen Prinzipien menschlichen Seins verbindet.
Die Griechen sprechen von der „Atemseele“, der Psyche (psychein, hauchen), die beim Tod als Atem durch den Mund entweicht. Ist sie gut, steigt sie in den Himmel; ist sie böse, wird sie vom Totengeist gefressen. Durch dem Atem werden den Sterblichen magische und göttliche Kräfte übertragen. Für die Römer ist es Pflicht, dass der nächste Verwandte den letzten Hauch des Sterbenden einatmet, damit dessen Geist weiter existiere.
In der christlichen Ostkirche ist der > Hesychasmus eine Atemmethode, bei der der Atem angehalten, das Kinn auf die Brust gedrückt, der Blick auf die Leibesmitte gesenkt und dabei unaufhörlich das Jesusgebet gesprochen wird.
Mit dem letzten Atemzug verlässt die Seele den Körper, auch wenn dieses älteste weltweite Wissen der Menschheit im 20. Jh. vor allem im Zusammenhang mit den Herztransplantationsversuchen des südafrikanischen Arztes Barnard seit den 60er Jahren durch den „klinischen Tod“, den sog. Hirntod, der jedoch nur einige der vielen Gehirnfunktionen berücksichtigt, ersetzt wurde. Man brauchte eine Legitimation für die Entnahme von Organen noch lebender Menschen, denn ein vollkommen totes Herz konnte einem Kranken nicht eingepflanzt werden. Wenngleich die > Schulmedizin diese Todesdefinition übernommen hat, so ist doch das überlieferte Wissen von der entscheidenden Bedeutung des Atems für lebende Wesen weiterhin erhalten geblieben und verbreitet.
Ganz unabhängig von östlichen Meditationstechniken bemerkte z. B. auch der schwedische Seher E. > Swedenborg vor seinen Visionen eine veränderte Atmung.
Diese Kenntnisse der Bedeutung der Atmung für Lebenskraft, Gesundheit und Bewusstsein erweitern die individuellen Erfahrungen und wirken sich somit auf die Identität des Menschen aus. Hier hat wiederum die Esoterik ein breites Betätigungsfeld gefunden, wobei nur zu oft der Atem auf die Technik der Selbsterfahrung reduziert wird.
Lit.: Pálos, Stephan: Atem und Meditation: moderne chinesische Atemtherapie als Vorschule der Meditation; Theorie – Praxis – Originaltexte. Weilheim: O. W. Barth, 1968; Fuchs, Marianne: Funktionelle Entspannung. Theorie und Praxis einer organismischen Entspannung über den rhythmisierten Atem / Mit einer medizinischen Einführung von Prof. Dr. Eckart Wiesenhütter. Stuttgart: Hippokrates, 1974; Rama, Swami: Die Wissenschaft vom Atem. Eine praktische Einführung. Darmstadt: Schirner, 2005.
Atembetrachtung, achtsames (> sati) Beobachten des Atemflusses zur beruhigenden Einstimmung, eine Meditationsübung, die besonders im Buddha-Yoga gepflegt wird. Der > Pali-Kanon kennt die A. sogar als eigenständige Übung. Im Unterschied zu den Pranayama-Übungen des > Yoga geht es bei A. nicht um die Regulation des Atems, sondern allein um die konstant aufrechtzuerhaltende Beobachtung. Sie dient der Entfaltung von sati und der Wahrnehmung des Vergehens aller Dinge (> anitya) zum Freiwerden vom Anhaften an dieselben.
Lit.: Notz, Klaus-Josef (Hg.): Das Lexikon des Buddhismus: Grundbegriffe, Traditionen, Praxis; Band 1: A – M, Band 2: N – Z. Freiburg i. Br. u. a.: Herder, 1998.
Atemfeld, Kraftfeld, innerhalb dessen sich beim > Lectorium Rosicrucianum die dreifache Offenbarung des Menschen vollzieht. Dieses Kraftfeld leuchtet, vibriert, hat eine individuelle Kraftlinienstruktur mit Kraftpunkten (> Chakras), die eine sehr dynamische Bewegung zeigen. Alles, was von außen kommt, wird durch den Zustand des A.s zugelassen oder ferngehalten.
Lit.: Rijkenborgh, Jan van: Dei gloria intacta. Haarlem, 1953; Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jahrhundert / Bibliotheca Philosophica Hermetica (Hg.]. Amsterdam: In de Pelikaan, 2002.
Atemtechnik, Methode der richtigen Atmung. Durch Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxydabgabe dient die Atmung dem Gasstoffwechsel des Organismus und ist daher für den Lebensvollzug und das Lebensempfinden bei Tier und Mensch von grundsätzlicher Bedeutung. Dies führte vor allem in den östlichen spirituellen Traditionen, insbesondere im Yoga, zu Atemübungen, um den Gesamtzustand des Organismus auf physischer wie psychischer Ebene zu verbessern. Dabei werden die Yoga-Atemübungen je nach Technik in verschiedene Gruppen eingeteilt – beispielsweise in solche, bei denen man sich bewusst auf das Ein- und Ausatmen konzentriert, wodurch der Atmungsvorgang verlangsamt, dafür aber um so tiefer wird. Bei anderen wird immer abwechselnd durch ein Nasenloch eingeatmet und durch das andere ausgeatmet. Bei wiederum anderen spielt das Atemanhalten eine Rolle, wie etwa beim Nirgarbha-Pranayama, bei dem während 12 Sekunden eingeatmet, der Atem dann 48 Sekunden angehalten und schließlich während 24 Sekunden ausgeatmet wird. Dieses Verhältnis kann sogar auf 20 : 80 : 40 erhöht werden. Durch Übung dieser höchsten Stufe soll man sich dann vom Boden erheben können.
Ein Hauptziel der A. ist die Erweiterung des Bewusstsein und die Weckung der > Kundalini. A. dient aber auch der Förderung der Durchblutung, der Beweglichkeit, der Verzögerung des Alterungsprozesses durch besseres Ausscheiden der Gifte, der Prophylaxe und zur Behebung verschiedener Krankheiten der Atemwege, z. B. Asthma. Eine besondere Rolle spielt A. bei Meditationsübungen. Das Hauptziel der A. ist bei den Yoga-Schülern jedoch das Weiterkommen auf dem Weg zur spirituellen Bestimmung, denn – so schreibt Iyengar – „Pranayama“ ist das Tor zum Selbst.
Heute ist A. auch ein wesentlicher Bestandteil zahlreicher Körpertechniken wie > Bioenergetik, > Aqua-Energetik, > Orgontherapie. Drosselung der Atmung bedeutet Dämpfen von Vitalität und ist oft Ausdruck einer neurotischen Persönlichkeit. Eine gesunde Atmung führt nicht nur zum Selbst, sondern auch zum Du. > Atemtherapie.
Lit.: Mitzinger, Dietmar: Atemtechnik. Bielefeld: Delius Klasing, 1996; Iyengar, Bellur K. S.: Licht auf Pranayama: das grundlegende Lehrbuch der Atemschule des Yoga (= Pranayama Dipika). Mit einem Vorw. von Yehudi Menuhin. Bern u. a.: Barth, 2000; Iyengar, Bellur K. S.: Yoga: der Weg zu Gesundheit und Harmonie. München: Dorling Kindersley, 2001; Leben ohne Asthma: Die Buteyko Methode / Andrey Novozhilov; ill. von Victor Lunn-Rockliffe; Vorw. von K. P. Buteyko. 2., verb. Aufl. Friedberg / Bay.: MobiWell, 2005.
Atemtherapie, Harmonisierung des Organismus und des Lebensgefühls durch gesundheitsförderndes Atmen. Die Atmung ist eine der wichtigsten Funktionen des menschlichen Organismus. Ihre Hauptformen sind Zwerchfellatmung oder Bauchatmung und Brustatmung. Wird Erstere durch Letztere unterstützt und durch die Flankenatmung ergänzt, ist die Lungenkapazität ausgeschöpft und man spricht von Vollatmung oder Tiefenatmung. Die Atmung kann über Nase und /oder Mund erfolgen, weshalb man auch von Nasenatmung und Mundatmung spricht, wobei der Ersteren der Vorzug gilt.
Die A. wurde schon früh im antiken Vorderasien praktiziert, denn Atmen heißt, nach den Weisen Indiens, „den Kraftstrom der kosmischen Energie anzapfen, mit dem Universum kommunizieren und sich mit der Natur vereinigen“.
In Griechenland wurde in den Pneumaschulen (Pneuma = Atem und Seele zugleich) „bewusstes Atmen“ praktiziert.
Wenngleich A. eine mit Yoga verwandte Therapieform ist, hat sie sich unabhängig davon entwickelt. Da der Atem gleichsam der Träger der Lebenskraft ist, besagt flacher Atem wenig Lebenskraft, weil die Lungen durch Verspannung der Atemmuskeln zu wenig gedehnt werden, doch auch tiefer Atem ohne Konzentration ist wenig wirksam. Aus diesem Grunde schenken die verschiedenen Heilverfahren ( > Meditation, > Yoga, > Hui Chun Gong, > T’ai Chi Ch’uan, > Alexander-Technik, > Autogenes Training) der bewusst kontrollierten und geregelten Atmung große Beachtung.
So umfasst die A., neben gymnastikähnlichen Ein- und Ausatmungsübungen, auch Atemarbeit und Atempflege. Ihren therapeutischen Einsatz findet sie bei Erkrankungen der oberen Atemwege, chronischer Bronchitis und Asthma bronchiale.
Lit.: Atemtherapie in der Physiotherapie, Krankengymnastik: anatomische, physiologische, pathologische Grundlagen, Atemwegs- und Lungenkrankheiten, Atmung und Psyche, Atem- und Bewegungstechniken / Hilla Ehrenberg. München; Bad Kissingen: Pflaum, 2001; Maurer, Yvonne: Durch den Atem die Seele heilen: ganzheitlich-integrative Atemtherapie für Gesunde, psychosomatisch und psychisch Kranke; eine Einführung. Zürich: IKP-Verl., 2004.
Atemübungen, bewusste Gestaltung der Atmung im Einatmen, Ausatmen und Anhalten des Atems. A. werden vor allem aus östlichen Meditations- und Yogalehren überliefert. Sie haben sich heute auch in der westlichen Welt etabliert, und so gibt es viele verschiedene Richtungen der > Atemtherapie, wie etwa die Schule von Ilse Middendorf. Für die indische Yoga-Tradition, z. B. den > Kriya-Yoga, ist es charakteristisch, den > Atem nicht nur bewusst zu beobachten, sondern zwischen Ein- und Ausatmen eine bestimmte Anhaltephase einzuschieben.
Im > Yoga dienen A. zunächst zur Erlernung der geistigen Kontrolle physischer Abläufe im Körper, damit zur Stärkung der Willenskraft und letztendlich ganz entscheidend zur geistigen Entwicklung des Menschen. Für den westlichen Menschen bedeuten A. die Harmonisierung körperlicher wie seelischer Vorgänge; sie fördern damit die Gesundheit schlechthin bzw. sie unterstützen auch bestimmte Berufsgruppen, die sich mit Gesang und Sprache befassen.
Lit.: Isbert, Otto Albert: Bewusste Atempflege in täglicher Praxis. Einführung und Übungen zur Atempädagogik. München-Pasing: Drei Eichen Verl., 1964; Isbert, Otto A. / Horbat, Irene (Hg.): Yoga-Sadhana. Geistige Yoga-Praxis. Studien- und Übungshefte zum Raya- und Kriya-Yoga. Heidenheim-Brenz, o. J.; Miers, Horst E.: Lexikon des Geheimwissens. München: Goldmann, 1993; Yogananda, Paramahansa: Autobiography of a Yogi. Los Angeles, 1972 (1946); dt. Autobiographie eines Yogi. Los Angeles: Self Realization Fellowship, 1998.
Atesch = adar, in der persischen Mythologie das heilige Feuer, das an den Naphta-Quellen hervorbricht und besonders hoch verehrt wird, weil es von > Ormuzd selbst entzündet wurde. Aufgrund dieser hohen Achtung sind einige Wörter mit A. zusammengesetzt wie A.-Behram, das Gebet, A.-Gah, der kleine Tempel, A.-Kaneh, der Feuertempel, usw.
Lit.: Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Erftstadt: area verlag gmbh, 2004.
Athaionne, „Leichenbesorger“. Bei den nordamerikanischen Völkern gibt es in jeder Familie ein Mitglied, das die Pflicht auf sich nimmt, die Leichen zu waschen, zu kleiden, zu begraben und später beim allgemeinen Seelenfest die Knochen der wieder ausgegrabenen Leichen zu säubern, zu bleichen, zu färben usw. Diese Leute werden in der Familie hoch geehrt, weil sie für besondere Günstlinge der Verstorbenen gehalten werden.
Lit.: Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Erftstadt: area verlag gmbh, 2004.
Athame, ein Messer mit schwarzem Griff, das von Hexen verwendet wird, um einen Zauberkreis zu ziehen. Das Messer, dem magische Eigenschaften zugeschrieben werden, kann auch die Form eines Schwertes oder Dolches haben. Der Griff ist jedoch immer schwarz und in die Klinge sind magische Symbole eingraviert. Früher wurde es öfter verwendet, weil man dadurch seine Kraft zu steigern glaubte.
