Delphi

(Griech., Gebärmutter, Leibesfrucht), griechische Stadt in Phokien mit Apollotempel und dem weithin bekannten Orakel. Nördlich des Golfs von Korinth in Mittelgriechenland am Fuße des Parnassos und oberhalb des Tals des Pleistos-Flusses gelegen, wurde D. aufgrund seiner Lage auch als Nabel der Welt bezeichnet.
D. war bereits in mykenischer Zeit eine bekannte Kultstätte der Erdgottheit Gaia und der Schlangengottheit Python, bis dann Apollon vom Olymp herabstieg, den Python tötete, die Gaia vertrieb und den Ort zu seinem Wohnsitz erklärte. An der Stelle, wo später der Tempel des Apollon errichtet wurde, soll es nach Diodor (der um 110 v. Chr. lebte) einen Spalt im Felsen gegeben haben, aus dem Ausdünstungen emporstiegen, die den Menschen in die Lage versetzten, die Zukunft zu schauen.
Über diesen Spalt wurde ein goldener Dreifuß gesetzt, auf dem sich die Priesterin Pythia, benannt nach der getöteten Schlangengottheit Python, zur Weissagung niederließ. Durch das Einatmen der giftigen Dämpfe versank sie in einen Trancezustand und stieß verstümmelte Worte aus, die als Eingebungen des Apollon von Priestern aufgezeichnet und als Antwort auf den Ratsuchenden gedeutet wurden. Dabei hatte Letzterer bestimmte Bedingungen zu erfüllen. Zunächst musste er sich mit dem Wasser aus der nahe am Heiligtum entspringenden Kastalischen Quelle reinigen, in dem auch die Pythia vor der Verkündung der Orakel ein Bad zu nehmen hatte. Vor dem Betreten des Tempels war auf dem Altar außerhalb des Tempels ein Opfer darzubringen, woraufhin ein Priester den Klienten in den Tempel geleitete. Stammte der Ratsuchende aus einer Gemeinde, welche ein besonderes Gastrecht (Proxenie) genoss, so begleitete ihn ein Bürger von Delphi in das Orakel. Spätestens hier war die Orakelgebühr (pelanos) fällig, die je nach Stellung des Klienten unterschiedlich hoch war.
Im Tempel stand ein zweites Opfer an, ferner war eine zusätzliche Gebühr zu zahlen. Da die Tötung des Opfertieres weder Priester noch Stifter des Tieres beflecken sollte, überließ man den Vorgang niederen Kultdienern. Die Tötung war jedoch mit Schuld verbunden, die man durch Einholen der Zustimmung des Tieres zu verringern suchte. Dazu bespritzte man dieses mit Wasser. Zitterte es, eine völlig normale Reaktion, so glaubte man darin seine Zustimmung zu erkennen.
Erst nach diesem zweiten Opfer durfte ein Klient das Allerheiligste (adyton) betreten. In ihm befanden sich neben dem Raum für die Anfragenden der Omphalos (ein konischer Stein als Nabel der Welt), das Grab des Dionysos, der Dreifuß, auf dem die Pythia saß und unter dem sich ein Erdspalt öffnete, der heilige Lorbeer sowie eine goldene und eine hölzerne Statue des Apollon. Über die eigentliche Weissagung gibt es hingegen außer der oben angeführten allgemeinen Version keine genaue Beschreibung (Rosenberger, S. 53).
Das Orakel von D. besaß nicht nur in ganz Griechenland, sondern auch darüber hinaus Anspruch auf Allgemeingültigkeit, was sich nicht zuletzt auf die griechische Ethik und Politik auswirkte.
590 v. Chr. wurde D. ein autonomer Priesterstaat. Sein Ende kam, als das Heiligtum von Kaiser Konstantin geplündert und 391/392 von Kaiser Theodosius I. geschlossen wurde.
Ab 1892 wurden die Ruinen des antiken Delphi von französischen Archäologen ans Licht gebracht und 1893 wurde der Apollontempel freigelegt.

Lit. Diodorus <Siculus>: [Bibliotheca historica <dt.>] Diodor’s von Sizilien historische Bibliothek. Stuttgart: Metzler, 1839; Rosenberger, Veit: Griechische Orakel. Darmstadt: Wiss. Buchges., 2001; Giebel, Marion: Das Orakel von Delphi. Stuttgart: Reclam, 2001.

 

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