Benedikt XIV.

Papst (1740-1758), vorher Prospero Lambertini, wurde am 31.03.1675 in Bologna geboren. Zu höheren theologischen Studien begab er sich nach Rom und spezialisierte sich in bür­gerlichem und kanonischem Recht. Etwa 40 Jahre lang war er zunächst als Konsistori­alanwalt, später als Glaubensanwalt in der Hl. Ritenkongregation tätig, auch noch als Bischof. 1727 wurde er Erzbischof von Ancona, 1728 Kardinal und 1731 Erzbischof von Bologna, wo er u. a. die erste Frau in der Geschichte zur Professorin der Physik ernannte.
Sein Hauptverdienst liegt in der Gesetzgebung, in die er die Kenntnisse seiner 30-jährigen Tätigkeit als Glaubensanwalt (advocatus diavoli) der Ritenkongregation (heute Heiligsprechungskongregation) über das Gesamtgebiet der Heiligsprechung und die Wunderfrage einbaute. Dabei folgt er bei der Herausgabe der Zusammenfüh­rung der zahlreichen Dokumente, die sich im Laufe der Jahrhunderte zum Thema Wunder angesammelt hatten, in seinem monumentalen Werk Opus De Servorum Dei Beatificatione et Beatorum Canonizatione der kirchlichen Lehre mit strengen Kriterien. Denn obgleich er es für mög­lich hält, hinsichtlich Martyrium und Heroizität der Tugenden zu einem sicheren Urteil gelangen zu können, besteht er dennoch auf der Not­wendigkeit von Wundern als einer göttlichen Bestätigung dieser Tugenden. Die Wunder sind notwendig, um sicherzustellen, dass das Leben eines Nicht-Märtyrers insgeheim nicht „laxer“ („laxior“) verlaufen ist als aus den Zeu­genaussagen hervorgeht, wobei er sich auf die Lehre des Thomas von Aquin beruft, demzufolge Gott Wunder zum Wohle der Menschen, zur Untermauerung der verkündeten Lehre oder zum Beweis der Heiligkeit ei­nes Dieners Gottes wirkt, entweder zu dessen Lebzeiten oder nach seinem Tod.
Um hier jedweder Form einer vorschnellen Beurteilung als übernatürlich vorzubeugen, setzt sich Lambertini im dritten und vierten Band von De Servorum mit den einschlägigen paranormologischen Themen im Zusammenhang mit der Wunderheilung auseinander (zugehörige Tabelle siehe: Lexikon der Paranormologie, Band 2: B – Byzanz, S. 146/147)
In Vorbereitung dieser Abhandlungen in De Servorum verfasste Lambertini ein Manuskript mit dem Titel Notae de miraculis, das Emidio Alessandrini O.F.M. in Bologna entdeckte und in seiner von Andreas > Resch vorgeschlagenen Doktorarbeit als von Lambertini geschrieben identifiziert und anhand der Wiedergabe des lateinischen Originaltextes kommentiert hat. Das in 7 Kapitel eingeteilte Manuskript befasst sich in Kap. 1) mit der Definition des Wunders; in 2) mit dem Wunder im Allgemeinen; in 3) mit den Regeln der Unterscheidung der Wunder; in 4) mit den unkörperlichen Substanzen; in 5) mit der Magie; in 6) mit der Existenz der Wunder in der christlichen Religion und in 7) mit der Qualität der Wunder der christlichen Religion.
Wenn auch viele Deutungen des Paranormalen in den Werken Lambertinis vom heutigen Wissensstand aus als zeitbedingt erscheinen, so betont er doch bereits die Macht der Suggestion, sieht auch im nichtchristlichen Raum positive Aspekte des Paranormalen, kann sich eine natürliche Ekstase auch bei Heiligen und eine natürliche Ursache bei Offenbarungen vorstellen. So bezeichnet er den Daimonion des Sokrates als innere Stimme, als göttliches Zeichen, das ihm von der politischen Tätigkeit abriet.
Während das Werk De Servorum eine reife Arbeit ist, die zusammen mit anderen im Klima der Aufklärung entstand, wurden die Notae de miraculis in Lambertinis frühen Jahren und ohne besondere Rücksicht auf die öffentliche Meinung verfasst, wenngleich die wissenschaftlichen und seelsorglichen Aspekte in der zweiten Hälfte der Arbeit berücksichtigt werden. Die Notae sind daher als Initialkern von De Servorum zu bezeichnen.
In De Servorum versucht Lambertini angesichts der rationalistischen Verneinung alles Außergewöhnlichen durch die Aufklärung auf der einen Seite und die Diskussionsentfremdung der Theologen vom Empfinden des Volkes auf der anderen Seite das Paranormale auf eine solide kritische Urteilsebene zu stellen, ohne es grundsätzlich zu verneinen. So schrieb er: „Der Mensch wandert zwischen zwei Abgründen, sodass es einfach ist, ihn alles glauben und nichts glauben zu sehen.“ Diese Zwiespältigkeit suchte er durch eine kritische Betrachtung des Paranormalen zu überwinden.
Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die von Lam­bertini formulierten Kriterien zur Beurteilung von Wunderheilungen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen und heute noch Geltung haben:
1.  Die Krankheit muss schwer und ihre Heilung laut Urteil qualifizierter Ärzte extrem schwierig bis unmöglich sein.
2.  Die Krankheit darf sich nicht schon kurz vor dem Abklingen befin­den oder bei der Krisis angelangt sein, welche der Heilung des Kranken vorausgeht. Nicht gegen ein Wunder spricht jedoch, wenn die Krankheit normalerweise durch ein Medikament oder andere ärztliche Mittel geheilt werden kann, diese Mittel aber dort fehlen, wo sich das Wunder ereignet.
3.  Es dürfen keine Medikamente verabreicht worden sein, die eine sol­che Krankheit heilen könnten. Ferner muss sicher sein, dass sich die ver­wendeten Medikamente als unwirksam erwiesen.
4.  Die Heilung muss plötzlich erfolgen.
5.  Die Heilung muss vollständig sein. Zurückbleiben dürfen lediglich harmlose Folgeerscheinungen, wie etwa Narben.
6.  Der Heilung darf keine größere heilsame Krise vorausgegangen sein, dies unter Bezugnahme auf Galenus, demzufolge die Natur eine Heilung auf dreifache Weise bewirken könne: durch Dekubitus, durch Krisis und durch einfache Remission.

Aufgrund dieser umfangreichen Betrachtung des Paranormalen ist Benedikt XIV. als der erste Paranormologe zu bezeichnen.

W.: De Lambertinus Opus De Servorum Dei Beatificatione et Bea­torum Canonizatione, in septem volumina distributum. Editio novissima ad postremam remondinianam exacta. Prati, MDCCCXXXIX f.
Lit.: Alessandrini, Emidio: Creder tutto Creder nulla: Il Notae de Miraculis: Opera inedi­ta del Cardinale Prospero Lambertini (Benedetto XIV), sui fenomeni straordinari e magi­co-superstiziosi. Excerpta ex Dissertatione ad Doctoratum in Theologia Morali Conse­quendum. Assisi: S. Mariae Angelorum, 1995 (Die Doktorarbeit wurde an der Accademia Al­fonsiana, Rom, unter Leitung von Sabatino Majorano und Andreas Resch verfasst.).

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