A. wird auch mit dem Element des Feuers in Verbindung gebracht, in anderen Traditionen mit der Luft. Bei verschiedenen Anrufungen und Riten wird A. auch als Göttin bezeichnet und zum Beschwören verwendet, um frei zu sein und sich das eigene magische Land zu schaffen.
Lit.: Thea: Hexenfeste im Jahreskreis: [Rituale und Anrufungen für die wichtigsten Feste des Wicca-Kults]. Unter Mitarb. von Susanne Gôrke und Gabrielé. München: Ludwig, 2002; Cunningham, Scott: Wicca Handbook. Gids voor de individuele beoefenarr. Haarlem: Altamira / Becht, 2003; Cunningham, Scott: Wicca-Praxis: Handbuch für Fortgeschrittene. Berlin: Ullstein Taschenbuch Verlag, 2006.
Athanasios Athonites (griech. athanasios, unsterblich, ca. 920 – ca. 1002), Heiliger (Fest: 5. Juli), Stifter des koinobitischen Mönchtums und Begründer der berühmten Klosterniederlassung auf dem Berg Athos, dem Hauptberg der östlichen Landzunge der Halbinsel Chalkidike in Griechenland. A. hieß Abraham, stammte aus Trapezus und wurde nach dem frühen Tod seiner reichen Eltern in Konstantinopel erzogen, wo er auch studierte und lehrte, bis er um 952 auf dem Kyminaberg in Bithynien Mönch wurde. Er war u. a. geistlicher Berater des Kaisers Nikephoros II. Phokas. Von ihm veranlasst und finanziell unterstützt, zog er um 958 auf den Berg Athos, wo er zunächst als Einsiedler lebte und schwere Zeiten zu überwinden hatte. Als er den Berg verlassen wollte, erschien ihm Maria und hinderte ihn daran, wegzugehen und seiner Berufung untreu zu werden. So blieb er, führte das Koinobitentum (gemeinschaftliche Lebensform) ein und baute (962 / 63) die große Laura, eine Kolonie von Einsiedlerzellen und Grotten unter der Führung eines Abtes. Eine freiheitsliebende Partei der Einsiedler widersetzte sich seinen Vorschriften, doch überwand er mit Hilfe des Kaisers Johannes I. Tzimiskes (969 – 976) den Widerstand und wurde zum ersten Oberen des Klosters. Durch die 970 erlassene Konstitution (Typikon), inspiriert von der Studios-Regel (Konstantinopel) mit Einflüssen der Benediktinerregel, verschaffte er der neuen Stiftung ein geregeltes, auf strenge Unterordnung, einfache Lebensweise und Handarbeit gegründetes Dasein. Sein Leben endete tragisch. Er wurde um 1002 mit fünf anderen Mönchen beim Bau einer Kirche von einem Balken erschlagen.
Lit.: Vita des A. In: AnBoll 25, 1906, 1 ff.; Aus den Bibliotheken des Athos: illustrierte Handschriften aus mittel- und spätbyzantinischer Zeit / Kurt Weitzmann. [Aufnahmen: Karl Eller]. Hamburg: Wittig, 1963; Meyer, Philipp: Die Haupturkunden für die Geschichte der Athosklöster; Grösstentheils zum 1. Male hrsg. u. mit Einleitungen versehen. Amsterdam: Hakkert, 1965.
Athanor (hebr. nur, Feuer; arab. at-tannur, Backofen), Sandbade-Ofen der Alchemisten, auch „Fourneau cosmique“, „Piger Henricus“, „Fauler Heinz“ genannt. Es handelte sich dabei um einen gemauerten Kohle-Füllofen, bei dem das Brennmaterial dem Rost über eine schiefe Ebene gleichmäßig zufloss, ohne dass man immer wieder nachfüllen musste. Dies war für die konstante Wärme bei einigen alchemistischen Prozessen notwendig. Im 17. und 18. Jh. nannte man einen Zentralofen A., der mehreren Herden gleichzeitig Heißluft zuleitete.
In der hermetischen Symbolik versinnbildlichen der hitzespendende A. das männliche und die hitzeaufnehmenden > Cucurbiten das weibliche Element. Deshalb ist auch der „kosmische Ofen“ ein Hinweis auf die > Chymische Hochzeit. Die angeschlossenen Kondensierkolben sind die „Kinder“, die an der Mutter saugen.
Im übertragenen Sinn wird A. mit der Gebärmutter und dem Weltenei verglichen, als Fluidum oder Aura der Alchemisten und als Abbild des Kosmos bezeichnet.
Lit.: Biedermann, Hans: Handlexikon der magischen Künste: von d. Spätantike bis zum 19. Jahrhundert; Band 1: A – K. 3., verb. u. wesentl. verm. Aufl. Graz: ADEVA, 1986; Seligmann, Kurt: Das Weltreich der Magie: 5000 Jahre geheime Kunst. Eltville a. Rhein: Bechtermünz, 1988; Geßmann, Gustav Wilhelm: Geheimsymbole der Alchemie, Arzneikunde und Astrologie; mit mehr als 4500 Geheimsymbolen auf 122 Tafeln. Holzminden: Reprint-Verl. Leipzig, 2004.
Atharvan (sanskr.) ist nach den Veden der Priester derjenige, der als erster Feuer erzeugte, dessen Verehrung begründete, > Soma (berauschende Substanz) opferte und betete (Rigveda 1,83,5). Er wurde daher auch „Vater des Feuers“ genannt. Als Verwandter der Götter wohnt er mit ihnen im Himmel. Seine Nachkommen, die Atharvanas, erbten seine Aufgaben bei den häuslichen Ritualen.
Im Hinduismus ist auch von einem legendären Weisen oder Seher die Rede, der den > Atharvaveda erstellt haben soll.
Lit.: Whitney, William Dwight: Tabellarische Darstellung der gegenseitigen Verhältnisse des Ritz, Sâman, weissen Yajus und Atharvan. Berlin: F. Dümmler, 1853.
Atharvaveda (sanskr.), vedische Sammlung von Hymnen, die von den Atharvan-Priestern bei den Hausritualen verwendet werden. Der A. umfasst 20 Bücher in 731 Hymnen mit ungefähr 6.000 Versen. Etwa ein Siebtel ist dem Rigveda entnommen. Aufgrund seiner fehlenden Verbindung zu öffentlichen vedischen Opfern wurde dem A. der Titel Veda abgesprochen. Die Atharvan-Schule reagierte darauf mit dem Anspruch auf das Amt des Hauptpriesters (> Purohita) und Opferpriesters (> Brahmane), indem sie einen letzten Abschnitt von Hymnen (Buch 20) hinzufügte, die besonders dem Somaopfer gewidmet sind.
Der A. entstand, als die Sesshaftigkeit in der Gangesebene schon abgeschlossen war, was daran ersichtlich ist, dass auch das Wort „Tiger“ vorkommt, welches im Rigveda noch fehlt.
Jeder der vier Veden – Rigveda, Samaveda, Atharvaveda und Yajur Veda – besteht aus vier Textschichten. Die älteste sind die Samhitas (Hymnen), gefolgt von den Brahmanas (Ritualtexte), den Aranyakas (Waldtexte) und am Schluss den Upanishaden (philosophische Lehren).
Im Vergleich zu den drei anderen Veden hatte der A. die Reputation, mit Magie zu tun zu haben. Tatsächlich besteht er aus mannigfaltigen Hymnen. Beschwörungen und Flüche, die Heilung, Wiederherstellung oder Wiedergutmachung erlittenen Unrechts bewirken sollen, sind vermischt mit Lobeshymnen und spekulativen Hymnen, die für die Geschichte der indischen Philosophie von Bedeutung sind. Die Spekulation ist hier weiter entwickelt als im Rigveda und weist philosophische Tendenzen auf, die in Richtung der späteren > Aranyakas und > Upanishaden gehen. Der A. ist zudem von großer Bedeutung hinsichtlich der medizinischen Vorstellungen der damaligen Zeit. Zu den Heilriten (bhaishajyani) gehören Lieder und Zauber zum Heilen von Krankheiten. Es werden aber auch Exorzismus und „Frauenriten“ (Liebesmagie) beschrieben.
Lit.: Atharwaweda / Übertr. v. Friedrich Rückert. Kleine Ausg. Friedrichssegen, Lahn: Folkwang-Auriga Verl, 1932; The Atharvaveda: Sanskrit Text with English Translation / by Devi Chand. With introductory remarks by M. C. Joshi. New Delhi: Munshiram Manoharlal, 2002.
Athena (der Name ist vorgriechisch), griechische Göttin, Olympierin. Tochter von > Zeus und > Metis, der weisesten aller Göttinnen. Zeus verschlingt die schwangere Metis und als > Hephaistos das Haupt des Zeus mit einer Axt spaltet, tritt A. in voller Rüstung daraus hervor. Diese wundersame Geburt erfolgt am Ufer des Flusses (oder des Sees) Triton, weshalb sie auch den Namen Tritogeneia erhält. Sie wird vom Flussgott > Triton aufgezogen und wächst mit dessen Tochter Pallas heran, die sie im Spiel tödlich trifft, worauf sie „Pallas“ zu ihrem Beinamen macht. Das danach benannte Götterbild Palladion soll den Bestand von Haus und Stadt vor Unheil bewahren. Solche Palladien sind für verschiedene Kultstätten der A. bezeugt.
Als Kriegsgöttin führt sie den Kampf zum Schutz der Heimat mit Überlegung und in geordneten Formen. Sie ist Polisgottheit und Stadtschützerin von Athen. Streit und Krieg sind ihr lieb (Homer Il. 5, 333), und so ist die bewaffnete Göttin die Schutzpatronin des Krieges. Als streitbare Göttin nimmt sie am Kampf gegen die > Giganten teil. Dem Giganten Pallas zieht sie die Haut ab und bezieht damit ihren Schild. A. ist aber auch Beschützerin vieler griechischer Helden und rettet das Herz des > Zagreus.
Lichte Klarheit zeichnet die strahlenäugige Göttin aus, ist sie doch die Zuflucht der Menschheit in Krieg und Frieden, die Göttin der Weisheit und des Verstandes. Die ägäische Vorgängerin der großen weiblichen Gottheit des Mittelmeerraumes ist die chthonische > Medusa, und ein Hauch ihrer Vernichtungskraft liegt auch noch im Blick der eulenäugigen A., deren Attribut, die > Eule, in der abendländischen Welt zum Symbol für Weisheit und Erfindungsgabe wurde. So lehrt A. den Gebrauch von Pferd und Wagen, hilft den > Argonauten beim Bau ihres Schiffes, bringt den Bauern den Pflug, den Frauen den Webstuhl und erfindet die Flöte, die Trompete, das Tongefäß, das Ochsenjoch und das Schiff. Die Olive gilt als weiteres Symbol der Göttin.
Ihrer herausragenden Stellung gemäß geht A. nie ein Liebesbündnis ein, sondern bleibt Parthenos, die Jungfräuliche. In dem Moment, als sie sich mit Hephaistos vereinigen soll, dem Zeus A. zum Dank für ihre Geburt als Braut zugedacht hatte, also noch bevor sie seine Gattin wurde, verschwand sie und der Samen fiel auf die Erde. Daraus wurde > Erichthónios.
Der jungfräulichen A. Parthenos errichtete man auf der Akropolis von Athen einen der prächtigsten Tempel, die in Griechenland je bestanden. Zur ihrer Ehre feiert man jährlich die kleinen und alle vier Jahre die großen > Panathenäen, deren Hauptritual auf dem Parthenonfries dargestellt ist.
In Rom wurden im Jahr 217 v. Chr. sechs griechische Götterpaare eingeführt, darunter A. (röm. > Minerva) und > Poseidonios (röm. > Neptunus).
Lit.: Paulys Real-Encyclopädie. Hg. v. G. Wissowa u. a. Stuttgart, 1894 ff., Bd. 2 1896; Otto, Walter F.: Theophania: der Geist der altgriechischen Religion. Hamburg: Rowohlt, 1956; DKP = Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike. Auf der Grundlage von Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Hg. Von Konrad Ziegler u. Walther Sontheimer, 5 Bde. Stuttgart: Alfred Druckenmüller 1964 – 1975, Bd. 2 1967; Waldenfels, Hans (Hg.): Lexikon der Religionen. Begründet von Franz König unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter. Freiburg u. a.: Herder, 1987; Hunger, Herbert: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie: mit Hinweisen auf das Fortwirken antiker Stoffe und Motive in der bildenden Kunst, Literatur und Musik des Abendlandes bis zur Gegenwart. 8., erw. Aufl. Wien: Verlag Brüder Hollinek, 1988; DNP = Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hg. v. Hubert Cancik u. Helmuth Schneider, Bd.1 ff. Stuttgart; Weimar: J. B. Metzler, 1996 ff.
Athene > Athena.
