Andreas Resch: Archangelus Tadini

ARCHANGELUS TADINI
(1846-1912)

PRIESTER UND GRÜNDER
DER ARBEITERINNEN DES HL. HAUSES
VON NAZARETH

Heilig: 26. April 2009
Fest: 20. Mai

ARCHANGELUS TADINI wurde am 12. Oktober 1846 als Sohn von Pietro Tadini und Antonia Gadola in Verolanuova, Provinz Brescia, geboren und am darauf folgenden 18. Oktober auf den Namen Archangelus getauft. Die Tadinis waren adeliger Abstammung. Der Vater, der als Gemeindesekretär arbeitete, hatte am 6. August 1819 die aus der vornehmen Familie Gadola von Pontevico stammende Julia Gadola geehelicht, die jedoch bereits mit 28 Jahren starb und sieben Kinder hinterließ. Neun Jahre lang versuchte er daraufhin, die Zügel der Familie unter Mithilfe der Schwägerin zu lenken. Letztlich aber beschloss er, dass es besser sei, die Schwester seiner verstorbenen Frau, Antonia, zu heiraten und damit seinen Kindern eine neue Mutter zu geben. Die Trauung fand am 10. Juli 1838 statt. Von Antonia hatte Pietro weitere vier Kinder; das letzte der elfzähligen Kinderschar war Archangelus. Aufgrund seiner schwächlichen Gesundheit wurde er von den Eltern, denen er sehr zugetan war, besonders umsorgt. Bis ca. zum 10. Lebensjahr besuchte er die Volksschule von Verolanuova und wechselte dann um 1855/56 in das Gymnasium von Lovere, wo seine Brüder studierten. Die erste hl. Messe seines Bruders Don Giulio ließ in Archangelus die Berufung zum Priester wachsen, die schon am Ende der Volksschule aufgekeimt und selbst während der Gymnasialzeit nie erloschen war.

