Andreas Resch: Annunziata Cocchetti


ANNUNZIATA COCCHETTI
(1800-1882)

GRÜNDERIN DES
INSTITUTS DER SCHWESTERN DER HL. DOROTHEA VON CEMMO

Selig: 21. April 1991
Fest: 23. März

ANNUNZIATA COCCHETTI wurde am 9. Mai 1800 in Rovato, Provinz Brescia, Italien, als Tochter von Marc’Antonio Cocchetti und Giulia Albarelli geboren und am 12. Mai auf den Namen Annunziata getauft. Die Cocchettis und Albarellis, die zu den angesehensten Familien von Rovato und Erbusco zählten, gehörten dem gehobenen Mittelstand an, der sich damals aus Grundbesitzern und Beamten zusammensetzte. Der Vater, Beamter in Brescia, beteiligte sich als Offizier an den napoleonischen Kriegen und starb im Zuge dessen vermutlich Ende 1807 bzw. in den ersten Monaten des Jahres 1808 in Venedig. Die Mutter, die 1799 aus Brescia, wo zwei Söhne zur Welt kamen, in die Villa der Familie Cocchetti nach Rovato gezogen war, starb am 4. Januar 1807 im Alter von 32 Jahren, nachdem sie sechs Kinder geboren hatte, von denen die drei jüngsten noch zu ihren Lebzeiten dahingerafft wurden. Die Großmutter väterlicherseits überantwortete die drei verbliebenen Waisen der Vormundschaft ihres Sohnes Carlo, Stabsarzt bei der italienischen Armee und Mitglied der Regierung der Zisalpinen Republik. Die beiden Erstgeborenen, Vincenzo und Giuseppina, nahm er mit nach Mailand, während die kleine Annunziata bei ihrer Großmutter im Heimatort blieb, die sich um ihre Schulbildung kümmerte und ihr eine christliche Erziehung angedeihen ließ.

Da es in Rovato zur damaligen Zeit für Mädchen keine Grundschule gab, besuchte Annunziata die Schule der Ursulinen bis zu deren Aufhebung im Jahre 1810. Von da an gab es in der Praxis keine öffentlichen Einrichtungen mehr. Die Kleine lernte für sich zu Hause und nahm am Leben der Pfarre teil. Zwischen dem neunten und zwölften Lebensjahr ging sie zur Erstkommunion, am 28. Februar 1810 empfing sie die Firmung. Dass sie nicht zur Schule gehen konnte, stimmte Annunziata sehr nachdenklich und veranlasste sie schließlich, mit Einwilligung der Großmutter im Elternhaus einen Gratisunterricht für arme Kinder anzubieten. Sie war damals nicht viel älter als siebzehn Jahre und hatte doch schon ein ganz klares Ziel vor Augen: die Mädchen sollten zu einer soliden Frömmigkeit erzogen werden, lesen, schreiben und rechnen lernen und auf ihr künftiges Leben als Hausfrauen und Mütter vorbereitet werden, die auch die manuelle Arbeit nicht scheuten und mit Fleiß und Kompetenz die Geschicke der Familie leiteten. 1822 kam es zu einem signifikanten Wandel. Sämtliche Schulen, auch die privaten, mussten von der Regierung anerkannt und von staatlich geprüften Lehrkräften geführt werden. Annunziata trat daraufhin zur Befähigungsprüfung an und erwarb am 2. August 1822 in Brescia das Lehrerinnendiplom. Ein Wettbewerb lancierte sie zur ersten Lehrerin der Gemeindeschule für Mädchen in Rovato.

Nach dem Tod der Großmutter 1823 lebte Annunziata allein in dem großen Haus in Rovato und erwog, bei den Canossianerinnen einzutreten. Ihr Onkel aber wollte sie dem engen Provinzleben entreißen und von ihren religiösen Bestrebungen abbringen. Da sich die canossianische Gründung in Rovato verzögerte, beschloss Annunziata auf Anraten ihres Spirituals um 1825/26, dem Onkel in Mailand ihre Aufwartung zu machen, um so für seine stete Sorge um das Wohl der Familie ihre Wertschätzung und Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Der Gang der Ereignisse hielt sie in Mailand, bis sie sich 1831 schließlich aufmachte, um ihrer Berufung zu folgen. Im Oktober desselben Jahres kam sie nach Cemmo, wo sie von Erminia Panzerini di Francesco, der Leiterin einer bescheidenen Mädchenschule im Val Canonica, erwartet wurde. Die kleine Schule gedieh prächtig, die Zahl der Schülerinnen nahm stetig zu und der gute Ruf der neuen Lehrerin aus Mailand verbreitete sich im ganzen Tal. Auf Ersuchen der Familien errichtete und betreute Annunziata das von Don Luca Passi zwischen 1815 und 1829 ins Leben gerufene Fromme Werk der hl. Dorothea, eine Laieninstitution zur Ausbildung der Mädchen in den Pfarreien. 1825 legte Passi zudem gemeinsam mit Paola Frassinetti den Grundstein zum Institut der Schwestern der hl. Dorothea, damit es zur tragenden Kraft des Frommen Werkes der hl. Dorothea werde. 1838 hatte Passi auch in Venedig aufgeschlossene Frauen gefunden, die bereit waren, das Werk anzunehmen und das Institut der Schwestern der hl. Dorothea (Abb.) dessen Regel er persönlich verfasste, Wirklichkeit werden zu lassen.