Athenodoros von Tarsos, Sohn des Sandon, griechischer, stoischer Philosoph aus dem 1. vorchristlichen Jh. > Plinius d. J. berichtet in einem Brief an Lucius Licinius Sura von einem klassischen Spukfall, in den A. verwickelt gewesen sei. Demnach sei A., der ein Freund und Lehrer des Kaisers Augustus war, in ein schon länger leer stehendes, berüchtigtes Spukhaus in Athen eingezogen. Plinius beschreibt die dem unheilvollen Haus nachgesagten Vorgänge: „In der Stille der Nacht hörte man Klirren von Eisen, Rasseln von Ketten, anfangs in der Ferne, dann in der Nähe; bald erschien ein Gespenst, eine hagere und hässlich abgezehrte Gestalt eines Greises mit langem Barte und struppigem Haar, die an Händen und Füßen Fesseln und Ketten trug und schüttelte. Die Bewohner durchwachten vor Angst traurige und schreckliche Nächte; auf das Wachen folgte Krankheit und, als die Angst immer stärker wurde, der Tod“ (Plinius, 7. Buch, Brief Nr. 27).
A. wollte nun diesem Spuk auf den Grund gehen und wachte die Nacht hindurch. Tatsächlich erschien der in Ketten gelegte Geist und forderte ihn auf, ihm zu folgen, was A. auch tat. Plinius schildert die weiteren Ereignisse: „Als sie [die Geistgestalt] in den Vorhof des Hauses gekommen war, verschwand sie plötzlich und ließ ihren Begleiter [A.] zurück, der Gras und Blätter abpflückte, um damit die Stelle zu bezeichnen. Am Tage darauf geht er zu den Behörden und verlangt, dass der Ort aufgegraben werde. Man findet Gebeine, die mit Ketten umschlungen und von dem durch die Länge der Zeit und in der Erde verwesten Körper nackt und zerfressen in den Ketten geblieben waren; man sammelt und bestattet sie auf Staatskosten. Von jetzt an erschienen in diesem Haus die gebührend bestatteten Geister nicht mehr.” (Plinius, 7. Buch, Brief Nr. 27).
Lit.: Plinius der Jüngere: Briefe. Übers. v. O. Güthling. Leipzig: Reclam 1930; Bonin, Werner F.: Lexikon der Parapsychologie und ihrer Grenzgebiete. Frankfurt a. M.: Fischer, 1981; Guiley, Rosemary: The Encyclopedia of Ghosts and Spirits. New York: Facts On File, 1992.
Athialil, Thomas Abraham, am 1. Oktober 1936 in einer normalen Entbindung in Ponkunnam, in Kerala, Indien, zur Welt gekommen, wies von Geburt an Missbildungen auf, die für jeden offensichtlich waren: an beiden Beinen kongenital verdrehte Füße. Als das Kind zu gehen begann, berührte es den Boden jeweils mit dem Fußrücken. Es gibt sehr viele Zeugen, die keine Experten waren, aber übereinstimmend von dieser Deformierung berichten; auch die Ärzte, die den Kleinen untersuchten, bestätigen, dass es sich um eine hochgradige, beidseitige Missbildung handelte, die angeboren war. Eine chirurgisch-orthopädische Behandlung wurde jedoch nicht vorgenommen (man beschränkte sich auf das Auflegen von Pfauenfett). Da man die Krankheit sich selbst überließ, wurden die angeborenen Anomalien durch das Gehen schließlich irreversibel. Nachdem von der Medizin keine Hilfe mehr zu erwarten war, organisierten die Angehörigen des verkrüppelten Jungen am 27.1.1947 eine Pilgerreise zum Grab der Dienerin Gottes > Alfonsa von der Unbefleckten Empfängnis, die am 28. Juli 1946 in Bharananganam im Ruf der Heiligkeit verstorben war. Sie besuchten das Grab und das Zimmer der verstorbenen Schwester im Kloster der Klarissen. Danach kehrten alle mit einem Fahrzeug nach Hause zurück. An Thomas’ Füßen hatte sich nichts verändert; er aber betete von da an inbrünstig um seine Heilung, worüber er wie folgt berichtet: „Als ich am Abend des 29. Januar 1947 zu Bett ging, waren meine Füße im gleichen deformierten Zustand wie vorher. Als ich dann aber am darauf folgenden Morgen aufstand und ins Bad ging, fiel meiner Tante auf, dass die Deformation verschwunden war, und sie sagte es meinem Großvater. Erst da wurde mir bewusst, dass ich gesund war. Meine Eltern und ich freuten uns sehr über die Heilung und dankten Schwester Alfonsa.“
Bei der Beurteilung des Falles im Rahmen des Seligsprechungsverfahrens kamen die Mitglieder der Consulta Medica (Ärzterat) zu folgenden Schlussdefinitionen:
Diagnose: „Kongenitale eingewachsene Verdrehung beider Füße vom Typus equinovarus-adductus-supinatus“ (4 von 4).
Prognose: „Ohne entsprechenden Eingriff infaust quoad sanationem“ (4 von 4).
Therapie: „Keine“ (4 von 4).
Art der Heilung: „Plötzlich, vollständig, dauerhaft, auf der Grundlage der gegebenen medizinischen Kenntnisse nicht erklärbar“ (4 von 4).
Lit.: Alfonsae ab immaculata Conceptione. Positio super miraculo, Roma: Sacra Congregatio pro Causis Sanctorum, 1985, Informatio super miro, S. 21.; Resch, Andreas: Wunder der Seligen 1983 – 1990. Innsbruck: Resch, 1999.
Athinganer (lat., „Nicht-Berührer“), religiöse Bewegung mit orientalisch-heidnischen Bestandteilen und einigen christlichen Ideen. Nach ihrer Lehre ist Melchisedek der Gott und Vater Christi und werde deshalb in der Schrift mutterlos, vaterlos und geschlechtslos genannt. Christus sei Priester nach der von Melchisedek gesetzten Ordnung. Vom Judentum hatten sie die Feier des Sabbat angenommen. Beschneidung und Taufe lehnten sie ab. Unter sich hatten sie einen Dämonendienst: Soru, Sochan und Arche hießen die vornehmsten Dämonen, die sie anriefen und durch deren Macht sie angeblich sogar den > Mond bewältigen und ihn über Geheimnisse befragen konnten. Die Geschichte der Menschen sei an die Gestirne gebunden, von deren Auseinandersetzungen der Erfolg menschlicher Bestrebungen abhänge. Ihr Name besagt, dass sie niemanden berührten, der nicht ihres Glaubens war. Sollte jemand von ihnen trotz aller Sorgfalt einer Berührung anheimfallen, musste er sich gleich gewissen Waschungen und Reinigungszeremonien unterziehen. Zudem sollen sie noch eigene geheime Bräuche gepflegt haben.
Lit.: Graecae ecclesiae vetera monumenta, ex bibliotheca Medicea / Cura et studio Ang. Mar. Bandini. Florenz, 1762; Döllinger, Ignaz von: Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters. Reprograf. Nachdr. d. 1. Aufl., München, 1890. Darmstadt: Wissensch. Buchges., 1982.
Athor oder Athyr (ägypt., „Urnacht“), Göttin der Nacht, die als solche auch der verborgene Ursprung aller Dinge war. Sie wurde hauptsächlich zu Athribis im Delta verehrt. Die Stadt soll von ihr den Namen haben. Von den Griechen wird sie mit > Aphrodite, von den Römern mit > Venus verglichen. Auf Münzen von Athribis ist sie als weibliche Figur mit einem Spieß in der linken und einem Vogel in der rechten Hand dargestellt. Ihr heiliges Tier ist die Kuh, weshalb sie auch mit einem Kuhkopf bzw. einem Menschenkopf mit zwei Hörnern und einer Scheibe oder überhaupt als Kuh dargestellt wird. A. wird zum Teil auch mit „Haus des > Horus“ übersetzt und mit > Hathor, der Göttin der Fruchtbarkeit und Liebe, gleichgestellt. Schließlich ist A. noch der Name des 161. Planetoiden.
Lit.: Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Erftstadt: area verlag gmbh, 2004.
Athyr > Athor.
Atirat (atir, „Freund“, oder abgeleitet von einem arabischen Wort in der Bedeutung von „Glanz“, „Helle“), westsemitische Göttin, die der babylonische König Hammurabi als „Schwiegertochter des Himmelskönigs“ und als „Herrin der Wollust“ bezeichnet.
In Ugarit war A. die Gemahlin von > El und trug den Titel „Herrin des Meeres“.
In Südarabien wird sie wiederholt in Verbindung mit dem Mondgott > Amm genannt.
Lit.: Gese, Hartmut: Die Religionen Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer. Stuttgart: Kohlhammer, 1970.
Atiyoga oder Mahasandhi (sanskr., „außergewöhnlicher Yoga“; tibet. dzogchen, „Vollendung“), bezeichnet Lehren, die traditionell in der Nyingma-Schule des tibetischen Buddhismus (> Vajrayana) als Quintessenz der Lehren Buddhas betrachtet werden. Das > Dzogchen-Kloster in Tibet gehört zu den sechs Hauptsitzen der Nyingma.
A. ist der Weg der Selbstbefreiung durch nicht-dualistische Kontemplation, die jenseits des Geistes liegt und den Menschen wieder in die uranfängliche Energie eingliedert. Der A. besteht in der Praxis aus einem ununterbrochenen Zyklus von Kontemplationen. Jene bei Tag sind gegliedert in Verstehen (experimenteller Zugang), Festigung (Einübung des Verstandenen) und Fortschreiten in der Entwicklung kontemplativer Fähigkeiten. Die Nachtübungen werden vor dem Einschlafen und nach dem Erwachen durchgeführt. Ständige Übung führt zur vollkommenen Erkenntnis der natürlichen Urweisheit, jenseits von Anfang und Ende.
Lit.: Rinpoche, Dudjom: Die Klausur auf dem Berge – Dzogchen Lehren und Kommentare. Berlin: Theseus, 1994; Dalai Lama: Dzogchen – Die Herz-Essenz der Großen Vollkommenheit. Berlin: Theseus, 2001.
Atkinson, William Walker
(5. 12. 1862 – 22. 11. 1932), Vordenker des > New Age. Geboren in Baltimore, USA, begann A. die vielversprechende Rechtslaufbahn, konnte aber dem Berufsdruck nicht standhalten und wurde krank. Da ihm die Ärzte nicht helfen konnten, suchte er selbst fieberhaft nach Heilung. Dabei entdeckte er die Heilkraft der Gedanken und kam wieder zu voller Gesundheit. Um die Jahrhundertwende zog A. nach Chicago, wo er seine Rechtslaufbahn fortsetzte und sich gleichzeitig intensiv mit dem Hinduismus zu beschäftigen begann. In der Yoga-Philosophie entdeckte er eine Parallele zu seinem Neuen Denken und ab 1903 begann er unter dem Pseudonym Swami Ramacharaka Hindutexte herauszugeben.
A. befasst sich in seinem Neuen Denken mit der Natur des menschlichen Denkens an sich und seinen Auswirkungen auf das Leben und versucht, in einem zum Nachdenken anregenden Diskurs, die Macht des > positiven Denkens überzeugend darzulegen.
W.: The Law of New Thought: A Study of Fundamental Principles and Their Application. Chicago: Psychic Research, 1902; The New Thought: Its History and Principles; or, the Message of New Thought. Holyoke, Mass.: Elizabeth Towne, 1915; Fourteen Lessons in Yogi Philosophy and Oriental Occultism. London: L. N. Fowler, 1917.
Atlakvida (Ältere Edda), altnordisches Lied der Heldensage über Atli, den Hunnenkönig, das zur ältesten Schicht der > Edda gehört. Giukis Tochter, > Gudrun, die nordische Frauengestalt der Kriemhild in der Völsungasaga, einer der Versionen des Nibelungenstoffes, rächt den Tod ihrer Brüder Gunnar und Högni (Hagen) am Hofe Atlis auf grausame Weise. Zuerst tötet Sie Atlis Söhne, daraufhin Atli, den Hunnenkönig, selbst, verbrennt die Halle mit allem Gesinde und gibt sich anschließend den Tod in den Flammen. Das „Alte Atlilied“ ist die wichtigste Quelle zur älteren Stoffgeschichte des > Nibelungenliedes. A. ist auch das einzige Heldenlied, dessen Dichter man in Thorbjörn Hornklofi zu erkennen glaubt, der Ende des 9. Jhs. Skalde (Dichter) am Hof des norwegischen Königs Harald Schönhaar war.
Lit.: Die Edda: Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen / übertr. von Felix Genzmer. Eingeleitet von Kurt Schier. Rheda-Wiedenbrück; Gütersloh: RM-Buch-und-Medien-Vertrieb [u. a.], 2004.
Atlamál in Groenlenzku (Ältere Edda), Eddalied über Atli, den sagenhaften Hunnenkönig, in einer erweiterten und umgedichteten Fassung des älteren Atli-Liedes, > Atlakvida, die im 11. Jh. auf Grönland entstand.
Lit.: Hempel, Heinrich: Atlamál und germanischer Stil. Hildesheim u. a.: Olms, 1977.