Es war die Zeit, in der vor allem in den bürgerlichen und wohlhabenden Schichten, denen die Tadinis angehörten, der Antiklerikalismus tobte. Anstatt sich von der vielfältigen Kritik beeinflussen zu lassen, verspürte Archangelus gerade damals eine wachsende Bindung an die Kirche. Wie er später in einer seiner Predigten sagte, war es genau zu der Zeit, dass er sich entschloss, Kleriker zu werden.
1864 trat er in das Seminar von Brescia ein, wo er seine Studien mit Auszeichnung abschloss. Tadini hatte zu der Zeit einen Unfall, und zwar verletzte er sich bei einem Sturz so schwer am rechten Knie, dass das Bein steif blieb. Von da an hinkte er und musste späterhin einen Stock zu Hilfe nehmen, auf den er in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr verzichten konnte.
Nach Beendigung der theologischen Studien wurde Tadini am 19. Juni 1870 zum Priester geweiht. Es war damals gerade die Zeit der Einigung Italiens und der Spannungen zwischen Kirche und Staat, gekennzeichnet von einer großen Armut des Volkes, von politischen Gegensätzen und den ersten Versuchen der Industrialisierung. Es war aber auch die Zeit großer christlicher Nächstenliebe und weitverbreiteter Religiosität. Am Beginn seines Amtes war Tadini zunächst ein Jahr lang krank, sodass er in der Familie bleiben musste. Von 1871 bis 1873 war er Vikar in Lodrino, einem kleinen Dorf in den Bergen, und anschließend Kurat im Heiligtum S. Maria della Noce, Fraktion Brescia. In beiden Pfarreien unterrichtete er auch in der Volksschule. Seine Sorge um die Bedürfnisse der Menschen zeigte sich schon in den ersten Jahren seiner priesterlichen Tätigkeit. Als wegen eines Hochwassers viele Pfarrangehörige ihre Wohnstatt verloren, gelang es ihm, im Pfarrhaus eine Ausspeisung mit täglich 300 Mahlzeiten zu organisieren und den Betroffenen dadurch zu helfen.
Am 29. November 1885 kam er als Vikar des kranken Pfarrers Don Cortesi nach Botticino Sera. Die Situation in der Pfarrei war besonders sensibel. Innerhalb von 100 Jahren, genau zwischen 1786 und 1886, hatte es dort nur drei Pfarrer gegeben, welche die Pfarrei noch dazu mit negativem Erfolg leiteten. So traf Tadini bei seiner Ankunft weder auf irgendwelche Andachtsräume noch auf Schwestern, auf keinerlei unterstützende Einrichtungen oder Vereine, geschweige denn auf eifrige Gottesdienstbesucher. Es war mehr ein chaotischer Haufen von Obstbauern denn von Winzern (die sie später waren), die ohne jede Begeisterung die Kirche besuchten: gute, aber ungebildete Leute. Tadini begann sofort mit allen nur erdenklichen Pfarraktivitäten, bis er am 26. November 1886 beim Tod von Don Cortesi zum geistlichen Leiter ernannt wurde. Am 20. Juli 1887 erreichte ihn dann die Ernennung zum Erzpriester von Botticino.
Tadini liebte seine Pfarrkinder und ersparte ihnen nichts, um diesen Teil des Gottesvolkes, der seiner Obhut als Seelsorger anvertraut war, menschlich und spirituell zum Wachsen zu bringen. Für jede Kategorie von Personen hatte er die entsprechende Katechese parat, er pflegte die Liturgie und legte besonderes Augenmerk auf die Feier der Sakramente. Als begnadeter Redner zog er die Menschen mit seinen in Lehre und Rechtgläubigkeit kraftvollen Predigten in den Bann.
Für die Kinder organisierte Tadini das Fest der Erstkommunion. In der Erinnerung der Ältesten blieben die Unterweisungen im Katechismus zur Vorbereitung auf die Prüfungen von Beichte und Kommunion lange lebendig und wurden als einige ihrer liebsten Kindheitserinnerungen nostalgisch bewahrt. Im Katechismusunterricht für die Kinder führte er eine für die damalige Zeit große Neuerung ein, nämlich die Lichtprojektionen, die von Msgr. Angelo Zammarchi eingerichtet wurden. Zudem trug er besondere Sorge für die Gesundheit der Kinder und gab ihnen, ohne damit den Ärzten vorzugreifen, viele Ratschläge, vor allem in Bezug auf Hygiene. Ebenso interessierte er sich für ihr schulisches Fortkommen und war oft mit ihnen zusammen. Leider wurde er bei seiner ganzen Arbeit von den anderen Priestern in keiner Weise unterstützt. Anstatt ihm zu helfen, machte man ihm Schwierigkeiten.
Tadini war auch ein großer Organisator. So gründete er für die weibliche Jugend ein Mädchenheim, das er feierlich einweihte. Für die Burschen schuf er eine Art Oratorium, da er mangels Mitarbeitern kein eigentliches Heim aufbauen konnte. Für die Frauen organisierte er die Gesellschaft der Töchter der hl. Angela, für die Mädchen die Töchter Mariens. Für Männer und Frauen führte er, gemäß dem Kirchenrecht, die Bruderschaften vom Allerheiligsten Altarsakrament ein, die es dort nicht mehr gab. Für Erwachsene, die sich dem religiösen Leben widmen wollten, gründete er den Dritten Orden des hl. Franziskus. Damit die Leute im Dorf blieben und ihre Heimat lieben lernten, organisierte er während des Jahres in großem Stil verschiedene Feste: das Fest von der Schmerzensmutter für die Mütter, den Palmsonntag, das Vierzigstündige Gebet, das Fest des hl. Aloisius und die Friedhofsprozession am Abend von Allerheiligen. 1893 restaurierte er die Orgel, gründete eine Gesangsschule, deren Leitung er übernahm, führte den bis dahin unbekannten gregorianischen Choral ein und unterwies mehrere Pfarrmitglieder im Harmoniumspiel. Vor allem gründete er 1892 eine Musikapelle im Dorf, die enorme Begeisterung hervorrief und beim Volksmusikwettbewerb 1896 aus Anlass der Krönung der Gnadenmutter den zweiten Preis erhielt.
Im sozialen Bereich widmete sich Tadini in besonderer Weise der neuen Armut. Es war die Zeit der industriellen Revolution. Nach dem Beispiel anderer Priester gründete er in Botticino den Arbeiterverband der Wechselseitigen Versicherung, der den Arbeitern im Falle von Krankheit, Arbeitsunfall, Invalidität und Alter Unterstützung garantierte.
Von den Arbeiterinnen in der Pfarre waren es vor allem die Mädchen, die – gerade aufgrund ihrer Jugend und ihres Geschlechts – in Unsicherheit lebten und die meiste Ungerechtigkeit erfuhren. Es gelang ihnen nur schwer, eine Familie zu gründen. Ihnen widmete Don Tadini einen Großteil seines Bemühens. Ermuntert durch die Enzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII. 1891 und in Deutung der Zeichen der Zeit plante und errichtete er eine Spinnerei, in die er sein gesamtes Familienvermögen investierte. 1895 wurde das mit avantgardistischen Strukturen und Anlagen ausgestattete Unternehmen fertiggestellt. Drei Jahre später erwarb Tadini mittels einer Anleihe die an die Spinnerei angrenzende Villa, die er in ein Konvikt für Arbeiterinnen umgestaltete. 1898 wurde die Spinnerei eröffnet; sämtliche Mädchen des Dorfes gingen dort zur Arbeit und dank Tadinis Engagement kamen noch weitere hinzu.

