Maya-Kraft

(Skrt., Zauberkraft). Bis zu den mittleren Upanishaden wird unter M. die Zauberkraft der Götter oder deren Widersacher verstanden, ein universales Prinzip der Vedanta-Philosophie, die Grundlage von Denken und Materie. M. ist die Kraft Brahmans und untrennbar mit ihm verbunden. M. und Brahman werden zusammen Ishvara genannt, der persönliche Gott, der das Universum schafft, erhält und wieder auflöst. Als Nicht-Erkenntnis oder kosmische Illusion verschleiert M. die Sicht des Menschen, sodass er nur die Vielfalt des Universums erblickt und nicht die eine Wirklichkeit. M. hat zwei Aspekte: Avidya (Nicht-Erkenntnis) und Vidya (Erkenntnis). Erstere führt den Menschen von Gott fort zu größerer Weltlichkeit, was Leidenschaft und Gier hervorruft. Letztere führt den Menschen zur Verwirklichung Gottes und kommt in spirituellen Tugenden zum Ausdruck. Beide Aspekte bewegen sich in Raum, Zeit und Kausalität und sind somit relativ. Der Mensch geht über beide Aspekte hinaus, wenn er Brahman, das Absolute, verwirklicht.
Der Begriff M. wird im Gegensatz zu dem des Unwandelbaren, Essentiellen, Absoluten gebraucht, zu jener Wirklichkeit, die durch den Dharmakaya symbolisiert ist. Das Erkennen aller Dharmas als M. ist gleichbedeutend mit der Erfahrung des „Erwachens“ (Erleuchtung) und der Verwirklichung des Nirvana.
Im Grunde sind das Relative und das Absolute eins und identisch, und M. und Bodhi (Erleuchtung) sind eins.

Lit.: Lexikon der östlichen Weisheitslehren: Buddhismus ‒ Hinduismus ‒ Taoismus ‒ Zen. Bern: Scherz, 1986.