Atland, Name einer angeblich 2194 v. Chr. untergegangenen Zivilisation in Nordeuropa. Als Beweis für diesen Wikingermythos von einem vorgeschichtlichen Inselreich, das in der Nordsee versunken sein soll, gibt es weder eine alte Überlieferung noch archäologische Funde. Als Quelle dient eine friesische Handschrift (Ura oder Das Oera Linda Buch), die 1871 in den Niederlanden entdeckt wurde und sich seit Generationen im Besitz der holländischen Familie Over de Linden befand. Sie erzählt von einer Gemeinschaft mit hoher Kultur, die eine große halbkreisförmige Landfläche nordöstlich der Britischen Inseln bewohnte. Allerdings weist das Manuskript mit dem Namen, der auf > Atlantis anspielt, wegen seiner Fremdartigkeit, seiner zweifelhaften Herkunft und der Herausgabe durch Hermann Wirth (1885 – 1980), den Gründer und Präsidenten der Stiftung > „Ahnenerbe“, die unter der Leitung der SS stand, viele Fragen auf.
Lit.: Wirth, Herman Felix: Die heilige Urschrift der Menschheit: symbolgeschichtliche Untersuchungen diesseits und jenseits des Antlantik. Leipzig: Koehler & Amelang, 1931.
Atlanter, 1. Eine okkulte Gesellschaft, die 1957 in London nach den Lehren des „Geistführes“ Helio-Arcanophus gegründet wurde – angeblich früher eine Hohepriesterin des versunkenen > Atlantis. Die Lehren dieses Geistes betonen die Bedeutung des Individuums und die Notwendigkeit, den Sinn des Lebens zu finden, der helfen könne, die Frustration beiseite zu schieben, und der die spirituelle Entwicklung fördert. Die Gesellschaft erkennt Gott als die Intelligenz schlechthin an und untersucht Themen wie > Reinkarnation, > Karma, > Heilen, > Meditation, den > Deva und die > Elementarbereiche, die Bedeutung von Alantis, die Zukunft der Welt, Psychologie, Träume und > Astrologie. Die Mitglieder werden aufgefordert, ihr seelisches Potential durch Gedanken der Liebe und des Heilens an Einzelpersonen und die Weltgegenden zu entsenden. Die A. veröffentlichen die Zeitschrift The Atlantean.
2. Von den Atlantern ist ferner in zahlreichen Zusammenhängen mit Atlantis und Ureinwohnern die Rede. So sollen die Atlanter, später als „Arier“ bezeichnet, über Indien in den Westen gekommen sein. Die Smaragdtafeln mit ihren Lehren stammten von Thoth, dem Atlanter. Auch die Erbauer der megalithischen Monumente in Nordeuropa seien Überlebende von Atlantis gewesen, so auch die Goten. Den Spekulationen scheinen hier keine Grenzen gesetzt – nach der Devise: wo man am wenigsten weiß, kann man alles sagen!
Lit.: Shepard, Leslie (Hg.): Encyclopedia of Occultism & Parapsychology. Detroit, Michigan: Gale Research Company; Book Tower, 21984. 1. Bd.; Hepke, Karl Juergen: Die Geschichte von Atlantis: der vergessene Ursprung unserer Kultur. Gelnhausen: TRIGA-Verl., 2004.
Atlantiden (griech.), > Plejaden. Den ersten Namen hätten sie von ihrem Vater > Atlas, den zweiten von ihrer Mutter Pleïone.
Nach > Platon sind die A. jenes Volk, das vor 9.000 Jahren auf der „Insel der Seligen“ gelebt haben soll. Diese Information habe er von Solon erhalten, der darüber von einem Priester aus dem ägyptischen Saïs unterrichtet worden sei. > Atlantis.
Lit.: Homet, Marcel F.: Auf den Spuren der Sonnengötter: die abenteuerliche Suche nach Zeugnissen der Atlantiden im Amazonasgebiet. Wiesbaden; München: Limes, 1978.
Atlantis (griech. átlas, Stützpfeiler), legendärer, bei einer Naturkatastrophe versunkener Kontinent, von dem in > Platons Dialogen Timaios und Krítias ein ägyptischer Priester aus Saïs dem Gesetzgeber Solon von Athen (ca. 638 – 558 v. Chr.) berichtet.
Im Timaios (24D-25C) erzählt Plato von der „gewaltigen Kriegsmacht“, die vom Atlantischen Meer heranzog: „Damals nämlich war das Meer dort fahrbar: denn vor der Mündung, welche ihr in eurer Sprache die Säulen des Herakles heißt, hatte es eine Insel, welche größer war als Asien und Libyen zusammen, und von ihr konnte man damals nach den übrigen Inseln hinübersetzen, und von den Inseln auf das ganze gegenüberliegende Festland, welches jenes recht eigentlich so zu nennende Meer umschließt. Denn alles das, was sich innerhalb der eben genannten Mündung befindet, erscheint wie eine bloße Bucht mit einem engen Eingange; jenes Meer aber kann in Wahrheit also und das es umgebende Land mit vollem Fug und Recht Festland heißen. Auf dieser Insel Atlantis nun bestand eine große und bewundernswürdige Königsherrschaft, welche nicht bloß die ganze Insel, sondern auch viele andere Inseln und Teile des Festlands unter ihrer Gewalt hatte. Außerdem beherrschte sie noch von den hier innerhalb liegenden Ländern Libyen bis nach Ägypten und Europa bis nach Tyrrhenien hin. Indem sich nun diese ganze Macht zu einer Heeresmasse vereinigte, unternahm sie es, unser und euer Land und überhaupt das ganze innerhalb der Mündung liegende Gebiet mit einem Zuge zu unterjochen. Da wurde nun, mein Solon, die Macht eures Staates in ihrer vollen Trefflichkeit und Stärke vor allen Menschen offenbar…. stellte Siegeszeichen auf und verhinderte so die Unterjochung der noch nicht Unterjochten und gab den andern von uns, die wir innerhalb der herakleischen Grenzen wohnen, mit edlem Sinne die Freiheit zurück. Späterhin aber entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und da versank während eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht das ganze streitbare Geschlecht bei euch scharenweise unter die Erde; und ebenso verschwand die Insel Atlantis, indem sie im Meer unterging.“
Im Dialog Kritias (108E-109C) wird Atlantis näher beschrieben, wobei Platon in Erinnerung ruft, „dass es im ganzen neuntausend Jahre her sind, seitdem, wie angegeben worden, der Krieg zwischen denen, welche jenseits der Säulen des Herakles, und allen denen, welche innerhalb derselben wohnten, entstand, welchen ich jetzt vollständig zu erzählen habe. Nun wurde schon angeführt, dass an der Spitze der Letzteren unsere Stadt stand und den ganzen Krieg zu Ende führte, während über die Ersteren die Könige der Insel Atlantis herrschten, welche, wie ich bemerkt habe, einst größer war als Libyen und Asien zusammen, jetzt aber durch Erderschütterungen untergegangen ist und dabei einen undurchdringlichen Schlamm zurückgelassen hat, welcher sich denen, die in das jenseitige Meer hinausschiffen wollen, als Hindernis ihres weiteren Vordringens entgegenstellt.“
In der Mitte der Insel Atlantis habe sich eine Ebene befunden, die ans Meer gestoßen sei. Vom Meeresufer etwa 10 km landeinwärts habe sich ein „nach allen Seiten niedriger Berg“ befunden, aus dem zwei Quellen traten. Der Hügel war von drei gewaltigen, kreisrunden Wasserkanälen umgeben, die mit Schiffen befahren werden konnten. Dort befand sich die Königsburg der > Atlanter. Das Land war sehr fruchtbar und in den Wäldern lebten sogar Elefanten. In der Rechtsprechung stand über allen Gesetzen, „dass sie niemals gegeneinander die Waffen führen, vielmehr einander insgesamt Hilfe leisten sollten, wenn etwa einer von ihnen in irgend einer Stadt das königliche Geschlecht auszurotten versuchte, und dass sie nach gemeinsamer Beratung, gleich wie ihre Vorfahren, ihre Beschlüsse über den Krieg und alle anderen Angelegenheiten fassen und ausführen, den Vorsitz und Oberbefehl dabei aber dem Geschlecht des Atlas überlassen sollten“ (Kritias 120 E).
Nach diesen Berichten von Platon im Timaios und Kritias befassten sich mit A. seither mehr als 25.000 Veröffentlichungen. Lässt man dabei jene Deutungsversuche beiseite, die nach heutigem Wissensstand keine Grundlage haben – wie Atlantis in Nordafrika, Atlantis in Peru, Atlantis im Pazifik, Atlantis in Griechenland, Atlantis bei Helgoland – , so bleibt die von Dipl.-Ing. Otto Muck vertretene Ansicht von Atlantis in der Gegend des mittelatlantischen Rückens (Azoren) beachtenswert. Er stieß bei seinen Forschungen auf ein Datum, das eine Weltkatastrophe und damit den Untergang eines atlantischen Kontinents möglich erscheinen lässt, wobei er den Zeitpunkt der Katastrophe, eines Planetoideneinschlags, für den 5. Juni 8498 v. Chr., 13.00 Uhr, errechnete, was den Angaben von Platon und der Zeitangabe der Verlagerung der Erdachse um 25° sehr nahe kommt. Andere sprechen hingegen davon, dass Atlantis eine „geologische Leiche“ sei. > Lemuria, > Mu.
Lit.: Spanuth, Jürgen: Das enträtselte Atlantis. Stuttgart, 1953; Platon: Sämtliche Werke nach der Übersetzung von Schleiermacher-Müller. Reinbek: Rowohlts Klassiker der Literatur und Wissenschaft V. 1960; Luce, J. V.: Atlantis, Legende und Wirklichkeit. Bergisch-Gladbach: Lübbe, 1969; Gadow, Gerhard: Der Atlantisstreit. Fischer Tb., 1973; Biedermann, Hans: Die versunkenen Länder. Graz: Verlag für Sammler, 1975; Spanuth, Jürgen: Die Atlanter, Volk aus dem Bernsteinland. Tübingen: Grabert, 1976; Platon: sämtliche Werke / M. e. bio-bibliograph. Bericht v. Bernd Henninger u. e. editor. Nachw. v. Michael Assmann. 8., durchges. Aufl. d Berliner Ausg. v. 1940. Heidelberg: Lambert Schneider, 1982; Frank, K. A.: Atlantis war anders. Graz: Verlag für Sammler, 1988; Muck, Otto H.: Alles über Atlantis. Düsseldorf; Wien: Econ, 1988; Guiley, Rosemary Ellen: Harper’s Encyclopedia of Mystical & Paranormal Experience. San Francisco: Harper, 1991; Shepard, Leslie A. (Ed.): Encyclopedia of Occultism & Parapsychology. In Two Volumes. Detroit: Gale Research Inc., ³1991.
Atlantologie, Erforschung von > Atlantis durch seriöse Studien, hellseherische Beschreibungen, radiästhetische Mutungen, hypnotische Rückführungen und magische Praktiken.
Lit.: Eberlein, Gerald L. (Hg.): Kleines Lexikon der Parawissenschaften. München: Beck, 1995; Magin, Ulrich: Geheimwissenschaft Geomantie: der Glaube an die magischen Kräfte der Erde. München: Beck, 1996; Lexikon der Psychologie: in fünf Bänden. Heidelberg, Erster Band A bis E. Berlin: Spektrum Akademischer Verlag, 2000.
Atlas (griech., Träger). 1. Sohn des Titanen Iapetus und der Clymene (Tochter des > Oceanus und der Tethys), Bruder des > Prometheus und Epimetheus. Zur Strafe dafür, dass er sich gemeinsam mit den > Titanen gegen Zeus erhebt, wird ihm die ganze Last des Himmels aufgebürdet. In seiner Nähe hüten seine Töchter, die > Hesperiden, die goldenen Äpfel im Garten der Götter. Als > Herakles die Äpfel holen soll, nimmt er A. die Last von den Schultern und dieser geht zu den Hesperiden. Zurückgekehrt will A. die Last nicht mehr auf sich nehmen, sondern die Äpfel selbst zu > Eurystheus bringen. Herakles greift daraufhin zu einer List und lässt sich von A. einen Polster auf die Schultern legen. Als ihm A. für diese Dienstleistung die Last kurz abnimmt, macht sich Herakles aus dem Staub. Seither steht der unglückliche A. mit dem Himmel auf der Schulter am Rande des Erdkreises, an einem Ozean, dem später nach ihm benannten Atlantik.
Vom Himmelsträger wurde A. zudem zum Kopfträger in der Anatomie. In der von Plinius d. Älteren im 1. Jh. n. Chr. verfassten „Naturkunde“ wird der oberste Wirbel der Hyäne atlantion genannt (Buch 28, 99). Hundert Jahre später bezeichnet Julius Pollux, eine anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Benennung der menschlichen Körperteile, den siebten und letzten Halswirbel, die Vertebra prominens, als „Atlas“.
2. Nach einer anderen Version war A. ursprünglich der Name des Kyllenegebirges im Peloponnes und wurde später auf den nordwestafrikanischen Gebirgszug übertragen. Von daher erhielten das gesuchte > Atlantis und der Atlantische Ozean ihre Namen. Nach > Platon gilt A. als der erste König von Atlantis, der dort gemeinsam mit seinem Bruder Gadiros, der ihm unterstand, herrschte.