Zur Ausbildung der jungen Arbeiterinnen gründete Tadini, nicht ohne Schwierigkeiten, die Kongregation der Arbeiterinnen des Heiligen Hauses von Nazareth. Im Jahre 1900 fanden sich die ersten zehn Schwestern ein, die – zunächst unter der Leitung von Mutter Nazarena Maffeis, dann von Chiara Febbrari – ihr Apostolat begannen. Sie gingen in die Industriebetriebe, um dort gemeinsam mit den Frauen zu arbeiten. Sie sorgten für die Mädchen, indem sie die Belastungen und Spannungen der Arbeitswelt mit ihnen teilten, und sie durch ihr Beispiel formten, indem sie sich ihr Brot an derselben Werkbank verdienten. Diese Form gibt es in Italien und auch im Ausland heute noch. Als Modell stellte Tadini den Arbeiterinnen und den Familien Jesus, Maria und Josef von Nazareth vor Augen, die in Demut ein einfaches Leben führten und im Stillen ihre Arbeit machten. Mit diesen Initiativen erwies sich Tadini als ein großer Hüter der Würde der Frau.

Die nötige Energie zur Verwirklichung all seiner Unterfangen bezog Don Tadini aus seiner innigen und konstanten Verbindung mit dem Herrn. Er verbrachte Stunden um Stunden vor dem Allerheiligsten und wenn er durch die Gassen des Dorfes ging, sah man ihn stets mit dem Rosenkranz in der Hand. Sein Vertrauen in die Vorsehung war grenzenlos.
Als Tadini am 20. Mai 1912 starb, war sein Werk von der kirchlichen Autorität noch nicht approbiert. Er hatte noch nicht alle Schulden beglichen und das Empfinden, verstanden worden zu sein, hatte er bis dahin nicht wirklich erfahren können. Der Pfarrgemeinschaft von Botticino Sera aber war klar, dass mit seinem Tod ein Licht erlosch.
Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof von Botticino Sera (Brescia).

Am 26. April 2009 wurde Archangelus Tadini von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen, nachdem ihn Papst Johannes Paul II. am 3. Oktober 1999 seliggesprochen hatte.

RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Benedikts XVI. 2005 – 2012. Innsbruck: Resch, 2013, XII, 204 S., 48 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-096-4, Ln, EUR 25.90 [D], 26.60 [A]

Bestellmöglichkeit: info@igw-resch-verlag.at