Derwisch

(Pers., „Bettler“; Äquivalent von arab. fakir, „der Arme“; engl. dervish; it. derviscio), Bezeichnung für Mitglieder einer islamischen Bruderschaft oder auch für einen allein wandernden Bettelmönch. Die Bruderschaften sind hierarchisch aufgebaute Bünde, in erster Linie von Männern, mit vielfältigen Erscheinungsformen. Sie können eine fromme oder militante, eine theologische oder mehr ekstatische Ausrichtung haben, bilden aber keinen Orden von Mönchen im christlichen Sinn. Einige Bruderschaften sind eher volkstümlich geprägt, andere pflegen insbesondere Gelehrsamkeit, Kunst und Poesie.
D.e gab es in Ansätzen bereits im 10./11. Jh. Die Entwicklung zu ausgeprägten Institutionen mit Vorschriften, denen sich die Anhänger zu unterwerfen hatten, fand aber erst zwischen dem 12. und 14. Jh. statt. In dieser Zeit traten auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen immer deutlicher hervor, was sowohl die mystischen Lehren als auch auch die speziellen Riten und Trachten betraf. Ein D. konnte von dieser Zeit an mehreren Gruppen gleichzeitig angehören.
Durch verschiedene Übungen wie Tanz, Musik, Atem- und Bewegungstechniken, die meist in der Gruppe ausgeführt werden, versetzt sich der D. in verändere Bewusstseinszustände, in denen er mystische Erfahrungen erlebt und bestimmte Phänomene demonstriert werden, wie Schmerz- und Feuerunempfindlichkeit oder Immunität gegen Gifte.
Besonderes Aufsehen erregten die tanzenden D.e des türkischen Mevlevi-Ordens, der 1925 von Atatürk verboten wurde. 1952 erlaubte die türkische Regierung erstmals wieder ein Sema-Ritual (Sema = kreisende Bewegungen, die einer bestimmten Symbolik folgen).
Die Entzauberung der Welt in der Moderne hat auch vor den Derwischen nicht Halt gemacht. So ist in manchen Regionen des islamischen Orients das Derwisch-Wesen bereits zu einem eher historischen Phänomen geworden, in anderen Gebieten zumindest stark zurückgegangen.

Lit.: Kißling, Hans Joachim: Das Derwischtum. Dissertationes Orientales et Balcanicae collectae. München: Trofenik, 1986; Frembgen, Jürgen Wasim:  Reise zu Gott: Sufis und Derwische im Islam. München: C.H. Beck, 2000.
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