Die schwer verständliche Beziehung des A. zum Meer erklärt A. Lesky mit der Vorstellung des im churritisch-hethitischen „Lied von Ulikummi“ erscheinenden Urweltriesen Upelluri, der Himmel, Erde und Meer trägt und mit gewissen Einschränkungen als Parallelfigur zu A. aufgefasst werden kann.
Lit. Tièch, E.: Atlas als Personifikation der Weltachse. In: Museum Helveticum 2 (1945), S. 67 ff.; Lesky, A.: Hethitische Texte und griechischer Mythos. In: Anzeiger der Öst. Ak. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 87 (1950), 137 ff.
Atlaua (altmex.: atl, Wasser), der mächtige Wassergott der > Azteken, der aber auch mit dem Pfeil (atlatl) in Verbindung gebracht wird. Er ist der „Meister des Wassers“ und der Schutzherr der Fischer und der Schützen. Wenn er seinen Pfeil in die Hand nimmt, steigt er auf wie der > Quetzalvogel.
Lit.: Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen. Namen, Funktionen, Symbole / Attribute. 2., erw. Aufl. Stuttgart: Kröner, 1989.
Atli > Attila.
Atma > Atman.
Atmabodha (sanskr.). Kurze Abhandlung über das „Wissen um das Selbst“, die > Shankara zugeschrieben wird. Sie behandelt in 68 Versen die wichtigsten Punkte des > Advaita-Vedanta.
Lit.: Sankara: Atma Bodha = (Selbsterkenntnis): die geistige Grundlage für die Yogalehre / von Sankaracharya. Calw: Schatzkammerverl. Fändrich, 1977; Leggert, T.: The Chapter of the Self. London: Routledge and Paul, 1978.
Atmadhyana (sanskr.), in der Philosophie des > Raja Yoga von > Sankaracharya eine der notwendigen Stufen (14. Stufe) zur Erlangung der Kenntnis von der Einheit der Seele mit > Brahman; bezeichnet die Höchstform der Freude, die beim Glauben „Ich bin Brahman“ aufkommt.
Lit.: Shepard, Leslie (Hg.): Encyclopedia of Occultism & Parapsychology. Detroit, Michigan: Gale Research Company; Book Tower, 21984. 1. Bd.
Atman (sanskr., Selbst), auch Atma, ursprünglich Hülle, Leib, dann Hauch, > Seele und > Atem, bezeichnet für den > Hindu und den > Sikh das wirkliche und wahre Selbst, das der menschlichen Erscheinung zugrunde liegt und in ihr gegenwärtig ist. Diese Bedeutung war in den > Vedas noch nicht vorhanden, sondern findet sich erst in den > Upanischaden, und zwar verschiedentlich: Mit A. wird die Gesamtheit der körperlich-geistigen Vollzüge und somit die Gesamtperson bezeichnet. A. ist sodann die Sphäre, welche die Einheit der körperlich-geistigen Vollzüge gewährleistet und die Erklärung der Welt ermöglicht; dieser A. steht an der Spitze der Hierarchie der Vermögen und erleuchtet diese von innen, weshalb er auch das innere Licht heißt. A. bezeichnet ferner die unsterbliche und immer schon befreite Wesenheit, die sich für die Dauer eines Lebens im jeweiligen Körper aufhält und ihn beim Tod verlässt: entweder um sich erneut zu verkörpern oder um erlöst zu sein und nicht wiederzukehren. Diese endgültige Befreiung (> Moksha) erreicht der A., wenn er erkennt, dass er das ist, was er schon immer war, > Brahman, tat tvam asi, du bist dies.
In einigen Textpassagen wird A. auch „Anfang des Kosmos“ genannt, eine Bezeichnung, die > Puruscha und Brahman zugesprochen wird. In dieser Hinsicht bilden A. und Brahman eine verschiedene Sphären zusammenfügende Ordnung, in der organische und hierarchische Beziehungsstrukturen miteinander verbunden sind.
Die Idee der endgültigen Befreiung des A. wurde vom Buddhismus vollkommen abgelehnt, während bei den Sikhs der unsterbliche A. das Mittel seiner Beziehung zu Gott ist, die zeitweise einer Identität nahe kommt: „Gott wohnt im Atman, und der Atman wohnt in Gott“. (> Adi-Granth 1153)
Lit.: Die altindische Philosophie nach den Grundworten der Upanishads: Der Gedanke vom All-Selbst in d. Rede-Wettkampf u. d. 3. Lehrgesprächen d. Yajnavalkya u. die Brahman-Atman-Lehren in ihren Haupt-Zeugnissen aus 12 Upanishads d. Veda / in d. Übers. von Paul Deussen. Jena: Diederichs, 1914; Trumpp, Ernest: The Adi Granth or the Holy Scriptures of the Sikhs. New Delhi: Munshiram Manohalal Publ., 41989; Malinar, Angelika: Die „Welten“, das Opfer und die Erkenntnis des Selbst im Veda und in den Upanisaden. In: Andreas Resch: Die Welt der Weltbilder. Innsbruck, Resch, 1995, S. 232 – 238.
Atmen, Buch vom, eine Sammlung von Sprüchen aus der Spätzeit der ägyptischen Religion, ähnlich jenen des Totenbuches. Die zahlreich erhaltenen Handschriften gehören der Zeit um das 1. Jh. n. Chr. an. Der Name entstammt dem Vorspann des Dokuments, der da lautet: „Beginn des Buches vom Atmen, das Isis für ihren Bruder Osiris machte, um seine Seele zu beleben, um seinen Körper zu beleben, um alle seine Teile von Neuem zu verjüngen […].“ Die Sprüche sollen dem Verstorbenen ein zweites Leben im Jenseits verleihen.
Eine weitere Sammlung von Sprüchen und Gebeten, die von den Ägyptern Zweites Buch vom Atmen genannt wurde, ist durch Kurzfassungen bekannt. Ägyptologen betiteln es mit „Dass mein Name fortdauere“, weil die Sammlung eine Litanei enthält, in der sich der Verstorbene wünscht, dass sein Name fortdauere „in Theben und in den Gauen für Jahrhunderte und für die Ewigkeit (…)“.
Die beiden Bücher sind kaum als selbständige Schöpfungen zu werten, sondern als Kompilationen und Auszüge aus älterem Vorrat von Totenbuchsprüchen und Grabgebeten. Dies gilt besonders für das zweite Buch. Die gesamte Literatur scheint thebanischer Herkunft zu sein.
Nach dem Papyrus Louvre 3284 soll die Schrift gemacht sein „von Isis für ihren Bruder Osiris, um seine Seele zu beleben und seinen Leib zu beleben, um alle seine Glieder nochmals zu verjüngen, damit er das Lichtland erreiche mit seinem Vater Re, um seine Seele erscheinen zu lassen als Mondschein, um seinen Leib als Orion strahlen zu lassen am Leib der Nut.“ Das Buch gibt sich als „nützlich für einen Mann in der Nekropole“, wenn es ihm an seine linke Seite in die Nähe des Herzens gelegt wird (Pap. Louvre 3284) oder unter den Kopf des Gottes (Osiris) (Pap. Florenz 3662).
Lit.: Brugsch, Heinrich: Sai an sinsin sive liber metemphychosis veterum Aegyptiorum: e duabus pypyrus funebribus hieraticis signis exaratis. Berolini: Gaertner, 1821; Pellegrini: Il libro della respirazione (Rendicenti di Accad. Dei Lincei 1904, Florenz Pap. 3665); Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte / Hans Bonnet. 3. unveränd. Aufl. Berlin; New York: de Gruyter, 2000.
Atmen, kosmisches, Aufnahme von kosmischer Energie durch gezielte Atmung. Nach dem bekannten Heiler Harry > Edwards (1893 – 1976) strömen um uns herum heilende kosmische Kräfte. Der normale gesunde Körper nimmt ständig ein Gemisch all dieser kosmischen Energien in sich auf, die er zur Erhaltung des gesundheitlichen Gleichgewichts braucht. Lässt man dieses Einatmen zu einem bewussten Vorgang werden, so steigert sich die Wirksamkeit dieser kosmischen Kräfte bedeutend und der innere Kraftvorrat füllt sich um so mehr. Diese kosmische Atmung soll im entspannten Zustand und bei „innerem Frieden“ erfolgen: „Beim Einatmen nehmen wir bewusst ein Mehr als nur die Luft in uns auf: wir vertrauen darauf, dass zugleich innere Stärke und Lebenskraft in uns eindringen, die unseren Körper reinigen und beleben sollen. Wir atmen wieder aus in dem Bewusstsein, dass wir alles Verbrauchte und Schädliche und alle Sorgen ausscheiden“ (Edwards, S. 132). Dieses gezielte Atmen solle man der Fürbitte, der Beziehung zu den jenseitigen Heilkräften, vorausgehen lassen.
Lit.: Edwards, Harry: Praxis der Geistheilung: Erkenntnisse und Erfahrungen aus vierzig Jahren. 2., überarb. u. erw. Aufl. Freiburg i. Br.: Hermann Bauer, 1978.
Atmische Ebene, auch geistige Ebene oder höheres spirituelles Selbst, jene Ebene, auf der es kein menschliches Bedürfnis mehr gibt, da jede Form von Individualität aufgehoben ist. Bei Alice > Bailey ist dies die fünfte Ebene der sieben Prinzipien der Welt, bei Max > Heindel hingegen die Welt des göttlichen Geistes.
Im Kashmir-Shivaismus wird die atmische Ebene („höheres spirituelles Selbst“) z. B. von den sechs Kanchukas gebildet: Kalaa, Vidya, Raga, Kaala, Niyat, Purusha. Diese sechs atmischen Kräfte wirken auf die > Maya ein und erschaffen die buddhische und die mentale Ebene. Die A. E. ist auch der Ausgangspunkt der Zeit, die dort aber millionenfach schneller abläuft und auf den unteren Ebenen immer langsamere Zyklen bildet.
Lit.: Heindel, Max: Nature Spirits and Nature Forces / Vorwort von Augusta Foss Heindel. Oceanside, CA, 61937; Bailey, Alice A.: Eine Abhandlung über kosmisches Feuer / Einleitung von Foster Bailey. Genf: Lucis, 51968; Bäumer, Bettina: Vijnana Bhairava – Das göttliche Bewusstsein: 112 Weisen der mystischen Erfahrung im Shivaismus von Kaschmir. Grafing b. München: Aquamarin, 2003.
Atmosphäre (griech. atmos, Dunst; sphaira, Kugel), die durch Massenanziehung der Erde festgehaltene Gashülle, welche aus einem physikalischen Gemisch verschiedener gasförmiger Elemente besteht. Das Mischungsverhältnis ist bis in große Höhen konstant, wenngleich es keine definierte Obergrenze im geschichteten Vertikalaufbau gibt.
Der Volksglaube zerlegt A. in die Elemente > Wind, > Wasser (Regen) und > Feuer (Blitz). In der germanischen Mythologie wurden ursprünglich alle drei Elemente in der Gestalt > Wodans personifiziert. Neben ihm stand > Donar als Herrscher über das atmosphärische Feuer. Diesen Wesen ist eine enge Beziehung zum Backen und zum Brot gemeinsam, welches man ihnen als Opfer darbringt. So wird A. als ein riesiger Backofen verstanden, in dem Riesen ihre Tätigkeit verrichten.
Unter christlichem Einfluss, etwa seit dem 11. / 12. Jh., trat an die Stelle der Riesen die Mutter Gottes, die seitdem als die Spenderin der Feldfrucht gilt und so auch mit einer Ähre dargestellt wird.
Daneben steht A. für die geistige Umwelt, in der ein Mensch lebt, sei sie nun von ihm selbst oder von anderen geschaffen. Dabei soll man, nach > Agrippa von Nettesheim, schlechtgesinnte und unglückliche Menschen wegen ihrer negativen Ausstrahlung meiden und die Gesellschaft guter und glücklicher Menschen suchen, die durch ihre Nähe positiv wirken. Nach > Paracelsus entspricht dem wahren Selbstbewusstsein eine geistige Kraft, die vom Arzt auf den Kranken übertragen werden kann, sofern er diese besitzt. Dadurch wirke die Gegenwart des Arztes allein schon an sich selbst heilsamer auf den Kranken ein als alle Arzneimittel, weil die ätherischen Schwingungen in das Ätherische des Menschen eindringen und dort nicht-harmonische Schwingungen in harmonische verwandeln können. So wird die A. auch als die Umkreiswirkung der > Aura bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist selbst in der allgemeinen Umgangssprache beim gesellschaftlichen Beisammensein je nach Stimmung von einer guten oder schlechten Atmosphäre die Rede.
Lit.: Forster, Thomas: Beobachtungen über den zufälligen und periodischen Einfluss von bes. Zuständen d. Atmosphäre auf d. Gesundheit u. d. Krankheiten d. Menschen, insbes. auf d. Wahnsinn. Aus d. Engl. hrsg. v. Ludwig Cerutti. Leipzig: Industrie-Comptoir, 1822; Kühnau, Richard: Die Bedeutung des Backens und des Brotes im Dämonenglauben des deutschen Volkes. Patschkau: E. Hertwig, 1900; Schrödter, Willy: Präsenzwirkung: vom Wesen der Heilung durch Kontakt. Ulm, Donau: Arkana-Verlag, 1960.
