Resch, Andreas: Nahtoderfahrung

Im Mai 2013 befand ich mich aufgrund einer bis dahin völlig unbekannten Infektion mit extrem hohem Fieber, das erst nach 12 Tagen durch den Hinweis eines Infektiologen der Universitätsklinik Innsbruck gesenkt werden konnte, gesundheitlich in einer äußerst prekären Lage. Der genannte Infektiologe, Dr. Ivan Tancevski, tippte auf eine durch Hunde oder Katzen übertragene Spulwurminfektion, ließ diesen Befund aber noch vom Tropenmedizinischen Institut in Wien abklären bzw. bestätigen, sodass schließlich die Diagnose „Infektion durch Toxocara“ gestellt und die entsprechende Medikation verabreicht werden konnte. Dies nur zur Klärung der Situation, in der meine Nahtoderfahrung stattfand.
Am 20. Mai 2013 also lag ich infektionsbedingt völlig unbeweglich und bis an die Grenzen geschwächt, jedoch bei vollem Bewusstsein und bei Tag auf der Kardiologie der Universitätsklinik Innsbruck und sinnierte vor mich hin. Plötzlich zog sich bei vollem Wachbewusstsein eine Fläche in der Breite meines Bettes in den Raum, die schließlich meinen ganzen Horizont füllte. Gleichzeitig sah ich mich in kleiner Gestalt über die Ebene dahinwandern, die sich in einer bräunlichen Umgebung, welche bis zum Firmament reichte, ausbreitete. Im gleichen Augenblick erfasste mich ein unendliches Gefühl der Freiheit und Weite, ohne jede Begrenzung durch den Körper und das Krankenzimmer. Ich war einfach auf dem Weg mit einem völlig unbekannten Wonnegefühl, das alles umhüllte. Obwohl ich mich auf der Ebene wandern sah, war das Glücksgefühl so mächtig und umfassend, dass meine Gestalt zur selbstverständlichen Nebensache wurde, die mich nur als Individuum symbolisierte, während mein Glückserlebnis den ganzen konturlosen Horizont umfasste. Ich war unbeschreiblich glücklich im Glück.
Im Gegensatz zu anderen Berichten über außerkörperliche Erfahrungen nahm ich keine hellen Farben, Gegenstände oder Personen wahr, sondern nur ein offenes, konturloses Panorama, wo ich mich dahingehen sah, selbst aber als Beobachtender in wunschlosem Glück den gesamten Horizont ausfüllte. Das Glücksempfinden war so mächtig, dass es kein Denken, Wollen und Sehnen, sondern nur Erfülltsein gab. Es war eine völlig neue Qualität von Glücksempfinden, das mit keiner anderen Bewusstseinserfahrung in der Körperlichkeit verglichen werden kann. Sämtliche Formen veränderter Bewusstseinszustände, wie Traum, Hypnose, Luzidität, Ekstase, Psychostase oder Biokömese und Biostase, können damit nicht verglichen werden. Es war eine völlig andere Welt. Wie lange ich in diesem Zustand verweilte, kann ich nicht beurteilen, da mein Zeit- und Raumempfinden ausgeschaltet war.
Langsam wurden die Ebene, auf der ich wanderte, und der Horizont immer kleiner, bis sich alles in mein Bett hinein zurückzog und ich urplötzlich meinen Körper und meine Seele wie in einem Gitterbett eingeklemmt empfand. Es war ein bodenloser Schock, der totale Zusammenbruch von Freiheit und Glückseligkeit, der mir zunächst jede Orientierung raubte. Das Empfinden der Begrenztheit und der körperlichen Beschwerden war so mächtig, dass ich mich damit nicht abfinden wollte. Ich setzte alles daran, wieder in die erlebte Raum- und Zeitlosigkeit zurückzukehren und das Glücksempfinden mit aller Kraft zurückzuholen. Doch vergebens, ich musste, raum-zeitlich begrenzt, die Last und die durch die Infektion bedingte Unbeweglichkeit des Körpers in der Enge des Bettes zur Kenntnis nehmen. Diese Enge von Bett und Krankenzimmer empfand ich zunächst wie eine andere Welt. Erst langsam wurde mir meine Realsituation wieder bewusst. Zumindest blieb die Erinnerung an das Erlebte, das Erlebnis selbst war hingegen nicht mehr wachzurufen. Nach und nach konnte ich das Erlebte in mein Denken als Nahtoderfahrung einordnen, wo ich mich doch seit Jahren mit dem Thema befasst hatte. Dabei fand ich volle Entsprechungen mit verschiedenen Berichten in Bezug auf außerkörperliche Erfahrung, Raumzeitlosigkeit und Glücksempfinden, dies alles jedoch ohne Tunnelerlebnis, Begegnung mit anderen Wesenheiten, Vernehmen von Stimmen, Gesang oder Lichtwelten. Beim Erlebnis selbst dachte ich an all diese Möglichkeiten nicht, sondern ging voll im Glückserlebnis auf.
Erst als alle Versuche der Rückholung des Erlebten bzw. eines neuerlichen Einstiegs in dasselbe gescheitert waren, musste ich auch für mich zur Kenntnis nehmen, dass es sich hier um ein Spontanereignis handelte, wie z.B. bei einer Ekstase. Der erlebte Zustand der Außerkörperlichkeit und der Nahtoderfahrung kann nicht aufgerufen werden, er ruft sich selbst auf.
Bei aller Kritik solchen Erlebnissen gegenüber kann das eine nicht verneint werden, nämlich dass es eine Erlebnisdimension frei von der Körperlichkeit gibt, die mit keiner Bewusstseinsform wie Traum, Hypnose, ozeanischem Gefühl o.Ä. vergleichbar ist. Vielleicht ist es eine Begegnung mit dem Seelengrund, der Anima Mundi, oder gar mit der Transzendenz? Eines jedenfalls kann mir nach dem Erlebten niemand nehmen: dass es ein Erlebnis außerhalb von Raum und Zeit war, mit einem Glücksempfinden, das man als himmlisch bezeichnen muss.
Damit hat für mich auch der Tod nicht nur jeden Stachel verloren, sondern ist vielmehr zum Hoffnungsträger einer Rückkehr in das Erlebte geworden.

GW 62 (2013) 3, 271 -274