(* 19.10.1433 Figline Valdamo, ca. 25 km südöstlich von Florenz; † 01.10.1499 Florenz), wuchs in Florenz auf, wo er die Artes liberales sowie Medizin studierte, wurde Humanist, Philosoph, Arzt, 1473 Priester.
Als Vermittler der platonischen Philosophie übersetzte F. die Werke Platons sowie alchemistische Texte ins Lateinische. Als Leiter der platonischen Akademie in Florenz versuchte er die hermetischen Schriften in eine Synthese mit der christlichen Theologie zu bringen; studierte klassische Sprachen und Medizin in Florenz, Pisa und Bologna (sein Vater war Leibarzt des Cosimo deʼMedici). In Bologna wirkte F. als Arzt, daneben Beschäftigung mit der Astrologie und besonders mit dem platonischen Schrifttum. 1462 überließ ihm Cosimo, der Gründer der Platonischen Akademie von Florenz, eine Villa und ein Landgut in Careggi. Nach dessen Tod wurde F. von Lorenzo deʼMedici gefördert, der ihm eine Kanonikerstelle in San Cristofano in Novoli (bei Florenz) vermittelt hatte. In späteren Jahren wirkte F. als Domprediger von Santa Maria Reparata in Florenz und war mit Giovanni Pico della Mirandola befreundet.
F. verfasste die erste vollständige Platon-Übersetzung in lateinischer Sprache (1462-1484) sowie Übersetzungen neuplatonischer Autoren (bes. Plotin), hermetischer Schriften (Hermes Trismegistos) und von Dionysius Areopagita.
Besondere Wirkung erreichte er dabei durch seine Deutung der von Platon formulierten Vorstellung einer Anima Mundi in christlicher Sicht. Nach F. wird die Weltseele nicht von einem Demiurgen geschaffen, sondern emaniert als Geistseele aus den von Gott geschaffenen Engeln und weist drei Grade auf: Weltseele, die zwölf Seelen der Elemente und der Sphären und die Seelen aller Wesen. Das besagt, dass die Anima Mundi den ganzen Kosmos samt dem Menschen umspannt. Wie für Platon, ist auch für F. die Seele das Bindeglied zwischen Geist und Körper. Auf der einen Seite stimmt sie mit den göttlichen, auf der anderen Seite mit den vergänglichen Dingen überein und neigt sich beiden Seiten aus eigener Neigung zu. Sie ist ein Ganzes, das gleichzeitig überall ist:
„Außerdem besitzt die Weltseele kraft göttlicher Einrichtung zumindest so viele Keimgründe der Dinge (rationes seminales), wie es Ideen im göttlichen Geiste gibt, und bringt aus diesen keimhaften Ursprüngen ebenso viele Spezies in der Materie hervor. Deshalb entspricht jede einzelne Spezies kraft ihres eigenen Keimgrundes ihrer eigenen Idee und kann vermittels desselben wiederholt etwas von ihr empfangen.“
So habe Zoroaster (erste Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.) solche Übereinstimmungen mit den Keimgründen der Weltseele „göttliche Lockvögel“ genannt. Bischof Synesius (ca. 373 bis ca. 414) nennt sie „magische Köder“.
„Sodann soll niemand glauben, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Gaben insgesamt aus der Seele in irgendeine bestimmte materielle Spezies eingeführt werden, sondern dies betrifft natürlich nur jeweils die Gaben desjenigen Keimes, aus dem eine solche Spezies hervorspross, sowie dazu passender Keime. So wird ein Mensch, der nur menschliche Dinge anwendet, nicht die Gaben, die den Fischen oder Vögeln gehören, für sich beanspruchen, sondern nur menschliche und ähnliche Gaben; verwendet er aber Dinge, die zu einem bestimmten Stern und Dämon gehören, so wird er den besonderen Einfluss dieses Sterns und dieses Dämons erfahren, ähnlich wie ein mit Schwefel behandeltes Holz die allgegenwärtige Flamme empfängt. Und er erfährt diesen Einfluss nicht nur durch die Strahlen des Sterns und des Dämons selbst, sondern auch durch die allgegenwärtige Weltseele, in der ja auch der Keimgrund eines jeden Sterns und Dämons lebt; einesteils ist dies ein Keimgrund (ratio seminalis), durch den sie erzeugen, und andernteils ein exemplarischer oder archetypischer Grund (ratio exemplaris), durch den sie erkennen kann.“
Somit sind für Marsilius Ficinus alle materiellen Gebilde oder Species durch die Seele bedingt. Die Materie für sich ist nämlich bewegungs- und eigenschaftslos. Diese Vorstellungen, die besonders bei Agrippa von Nettesheim (1486-1535) und Paracelsus (1493-1541) zum Tragen kamen, werden heute wieder aufgegriffen, weil sie durch neuere Erkenntnisse der Quantenphysik verständlicher werden. Vom 17. Jh. bis in die Gegenwart waren Vorstellungen von einer Weltseele aufgrund der völligen Trennung von Subjekt und Objekt geradezu verpönt.
Nach F. muss man auch heute davon ausgehen, dass die Welt der Phänomene ohne einen nicht materiellen Informationshintergrund weder in ihrer Gestalt noch in ihrer zeitlichen Erscheinungsform zu deuten ist. Nichts kann sich selbst ohne die entsprechende Hintergrundinformation in Gestalt und zeitlicher Erscheinungsform hervorbringen. Hier bietet sich die von F. beschriebene Vorstellung einer Anima Mundi, einer Weltseele, an.
In seinem Werk Theologia Platonica de animorum immortalitate vertrat F. die Ansicht, dass der Mensch in dreifacher Weise mit dem All verbunden sei:
1. durch seinen Geist mit der höheren Geisterwelt, wodurch er der göttlichen Vorsehung untersteht;
2. durch seine Seele (eidolum) mit der Weltseele, wodurch er zwar nicht unter dem Fatum steht, aber in der Ordnung des Fatums.
3. Durch seinen Körper steht er unter der Natur.
Als Beweis führte F. eine Reihe von paranormalen Phänomenen an.
W.: Marsilius Ficinus: Theologia platonica de animarum immortalitatae, 1484; Gesamtausgabe: Vol. 1.2. Basel 1561, 2. Aufl. Basel 1576 (Nachdr. mit Bibl. hrsg. von P.O. Kristeller. Turin 1959-1962); vol. 1.2. Paris, 1641, Supplementum Ficinianum., hrsg. von P.O. Kristeller, 2 Bde. Florenz, 1937 (Nachdr. Florenz, 1973), Bibliografie: P.O. Kristeller: The Philosophy of Marsilio Ficino. New Edition, 1964; Marsilio Ficino: De vita libri tres / Drei Bücher über das Leben. Hrsg. und übers. von Michaela Boenke. Paderborn: Wilhelm Fink, 2012.