Atmospherics (griech., engl.), elektromagnetische Vorgänge im Zusammenhang mit Blitzentladungen, deren Frequenzbereich auch die Ausstrahlungsfrequenzen des menschlichen Gehirns und anderer Körperteile umfasst. Diese Wellen extrem niedriger Frequenz im ELF- (unter 100 Hz) und VLF- (unter 30 Hz)-Bereich laufen rund um die Erde und sind schwer abzuschirmen. Ihnen werden die Auslösung von Herzversagen, Leukozytose, Veränderungen im Oxygenstoffwechsel und psychische Störungen zugeschrieben.
Lit.: König, Herbert L.: Der Mensch im Spielfeld elektromagnetischer Kräfte. München: Eigenverlag Herbert L. König, 1977; Playfair, Guy Lyon: Die Zyklen des Himmels: die kosmischen Kräfte und wir. Wien; Hamburg: Zsolnay, 1979.
Atom (griech. atomos, unteilbar), seit den griechischen Philosophen Leukipp (5. Jh. v. Chr.) und Demokrit (460 – 371 v. Chr.) Bezeichnung für die kleinsten unteilbaren Bausteine der Materie. Während jedoch die alten Griechen und später die Okkultisten vom A. als dem Urbaustein der Materie sprechen, sind die A.e in der modernen Atomphysik nicht mehr die letzten Bestandteile der Materie, sondern bestehen selbst aus noch kleineren Bausteinen, den Elementarteilchen, mit einem Kern in der Mitte.
Versuche atomistischer Welterklärungen bei den Griechen und im indischen Denken finden sich auch im spekulativen Denken des Islam. Seit dem 10. Jh. bedient sich die Orthodoxie im Islam einer Weiterentwicklung der atomistischen Theorie, um die von den Philosophen vertretene Annahme der Unendlichkeit der Zeit zurückzuweisen. Nach dieser weiterentwickelten Theorie erschafft Gott in jedem Moment die Substanzatome und an diesen wiederum Qualitätsakzidenzen, die nur einen Augenblick Bestand haben und sofort vergehen, wenn ihre Neuschöpfung ausbleibt. Die Naturfunktionen folgen also nicht gesetzlicher Notwendigkeit, wie die Philosophen annehmen, sondern werden in jedem Augenblick von Gott erneuert.
Lit.: Pretzl, Otto: die frühislamische Atomlehre. In: Islam 19 (1931), 117 – 130; Pines, Salomon: Beiträge zur islamischen Atomenlehre. Leipzig: Harrassowitz, 1936; Haken, Hermann: Atom- und Quantenphysik: Einführung in die experimentellen und theoretischen Grundlagen; mit 32 Tab., 177 Aufgaben und vollständigen Lösungen. Berlin u. a.: Springer, 2004.
Aton (ägypt., Sonnenscheibe), Bezeichnung der Sonne, die im Mittleren Reich (um 2040 – 1786: 11. / 12. Dynastie) aufkommt und sich in der 18. Dynastie einer sichtlich zunehmenden Beliebtheit erfreut. Bei der Neigung der Ägypter, Begriffe und Erscheinungen zu personifizieren, entwickelt sich A. zu einer besonderen Erscheinungsform des Sonnengottes. Schon zur Zeit Thutmosis’ IV. (18. Dynastie, 1425 – 1408 v. Chr.) wird dieser auf einem > Skarabäus schlechthin A. genannt. König > Amenophis IV., der seinen Namen in > Echnaton (= dem Aton wohlgefällig) umändert, erhebt A. zur einzigen Gottheit. In den ersten fünf Regierungsjahren Echnatons wird A. noch als Mensch mit Falkenkopf dargestellt, also wie bisher der heliopolitanische Re-Herachte. Dann gibt es nur noch die Sonnenscheibe, deren Arme handförmig enden und die Lebensschleife halten. Die anderen Gottheiten werden, mit Ausnahme von > Re, vernachlässigt. Gegen > Amun und seinen Kult wird eine regelrechte Hetzjagd betrieben. Kultzentrum des A. wird sein großer Tempel in Achetaton, der neuen Hauptstadt des Reiches. Echnaton wird der Prophet Gottes, der Einzige, der ihn verstehen und verständlich machen kann und dabei mit einer alles überragenden Kennzeichnung versieht: „Es lebt der Re, der Herrscher der beiden Horizonte, der frohlockt im Horizont, in seinem Namen als Vater des Re, der wiedergekommen ist als A.“ A. ist somit kein neuer Gott, sondern Re, der von Anfang an war und jetzt nach einer Zeit der Ferne wiederkehrt. Bildlich gesprochen hatte der König in A., der Sonnenscheibe, den Re zurückgebracht, der ursprünglich auch nichts anderes als das Gestirn selbst war. Im berühmten Hymnus, den Echnaton wahrscheinlich selbst komponierte, verleihen die aufgezählten Eigenschaften – Quelle der Wärme, des Lichts und der Schönheit, Brunnen des Lebens und Schöpfer aller Dinge – dem A. einen monotheistischen und universalistischen Charakter. Im Gegensatz zur alten ägyptischen Religion, die auf das Jenseits und auf das Problem des Bösen ausgerichtet war, ignoriert die Aton-Religion als Lehre des Lebens und der Freiheit absichtlich den Tod. Doch eine Religion, die den Tod nicht kennt, kann nicht von Dauer sein. So verschwindet auch A. und die kurzlebige Stadt, die zu seiner Ehre erbaut worden war, mit seinem Propheten.
Lit.: Bonnet, Hans: Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. 3., unveränd. Aufl. Berlin: Walter de Gruyter, 2000; Schlögl, Hermann Alexander: Amenophis IV. Echnaton / mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Hg. Klaus Schröter. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2004.
Atouts (franz.), Bezeichnung für die 22 Karten der Großen Arkana oder Trumpfkarten des > Tarot.
Lit.: Körbel, Thomas: Hermeneutik der Esoterik: eine Phänomenologie des Kartenspiels Tarot als Beitrag zum Verständnis von Parareligiosität. Münster: LIT, 2001.
Atra(m)chasis-Mythos, akkadische Schilderung der Schöpfung und Urgeschichte der Menschheit. Ausgangspunkt ist die Rebellion der sieben Igigu-Götter, denen die höheren Anunnaku- Götter die drückende Last der Arbeit für den Unterhalt aller aufgebürdet hatten. Sie wollten, dass ihre Kanalarbeiten von Menschen übernommen werden. Diese sollen durch die Schlachtung eines „Gottes mit planvollem Verstand“‚ geschaffen werden. Auf den Rat des > Enki hin wird von der Muttergottheit der Mensch aus Lehm, vermischt mit dem Fleisch und Blut einer getöteten Gottheit, geschaffen, um künftig für das Wohl der Götter zu sorgen. Die Menschen vermehren sich rasch und ihr lautes Treiben stört den Gott > Enlil so sehr, dass er ihre Ausrottung durch eine Flut beschließt. Enki warnt seinen Schützling Atra(m)chasis und befiehlt ihm, ein Schiff zu bauen, um die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels an Bord zu nehmen. So rettet sich A. vor der Katastrophe.
Der Sintflutbericht des A.-M. stimmt weitgehend mit dem des > Gilgamesch-Epos und der Genesis überein. Im jüngeren Gilgameschepos (12-Tafel-Epos, ca. 12. Jh. v. Chr.), wo in der 11. Tafel das Thema der Sintflut aus dem A.-M. aufgegriffen wird, finden sich jedoch einige Änderungen. Der Flutheld heißt nicht mehr Atramchasis, sondern Utnapischtim. Dieser berichtet als Augenzeuge von der verheerenden Flut, für die keine Begründung mehr gegeben wird. Der Rettergott ist nicht mehr Enki, sondern > Ea und die Muttergöttin ist nicht Nintu / Mami, sondern > Ischtar / Mach.
Lit.: Atra-ùHasåis: the Babylonian Story of the Flood. Oxford: Clarendon Press, 1969; Einleitung und Übersetzung von Wolfram von Soden: „Der altbabylonische Atramchasis-Mythos“, TUAT III/4 (Gütersloh, 1994) 612 – 645; Baumgart, Norbert Clemens: Die Umkehr des Schöpfergottes. Zu Komposition und religionsgeschichtlichem Hintergrund von Gen 5 – 9 (HBS 22; Freiburg i. Br., 1999), 490 – 495; ID., „Die große Flut und die Arche“, BiKi 58 (2003), 30 – 36.
Atreus (griech.), Sohn des Pelops, des Königs zu Elis, und der Hippodameia, Bruder des > Thyestes. Axioche, eine Geliebte des Pelops, hatte diesem noch einen Knaben von wunderbarer Schönheit geboren, den Chrysippus. Hippodameia stachelt, von Eifersucht getrieben, ihre Söhne auf, den Halbbruder zu töten. Diese führen die Tat aus und werfen den Leichnam in einen Brunnen. Von ihrem Vater verflucht, müssen sie das Land verlassen. Nach dem Tode des Pelops wird A. König von Mykene, seinem Bruder Thyestes überträgt er den südlichen Teil des Reiches. Aërope, die Frau des A. hat jedoch ein Verhältnis mit Thyestes. Als A. dies bemerkt, vertreibt er seinen Bruder und ertränkt seine Gattin im Meer. Thyestes, dem es gelingt, den kleinen Sohn des A., Pleisthenes, mit sich zu nehmen, schickt diesen, als er herangewachsen ist, aus, um seinen Vater zu töten. A. kommt seinem Mörder zuvor und lässt Pleisthenes umbringen, ohne zu wissen, dass dieser sein Sohn ist. Als er die Tat durchschaut, bittet er seinen Bruder an seinen Hof, nach außen auf Versöhnung bedacht, tötet dessen Kinder und setzt sie ihm zur Speise vor (> Thyestesmahl). Thyestes verflucht daraufhin das ganze Geschlecht und folgt einem Orakelspruch, der besagt, dass ein Sohn, den er mit seiner Tochter Pelopeia zeuge, Rache nehmen werde. A. heiratet Pelopeia und hält Aegystos, den seine Frau gebar, für seinen eigenen Sohn. Als dieser herangewachsen ist, schickt er ihn aus, um Thyestes zu töten. Im letzten Augenblick erkennt Aegystos in Thyestes seinen Vater. Als Pelopeia davon erfährt, stößt sie sich das Schwert ihres Vaters in die Brust, woraufhin Aegystos mit dem vom Blut seiner Mutter noch warmen Schwert A. ersticht. Die Feindschaft der Väter ging somit auf ihre Söhne über.
Das Thema fand auch Eingang in die Literatur. Sophokles schrieb die Dramen „Thyestes“ und „Atreus“, Euripides die Tragödie „Thyestes“ (nur fragmentarisch erhalten). Von Seneca stammt ebenfalls eine Tragödie mit dem Titel „Thyestes“. Das Thema wurde bis in die neuere Literatur immer wieder aufgegriffen.
Lit.: Jakob, Franz: Die Fabel von Atreus und Thyestes in den wichtigsten Tragödien d. engl., franz. u. ital. Literatur. Leipzig: Deichert, 1907; Seneca: Thyestes. Mit Materialien zur Übersetzung und zu Leben und Werk Senecas / Dt. von Durs Grünbein. Hg. von Bernd Seidensticker. Frankfurt a. M.; Leipzig: Insel-Verl., 2002.
Atreya, Bhikhan Lal (1897 – 1967), indischer Philosophieprofessor und Pionier der Parapsychologie in Indien, Vorstand des Instituts für Philosophie und Psychologie der Hindu Universität in Benares. Er führte das Studium der Parapsychologie in das Ausbildungsprogramm der Universitäten ein und untersuchte u. a. die außergewöhnlichen Leistungen der Yogis.
Lit.: Pleasants, Helene (Hg.): Biographical Dictionary of Parapsychology: With Directory and Glossary 1964 – 1966. New York: Helix Press, 1964.
Atri (sanskr., „der Verzehrende“), im alten Indien vergöttlichter Sänger heiliger Lieder (> Rishis). Nach dem > Rigveda entdeckte er die von einem Dämon verschluckte Sonne und setzte sie an den Himmel. Nach den > Purânas ist er der Vater des > Soma.
Lit.: Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen: Namen, Funktionen, Symbole / Attribute. 2., erw. Aufl. Stuttgart: Kröner, 1989.
Atriel (hebr., „mein Schmuck ist Gott“), Engelname, der schon im Buch Henoch vorkommt und als Zauberformel auf einem silbernen Zauberring dient.
Lit.: Das Buch Henoch: äthiopischer Text mit Einleitung und Commentar / hg. von Joh. Flemming. Leipzig: Hinrichs, 1902; Andree-Eysn, Marie: Volkskundliches aus dem bayrisch-österreichischen Alpengebiet. Nachdr. d. Ausg. Braunschweig 1910. Hildesheim: Olms, 1978.