Annunziata teilte die seelsorglichen Ambitionen Don Lucas, hatte sie doch im Werk der hl. Dorothea schon während ihres Aufenthalts im Mädchenheim von Rovato mitgearbeitet. 1842 ging sie nach Venedig, um ein kurzes Noviziat zu machen und anschließend mit zwei Schwestern an ihre Schule zurückzukehren. Wieder in Rovato, übernahm das Institut der Schwestern der hl. Dorothea am 9. Oktober 1842 mit Einwilligung des Bischofs von Brescia die Schule. Gleichzeitig begann das Leben in der neuen Kommunität, zu deren Oberin Annunziata ernannt wurde. Sie lehrte die Schwestern eine einfache, aber starke und solide Spiritualität und bildete sie zu Erzieherinnen heran, die der Einzelperson wie dem Evangelium gleichermaßen gerecht werden sollten. Ihr Beispiel an Gerechtigkeit für die arbeitenden Menschen und ihre vorbildhafte Nächstenliebe gegenüber den Ärmsten der Armen blieb in allen tief verankert.

Doch aller Anfang war schwer. Krankheiten und ein ständiger Wechsel an Schwestern, die Anfechtung des Testaments von Erminia, die ihr Hab und Gut dem Werk vermacht hatte, sowie ein Brand, der einen Teil des Gebäudes zerstörte, prägten die ersten Jahre der kleinen Gemeinschaft. Mutter Annunziata verharrte trotz allem in Gebet, Opferbereitschaft und Gottvertrauen und ging sachlich-nüchtern und mutig ans Werk.
Dem Herrn durch ein viertes Gelübde verpflichtet, nämlich das Fromme Werk der hl. Dorothea voranzutreiben, erwies sie sich als dessen eifrige Fördererin und scharte in den verschiedenen Gemeinden rund um Cemmo an die 500 Mädchen um sich, die sie regelmäßig besuchte, wobei sie jeden Sonntag von Dorf zu Dorf zog und die Mitarbeiterinnen und Aufsichtspersonen zur erzieherischen Arbeit im Sinne des Evangeliums ermunterte, getragen von Schlichtheit und Wohlwollen. Auch Venedig blieb sie weiterhin freundschaftlich verbunden. Erst 1853 entschied sie sich, das Noviziat in Cemmo zu eröffnen und sich direkt um Berufe zu kümmern. Im Verlauf von 30 Jahren führte sie rund 40 junge Frauen zum Ordensberuf, die den fraulichen Eifer für Erziehungsarbeit in völliger Hingabe an Gott mit ihr teilen wollten.

Beim Tod Don Lucas, der das geistige Band zwischen den Gemeinschaften der hl. Dorothea verkörpert hatte, trug der Bischof von Brescia Mutter Annunziata auf, sich von nun an ausschließlich seinen Weisungen zu unterstellen. Cocchetti, die ihre Schwestern bereits mit einer gewissen Selbständigkeit geführt hatte, gehorchte und lud mit der Kraft missionarischer Liebe alle Verantwortung und Mühe auf sich. Gleichzeitig sah sie sich von 1866 an nahezu allein im Kampf gegen die Gesetze zur Unterdrückung der religiösen Orden, aus dem sie Anfang 1871 siegreich hervorgehen sollte.
In der Funktion einer Vize-Superiorin errichtete und leitete sie die Abteilung der „Arbeiterschwestern“ der Bruderschaft von der christlichen Lehre. Von Bedeutung ist auch der Anschluss der Kommunität an das Gebetsapostolat ab 1867. Darüber hinaus gründete sie innerhalb des eigenen Instituts die Bruderschaft Unserer Lieben Frau vom hl. Herzen Jesu, die nahezu bis in unsere Zeit überlebt hat.

Nach Vollendung des 70. Lebensjahres begann sich bei Mutter Cocchetti eine Sehschwäche zu manifestieren, bis sie 1876 plötzlich mit völliger Blindheit geschlagen wurde und ihre letzten Jahre im Dunkeln zubringen musste. Dennoch schritt sie in ihrer Mission heiter und gelassen voran.
Die Schule stand in Blüte und die Gemeinschaft zählte etwa 40 Schwestern, als sie am 23. März 1882 nach kurzer Krankheit im Alter von 82 Jahren in Cemmo friedlich im Herrn entschlief. Ihre letzten Worte sind Ausdruck ihres Lebensgrundsatzes: „Strebt nach Heiligkeit, indem ihr bei den Mädchen, die euch anvertraut sind, gute Arbeit leistet.“ Mit diesen ermunternden Worten trat sie in die Schauung der göttlichen Dreifaltigkeit ein, die sie von Kindheit an fasziniert hatte, wo sie schrieb: „Ich werde Gott lieben mit meinem ganzen Herzen, weil Er der Erste war, der mich geliebt hat; und ich werde danach trachten, dass sich meine Liebe in Taten und nicht in Worten oder sterilen Gefühlen niederschlägt.“

Der Leichnam von Annunziata Cocchetti ruht seit 1951 in der Kirche des Instituts der Schwestern der hl. Dorothea in Cemmo di Capodiponte (Brescia).

Heute ist die Kongregation in verschiedenen Ländern der Welt präsent und engagiert sich in der Jugenderziehung in Schulen, kulturellen Zentren und Pfarreien mit besonderem Blick auf die Stellung der Frau bzw. beteiligt sich in den Exerzitienhäusern an der Förderung des christlichen Lebens. Gegenwärtig umfasst die religiöse Gemeinschaft von Annunziata Cocchetti sowohl einfache als auch gottgeweihte Laien.

Am 21. April 1991 wurde Annunziata Cocchetti von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.

 

Resch, Andreas: Die Seligen Johannes Pauls II. 1991 – 1995. Innsbruck: Resch, 2008 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 3). XIII, 321 S., 67 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-083-4, Ln, EUR 27.70 [D], 28.63 [A]

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