Atropos (griech., „die Un-abwendbare“), jene der drei Moiren, Parzen oder Schicksalsgöttinnen, die den von den beiden anderen Schwestern, > Klotho und > Lachesis, gesponnenen Faden unerbittlich abschneidet.Diese griechischen und später römischen Schicksalsgöttinnen teilten dem einzelnen Menschen seinen Lebenslauf und damit seinen Anteil an der Welt zu. Seit Homer waren weibliche Gottheiten vorzugsweise zu Dreiergruppen zusammengefasst, wie auch in diesem Fall. Klotho setzt den Lebensfaden an, Lachesis spinnt ihn fort und A. durchschneidet ihn und beendet damit jäh das irdische Dasein der Betroffenen. So schreibt Hesiod:
„Ferner die Moiren, die Zeus, der wissende ehrte aufs höchste:
Klotho, Lachesis, Atropos sind ihre Namen, sie geben
Gutes und Böses zugleich den sterblichen zum Schicksal.“ (Theogonie, 904 – 906)
A. durchtrennt den Lebensfaden, sobald das Schicksal es befiehlt, und ist so die eigentliche Todbringende. Dieser Rolle verdankt sie ihr Debüt als nomenklatorisches Vorbild in Pharmakologie und Toxikologie. So waren seit dem 16. und 17. Jh. sowohl Atropa als auch Belladonna geläufige Benennungen für bestimmte Nachtschattengewächse. 1737 ordnete der schwedische Arzt Carl von Linné höchstpersönlich die Tollkirsche der Gattung „Atropa“ zu. Dabei bezog sich der Erfinder der systematisierten binären Pflanzennomenklatur auf die hochtoxischen Eigenschaften. So erhält die oft letal wirkende Tollkirsche die binäre Bezeichnung „Atropa belladonna“, ihr gefährliches Alkaloid bekommt eine in der Sprache der Chemie übliche Endung und heißt deshalb „Atropin“. Der Zusatz „bella donna“ (schöne Frau) geht auf die „große Augen machende Wirkung“ der Säfte der Nachtschattengewächse zurück, deren sich auch die Freudenmädchen bedient haben sollen, um notfalls in Ermangelung des echten Erlebens zum richtigen Zeitpunkt ein wenig „Belladonna“ in die Augen zu reiben und so den gewünschten Effekt zu erzielen – wussten die Männer doch, dass am Höhepunkt des geschlechtlichen Beisammenseins eine mehr oder weniger deutliche Pupillenerweiterung auftritt!
Lit.: Karenberg, Axel: Amor, Äskulap & Co.: Klassische Mythologie in der Sprache der modernen Medizin. Stuttgart: Schattauer, 2005.
Atta (Pali: „das Selbst“ oder das „ Ich“; dies. Wurzel wie sanskr. > atman). Für den Buddhismus ist die Attavada (Ichlehre) eine Irrlehre, da es keine Seele als Träger der Individualität, des Ichs, gibt. Hierin zeigt sich der wesentlichste Unterschied zwischen Bud-
dhismus und Hinduismus.
Lit.: Die Lehrreden des Buddha aus der Angereihten Sammlung: Anguttara-Nikaya / Aus dem Pali übersetzt von Nyanatiloka: überarb. u. hg. v. Nyanaponika. 4., überarb. Aufl. Freiburg i. Br.: Aurum, 1984; Lingwood, Dennis (Sangharakshita): Das Buddha-Wort: das Schatzhaus der „heiligen Schriften“ des Buddhismus – eine Einführung in die kanonische Literatur. Bern u. a.: O. W. Barth im Scherz Verlag, 1992.
Attar (arab.), 1. Verehrter Gott im vorchristlichen Südarabien, dem der Planet Venus (Morgenstern) zugeordnet ist. A. ist eine Schutz- und Kriegsgottheit mit dem Attribut „der Kampflustige“. Er ist aber auch der Spender des Wassers und überkreuzt sich so mit dem Mondgott. Sein Symbolzeichen ist die Speerspitze und sein heiliges Tier die > Antilope.
Außerhalb Südarabiens kann A. androgyne Züge annehmen, wie in > Ugarit, wo er auch als Aschtar zu finden ist.
2. A. wird auch das echte, aus Blüten, Rinden oder Holz gewonnene Öl genannt, das nach dem Glauben der Araber reich und unvermischt die Essenz, die Seele der betreffenden Pflanze, enthält.
Lit.: Caquot, A.: Le dieu ’Attar et les textes de Ras Shamra. Syria 35 (1958); Höfner, M.: Attar. Wörterbuch der Mythologie 1 (1965); Gese, Hartmut / Höfner, M. / Rudolph, K.: Die Religionen Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer. Stuttgart: Kohlhammer, 1970.
Attar, Farid ad-Din (um 1150 bis ca.1229), Mystiker (Sufi) und Dichter, geboren in Nishapur, Persien, gilt als einer der größten sufi-mystischen Dichter des Islam. Besonders berühmt wurde er durch sein Meisterwerk Mantiq at-Ta’ir (Sprache der Vögel) – eine lange Allegorie der Suche der Seele nach der göttlichen Wahrheit, die von Sure 38, 19 des Koran ausgeht. Alle Vögel folgen dem Wiedehopf und erreichen am Ende eine unsichtbare Vereinigung mit dem König. A. verfasste aber auch andere Werke, meist epische Gedichte, wie „Buch der Trauer“ oder „Göttliches Buch“.
Lit.: Ritter, Hellmut: Das Meer der Seele: Mensch, Welt u. Gott in d. Geschichten d. Fariduddin ’Attar. Leiden: Brill, 1978; Hübsch, Hadayatullah: Konferenz der Tiere: nach dem persischen Versepos Mantiq Ut-Tair von Farid ud-Din Attar aus dem 12. Jahrhundert. Stuttgart: Klett, 1987; Attar, Farid-ad-Din: Geschichten und Aphorismen des persischen Dichters und Mystikers Fariduddin Attar / übers. von Hellmut Ritter. Neu-Isenburg: Ed. Tiessen, 1995; Vogelgespräche und andere klassische Texte.Vorgestellt von Annemarie Schimmel. München: C. H. Beck, 1999.
Attar, Rabbi Chajim Ben Mosche
(1696 – 1743), der durch seinen kabbalistischen Kommentar zum Pentateuch, Or Hachajim (Lehre des Lichtes), berühmt wurde. Er lebte in Salé, Marokko.
Lit.: Or Ha-hayim: Light of Life: a Compendium of the Writings of Rabbi Chaim Ben Attar / translated ba Chaim Feuer for zecher Naftali Foundation, San Bernardino, Calif.: Reginald / Brogo Press, 1986; Necker, Gerold: Das Buch des Lebens: Edition, Übersetzung und Studien. Tübingen: Mohr Siebeck, 2001.
At-Tawhid (arab.), sufisch das Bezeugen der Einheit mit Gott als Schauen der göttlichen Einheit.
Lit.: Schimmel, Annemarie: Sufismus: eine Einführung in die islamische Mystik. Orig.ausg. München: Beck, 2000.
Attha-loka-dhamma (Pali, „acht weltliche Dinge“). Nach dem Buddhismus gibt es folgende acht Dinge, die allgemeine menschliche Befindlichkeiten sind: „Bekommen und Verlieren, Ruhm und Bedeutungslosigkeit, Lob und Tadel, Glück (sukha) und Leiden (dukkha). Betrachtet man die Welt in diesen Begriffen, so kann sie nur als unbefriedigend angesehen werden. Das vollkommene Glück (paramasukha), kann erst erlangt werden, wenn man diese acht Befindlichkeiten aufgegeben hat.
Lit.: Die Lehrreden des Buddha aus der Angereihten Sammlung: Anguttara-Nikaya / Aus dem Pali übersetzt von Nyanatiloka: überarb. u. hg. v. Nyanaponika. 4., überarb. Aufl. Freiburg i. Br.: Aurum, 1984; Lingwood, Dennis (Sangharakshita): Das Buddha-Wort: das Schatzhaus der „heiligen Schriften“ des Buddhismus – eine Einführung in die kanonische Literatur. Bern u. a.: O. W. Barth im Scherz Verlag, 1992.
Atthangika-Magga (Pali., sanskr. Ashtangika Marga, der > achtfache Pfad), eine der vier Edlen Wahrheiten, in der die ethischen Richtlinien der Lehre Buddhas aufgezeichnet sind: rechte Erkenntnis, rechter Entschluss, rechte Rede, rechtes Handeln, rechte Lebensführung, rechtes Bemühen, rechte Achtsamkeit, rechte Sammlung oder Konzentration. Es ist aber kein Pfad, der Stufe für Stufe erklommen werden muss, sondern man kann auch ohne die erste Stufe – die rechte Erkenntnis – zum Ziel gelangen.
Lit.: Frauwallner, Erich: Die Philosophie des Buddhismus. Berlin: Akad.-Verl., 41994.
Attich (Sambucus ebulus L., Zwergholunder), eine dem > Holunder nah verwandte, etwa 1 m hohe Staude mit weißen und manchmal ins Rosarote übergehenden Blüten und glänzend schwarzen Beeren. Er ist in Europa, im Iran und in Nordafrika verbreitet. Die unangenehm riechende Pflanze wird schon von > Dioskurides (Dioskurides, IV, 173) und Plinius (Plinius, XXVI, 120) erwähnt und stand in hohem Ansehen als Heilpflanze.
A. wurde sehr häufig als harn- und schweißtreibendes Mittel verwendet. Doch wer größere Mengen Attichtee trinkt, bekommt Durchfall und erbricht. Zudem sinkt der Blutdruck. Als Rattekrut sollte er Ratten abhalten. Er stand zudem im Ruf, das Mittel der Wahl bei allen Arten von Vergiftungen durch Tiere zu sein, so vorzugsweise bei Schlangenbissen. Das Kraut sollte für diese Anwendung in besonderer Weise gesammelt werden: Der Kräutersammler sollte es dicht über der Erde schneiden und dabei nicht hinsehen, sondern vielmehr an den Patienten denken (Schöpf). Da der Samen schleimhautreizend ist und die Blätter ein giftiges Glykosid enthalten, das Blausäure freisetzen kann, wird der Zwergholunder heute nicht mehr als Heilmittel verwendet.
Nach einer englischen Sage wuchs der A. aus dem Blut der Dänen, die im 11. Jh. bei den Kämpfen zwischen Knud dem Großen und Edmund Ironside fielen. Er heißt in England deshalb „Dänenblut“.
Lit.: Plinius, C. Secundus: Naturalis historiae libri XXXVII. Hg. v. Lud. Jan und Carol. Mayhoff. Lipsiae, 1892 bis 1898; Dioskurides: Pedanii Dioscuridis Anazarbei de materia medica libri V ed. M Wellmann. 3 voll. Berolini 1907 – 1914. Dt. Übersetzung von J. Berendes. Stuttgart, 1902; Marzell, Heinrich: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, Bd. 4. Stuttgart: Hirzel; Wiesbaden: Steiner, 1979; Schöpf, Hans: Zauberkräuter. Graz: ADEVA, 1986.
Attila, in der deutschen Heldensage auch als Etzel bekannt († 453), war ab 434 König des Turkstammes der Hunnen. Diese kamen im 4. Jh. bei der großen Völkerwanderung innerasiatischer Stämme, die vom Tien-Schan-Gebirge ihren Ausgang nahm, nach Westen. Ihr Name, mit dem die Westeuropäer Begriffe wie „grausam“ und „barbarisch“ verbinden, blieb wegen ihrer Kriegstaten bis heute unvergessen. Attila – sein eigentlicher Name ist nicht bekannt – ist die Verkleinerung von gotisch „Attar“, Vater, also „Väterchen“ (nordisch Atli, im Nibelungenlied). Er regierte seit 434 mit seinem Bruder und nach dessen Tod (445) allein sein heterogen zusammengesetztes Großreich, das von den Grenzen Chinas bis an die Wolga, die Donau, den Rhein, ja bis an den Tiber reichte. A. verhandelte mit dem Papst in Rom, mit Basileus von Byzanz und mit den Kaisern von China. Bei seinem Einfall in Gallien trat ihm ein vom römischen Feldherrn Aëtius geleitetes Heer aus Franken, Burgundern und Westgoten entgegen und besiegte ihn 451 auf den Katalaunischen Feldern bei Troyes. 452 marschierte er bis vor die Tore Roms, zog sich dann aber wieder nach Pannonien (Ungarn) in sein Hauptquartier zurück, wo er in der Hochzeitsnacht mit der Germanin Ildiko („Hildchen“) eines überraschenden Todes starb. Nach seinem Tod löste sich sein Großreich bald auf. In den Epen und Sagen lebt sein Andenken jedoch weiter, insbesondere in der Gestalt Etzels im > Nibelungenlied oder des Atli in der > Völsunga Saga sowie des Attilius in der >Thidrekssaga.
Lit.: Homeyer, Helene: Attila: der Hunnenkönig von seinen Zeitgenossen dargestellt; ein Beitrag zur Wertung geschichtlicher Größe. Berlin: de Gruyter, 1951; Altheim, Franz: Reich gegen Mitternacht: Asiens Weg nach Europa. Hamburg: Rowohlt, 1955; Howarth, Patrick: Attila – der Hunnenkönig: Mann und Mythos. Freiburg i. Br.: Herder, 2001.
Attis oder Attys, phrygischer Vegetationsgott. In einer vermutlich älteren Version des Mythos ist A., wie > Adonis, ein schöner Jüngling, der auf der Jagd von einem Eber getötet wird. Nach einer jüngeren Version der Sage wird Agdistis, ein gefährliches von > Zeus abstammendes Zwitterwesen, von > Dionysos trunken gemacht und entmannt sich unwillkürlich beim Erwachen aus dem Rausch. Aus seinen Geschlechtsteilen erwächst ein Mandelbaum. Die Tochter des Flussgottes Sangarius, Nana, wird von einer Frucht dieses Mandelbaumes schwanger und gebiert den schönen A. Agdistis, so der in Pessinus gebräuchliche Name der > Großen Mutter, liebt A. leidenschaftlich. Als ihr A. mit der pessinuntischen Königstochter bzw. einer Nymphe die Treue bricht, entbrennt Agdistis in solcher Eifersucht, dass sie sich an A. rächt, indem sie ihn wahnsinnig werden lässt. Der Rasende entmannt sich unter einer Pinie und stirbt auf der Stelle. Aus seinem Blut erwachsen Frühlingsblumen und Bäume. Agdistis, die oft auch mit > Kybele identifiziert wird, bereut die Tat, kann A. aber nicht mehr wiederbeleben. Zeus verspricht ihr lediglich, dass der Körper des A. nicht verwesen werde.
204 v. Chr. gelangte A. mit der Großen Mutter nach Rom, wo sich die Kulthandlungen im Rahmen des Frühlingsfestes über zwei Wochen hinzogen. Am 22. März wurde eine Pinie gefällt und als Symbol des A. von den Gallen (galli = Verschnittene), den Baumträgern, zum Heiligtum gebracht. Dann trauerte man um den toten A. Am 24. März steigerten sich die Diener des A. unter Lärm und wilden Tänzen in eine orgiastische Ekstase hinein, wobei sie sich Schnittwunden zufügten. Die neu aufgenommenen Baumträger entmannten sich nach dem Vorbild ihres Gottes (dies sanguis = Tag des Blutes).
Lit.: Hebding, H.: Attis, seine Mythen und sein Kult, 1903 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten; 1); Vermaseren, Maarten Jozef: Der Kult der Kybele und des Attis im römischen Germanien. Stuttgart, Aalen, 1979; Frazer, James George: Adonis, Attis, Osiris: Studies in the History of Oriental Religion. 3. ed. reprinted. London: Macmillan, 1980.
Attribute, die einer Person, Gottheit, magischen Gestalt oder einem Planeten zugeschriebenen Merkmale, die diese individuell kennzeichnen. Es war die Vielheit antiker Gottheiten, die dazu führte, sie durch A. zu charakterisieren, z. B. durch einen Gegenstand (Dreizack des > Poseidon,) durch eine Pflanze (Ähre der > Demeter, Weinrebe des > Dionysos), durch ein Tier (Schlange des > Asklepios). Den Griechen waren die A. nicht nur Erkennungsmerkmal, sondern auch Ausdruck des Wesens der Gottheit.
Im > Buddhismus, speziell im > Vajrayâna und im > Lamaismus, werden den Gottheiten verschiedene A. zugeordnet, die eine genau festgelegte, zuweilen auch ambivalente Symbolbedeutung haben. Zu den gebräuchlichsten A. gehören: der Ritualdolch, das triratna als Symbol für die drei Stützen der buddhistischen Religion, der Lotus als Symbol der Reinheit, das Buch als Symbol der Weisheit, das Schwert als Symbol des Verstandes, die Vase mit dem Unsterblichkeitstrank als Symbol für ein langes Leben usw.
Seit dem 11. Jh. wurden im Bereich der lateinischen Kirche den Heiligen bestimmte A. zugeordnet, wobei sich generelle, individuelle und symbolische A. unterscheiden lassen. Generelle A. verweisen auf einen bestimmten Stand: Palme der Märtyrer, Schleier der Jungfrau Maria, Mitra der Bischöfe. Individuelle A. bezeichnen den Heiligen als Einzelwesen. So steht der Adler für den Apostel Johannes, der Turm für Barbara, der Eimer für Florian. Symbolische A. weisen sinnbildlich auf Eigenschaften hin, so etwa ein Anker auf die Standhaftigkeit im Glauben, ein flammendes Herz auf die Liebe zu Gott, eine Lilie auf Keuschheit, ein Totenkopf auf Weltentsagung oder Buße.
Mit dem Humanismus und der Renaissance gingen zahlreiche A. in die profane Symboldeutung ein, mit vielfältigen Zuordnungen zum Einzelsymbol. So kann der > Adler für Jupiter, den Kaiser, den Gesichtssinn, den Gedankenflug und den Hochmut stehen.
In der > Astrologie werden den im Zeichen eines Tierkreises Geborenen A. zugeschrieben, die den Vertretern eines Zeichens gemeinsam sind. Diese Attribute sind je nach Astrologie und Interpretationstechnik mehr oder weniger spekulativ.
Lit.: Saxl, Fritz: Antike Götter in der Spätrenaissance: ein Freskenzyklus und ein Discorso des Jacopo Zucchi. Leipzig u. a.: Teubner, 1927; Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen. Stuttgart: Kröner, 1989; Sahihi, Arman: Das neue Lexikon der Astrologie. Genf u. a.: Ariston, 1991; Das Lexikon des Buddhismus: Grundbegriffe, Traditionen, Praxis; Bd. 1: A – M, Bd. 2: N – Z / Klaus-Josef Notz [Hg.]. Orig.ausgabe. Freiburg i. Br.: Herder, 1998; Wimmer, Otto: Kennzeichen und Attribute der Heiligen. Bearb. und mit Bildern erg. von Barbara Knoflach-Zingerle. Innsbruck: Tyrolia, 2000.
Atua > Aitu.
Atum (ägypt.), Gott der präexistenten Einheit, der sich zur Gestalt des Sonnengottes verfestigt und zum ersten Mal über dem Urwasser auftaucht. Der Name bedeutet zugleich das „All“ und das „Nicht“ im Sinne von „noch nicht“ und „nicht mehr“. Diesem Gott, der sich im Zustand des Noch-nicht-Seins befindet, wird ein vorweltliches Umfeld beigegeben, ein > Ur-Chaos, das man sich lichtlos, endlos, formlos vorstellt. In dem „Schu Buch“ der Sargtexte wird die Präexistenz als das bewusstlose Dahintreiben des Urgottes A. in der Urflut, dem > Nun, bezeichnet, dem als weitere Aspekte des Urchaos noch die Finsternis (Kuk), die Endlosigkeit (Hu) und die Weglosigkeit (Tenemu) hinzugefügt werden. Ihre klassische Ausgestaltung erhält diese Vorstellung vom Chaos in der Schöpfungslehre von > Hermupolis.
> Chaos ist nach ägyptischer Vorstellung ein Urschlamm voller Keime und möglichen Werdens. Aus diesem Urschlamm erhob sich nach der Schöpfungslehre von Hermupolis der Sonnengott in spontaner Selbstentstehung, als Kind auf einer Lotosblüte, was zugleich als erste Schöpfungstat, die Erschaffung des Lichts, verstanden wird.
Indem Gott selbst entsteht (intransitive Kosmogonie), wird er zugleich nach außen tätig (transitive Schöpfung) und setzt zwei neue Wesen aus sich heraus: > Schu und > Tefnut. Schu ist der Gott der Luft, Tefnut die Göttin des Feuers (fälschlich des Wassers). Ihre Kinder sind > Geb (Erde) und > Nut (Himmel), also die Götter der Erde und des Himmels.
Lit.: Sethe, Kurt: Amun und die acht Urgötter von Hermopolis: eine Untersuchung über Ursprung und Wesen des ägyptischen Götterkönigs. Berlin: Akademie der Wissenschaften, 1929; Schlögl, Hermann: Der Sonnengott auf der Blüte: eine ägyptische Kosmogonie des Neuen Reiches. Genf: Editions de Belles-Lettres, 1977; Bickel, Susanne: La cosmogonie égyptienne: avant le nouvel empire. Fribourg / CH: Univ.verlag, 1994; Assmann, Jan: Theologie und Weisheit im alten Ägypten. München: Fink, 2005.
Atun-Viracocha, der „große Schöpfer“, Inkaname, den die Urcos dem höchsten Gott gaben. Die gleichnamige große Statue, die sie verehrten, wurde vom spanischen Chronisten Cristobal de Molina beschrieben.
Lit.: Molina, C. de: Fábulas y mitos de los incas / C. de Albornoz. Edición de Enrique Urbano y Pierre Duviols. Madrid: Información y Revistas, 1989.
Atunis, etruskischer Vegetationsgott. Er gehört zum Gefolge der Fruchtbarkeitsgöttin > Turan und entspricht dem syrisch-griechischen > Adonis. Im 4. vorchristlichen Jh. aus dem griechischen Pantheon entnommen, wird er ausschließlich auf Spiegeln dargestellt, meist in Begleitung der Turan. Beide entsprechen dem orientalisch-mediterranen Paar der > Magna Mater mit ihrem Sohn.
Lit.: Pfiffig, Ambros Josef: Religio Etrusca: sakrale Stätten, Götter, Kulte, Rituale. Lizenzausg. Wiesbaden: VMA-Verl, 1998.
Atutti (ital.) > Atouts.
Atwood, Mary Anne (1813 – 1910), alchemistische Schriftstellerin, Tochter des ebenfalls an der hermetischen Philosophie interessierten Thomas South aus Gosport, England. Ihr 1850 unter ihrem Mädchennamen M. A. South veröffentlichtes Buch A Suggestive Enquiry into the Hermetic Mystery befasst sich mit der spirituellen Seite der > Alchemie, die im 19. Jh. völlig vernachlässigt wurde. Kurz darauf reute sie die Veröffentlichung, weil sie Angst hatte, Geheimnisse preisgegeben zu haben, die geheim bleiben sollten, und vernichtete so viele Exemplare als sie aufkaufen konnte, um sie unwürdigen Scharlatanen zu entziehen. Nach ihrem Tod erschien jedoch 1918 eine Neuausgabe eines der wenigen verbliebenen Bücher mit einem Vorwort von Walter Leslie Wilmshurst und Denkwürdigkeiten von A. Eine weitere Ausgabe kam 1920 heraus. 1960 wurde die Wilmshurst-Ausgabe von Julian Press , N. Y., nachgedruckt. Die Arbeit gibt einen guten Einblick in die Gedankenwelt der Antike und des Mittelalters zum Thema der Alchemie und umfasst in der Erstausgabe XXV + 531 Seiten.
W.: A suggestive Inquiry into the Hermetic Mystery, with a dissertation on the more celebrated of the alchemical philosophers, being an attempt towards the recovery of the ancient experiment of Nature (By Mary Anne South, afterwards Atwood. London: Trelawna Sudners, 1850; South, afterwards Atwood, Mary Anne: A suggestive Inquiry into the Hermetic Mystery, with a dissertation on the more celebrated of the alchemical philosophers, being an attempt towards the recovery of the ancient experiment of nature. New edition: with an introduction by Walter Leslie Wilmshurst. Also an appendix containing the memorabilia of Mary Anne Atwood. William Tait: Belfast, 1918.
Atziluth > Aziluth.
Atzmann, 1. Skulptur in Gestalt eines lebensgroßen Leviten, der in seinen Händen eine Pultplatte hält. Sie taucht vor allem in der Zeit zwischen 1250 – 1500 auf und ist daher als spätmittelalterliches Phänomen zu bezeichnen, wobei sich bisher alle Atzmänner bzw. Atzmannfragmente im damaligen deutschsprachigen Raum finden. A. hießen nämlich im Mittelalter die Pultträgerfiguren der großen Domkirchen und in Frankfurt zwergartige Konsolenträger. Dieser auch für das Mittelalter außergewöhnliche anthropomorphe liturgische Gegenstand hat für die mit ihm gefeierte Liturgie seine Symbolik, die es noch zu klären gilt.
2. Im hohen und späten Mittelalter wird A. auch als Magieterminus für sog. „Rachepuppen“ (> Analogiezauber) verwendet. In diesem Kontext ist A. ein kleiner böser Geist, der dienstbar gemacht werden kann. So nennen mittelhochdeutsche Gedichte den A. auch > Kobold, wenn es da wörtlich heißt, einen „Atzen oder Pold“ (Paul) machen. Da A. ursprünglich die Schwindsucht bezeichnet, leitet man A. von der Grundbedeutung „Auszehren“ ab, was im „Atzen“ anklingt.
Die Herstellung der sog. A. oder Rachepuppen, meist aus Wachs gefertigte Abbilder, verurteilte das Kirchenrecht als Idololatrie. > Bildzauber.
Lit.: Petzoldt, Leander (Hg.): Magie und Religion: Beiträge zu einer Theorie der Magie. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1978; Paul, Jean: Titan. Mit e. Nachw. von Rainer-Ralph Wuthenow. Frankfurt a. M.: Insel-Verlag, 1983, S. 94; Habiger-Tuczay, Christa: Magie und Magier im Mittelalter. München: Eugen Diederichs, 1992.