Andreas Resch: Magie

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MAGIE

Am Anfang aller Weltbilder steht die magische Deutung von Welt und Mensch. Dabei ist Magie (vom iranisch-altpers. magu(s); griech. mageia; lat. magia) als Zuschreibung von besonderen Mächten und Kräften an Gegenstände und Wesenheiten zu verstehen, die diesen von sich aus nicht zukommen, sowie das Verfügbarmachen dieser Kräfte durch bestimmte Handlungen, Zaubersprüche, gebetsartige Praktiken, Amulette, Riten oder durch besondere Kenntnisse. Da die genannten Mächte und Kräfte einer direkten sichtbaren Kontrolle nicht zugänglich sind, ist es notwendig, ihre besondere Eigenheit zu kennen. Diese bezieht sich auf das gesamte Spektrum möglicher Symbole, von der konkreten magischen Handlung bis zu Riten und Kenntnissen, insofern die Ursache des Effektes in den genannten Kräften und Mächten gesehen wird.

Abb.1: Magier bei der Beschwörung eines Geistes. Kupferstich aus Lorenz Flammenbergs „Der Geisterbanner“, 1799

Sowohl die magische Kausalverbindung als auch die Symbolbedeutung verweisen auf die implizite Annahme einer transzendenten Dimension einer unsichtbaren Wirklichkeit. Diese Annahme beruht unmittelbar auf einer intellektuellen und religiösen Überzeugung. Magie kann daher im weitesten Sinne auch als Einbruch der Transzendenz in den kausalempirischen Bereich und als Aufstieg des empirischen Bereiches in die transzendente Dimension verstanden werden. „Somit ist Magie der undifferenzierte und angleichende Übergang des Unsichtbaren, Spirituellen und Verborgenen in den pragmatischen Machtbereich und Automatismus des täglichen Lebens oder aber der Versuch, ohne nähere Differenzierung die transzendente Realität im Interesse und zum Zweck des konkreten Lebens zu kontrollieren.“2 (Abb. 1)

1. Geschichte

Inhaltlich gesehen geht die Magie bis in die früheste Menschheitsgeschichte zurück, war doch auch der Urmensch gezwungen, sich zur persönlichen Orientierung ein bestimmtes Weltbild zu schaffen und seine Sippschaft mit einer gewissen Ordnung zu versehen.
Sprachlich gesehen sind die Magoi der Antike persische Priester. Sie bilden den Stamm der Medier, deuten Vorzeichen und Träume, wirken bei Opfern mit oder pflegen einen besonderen Mysterienkult. Nach späteren Berichten sollen griechische Philosophen in direktem Umgang mit ihnen ihre Lehren studiert haben. ARISTOTELES bezeichnet sie als diejenigen, die halb Dichter, halb Philosophen, alles Seiende aus einem obersten Prinzip ableiten (Met. 13,4, 1091 b 10).“3
In diesem umfassenden Sinn bekommt Magie eine enge Beziehung zur Religion, „sodaß es zuweilen schwer ist zu unterscheiden, ob eine Handlung magisch oder religiös ist. Dies hat darin seinen Grund, daß einerseits die transzendente Realität der Magie oft weitgehend identisch ist mit der religiösen Erfahrung und der implizit angenommenen Verursachung magischer Handlungen, andererseits bedarf auch der religiöse Mensch, seiner Natur und Existenz entsprechend, greifbarer oder konkreter Zeichen, wie Kulte, Riten, Symbole, Gebete und spezielle Kenntnisse, um in eine Beziehung mit Gott und dem Göttlichen zu treten. Der wesentliche Unterschied zwischen Magie und Religion kann ganz allgemein darin gesehen werden, daß bei der Transzendenz der Religion die jeweilige transzendente Wesenheit in personaler Freiheit in die Empirie und den Lebensvollzug des Menschen einwirkt, auch auf Wunsch des Menschen, während in der Magie durch die magische Handlung die gewünschte Wirkung gleichsam erzwungen wird. In der Religion stehen Gott und Gnade im Mittelpunkt, in der Magie der Mensch und die von ihm gesetzte magische Handlung.“4

2. Formen

Zur Eigenart der Magie gehört es, „daß sie nicht nur zur Erreichung greifbarer Ergebnisse durch automatisch wirksame Riten eingesetzt wird, sondern auch um letzte Einzelheiten des individuellen Lebens zu erreichen. Man unterscheidet daher zwischen offizieller, privater, schwarzer und weißer Magie. Von offizieller Magie ist dann die Rede, wenn öffentliche Ereignisse in Übereinstimmung mit einem magisch effektiven Ritual zur Durchführung kommen. Solche Feiern können von der Gemeinschaft oder durch einen offiziellen Priester, eine Priesterin, einen Magier oder Schamanen durchgeführt werden. Hierher gehören auch alle institutionellen Handlungen sowie jene allgemeinen Veranstaltungen und Informationen, die mehr oder weniger für öffentlich gehalten werden und denen eine besondere Wirkung zugeschrieben wird, wie die pseudoreligiösen Feiern, das Maskottchen bei Großveranstaltungen und das Horoskop in den Medien.“5
Die private Magie wird im Gegensatz zur öffentlichen Magie „im geheimen Bereich eines Individuums oder von Gruppen, sei es zum ausschließlich privaten Gebrauch oder um andere zu schädigen, eingesetzt. Es kann zwar jeder private Magie ausüben, doch sofern es um geheimes Wissen geht, kommen spezielle Traditionen (Schulen oder Familien) zum Tragen, die sich zuweilen erst neu bilden, wobei inhaltlich, trotz der Vielzahl der in letzter Zeit entstandenen Gruppen und Grüppchen, keine wesentlich neuen Inhalte festzustellen sind.“6
Von weißer und schwarzer Magie spricht man schließlich bei der Zielsetzung des magischen Inhaltes und der magischen Handlung. Weiße Magie besagt wohlwollende magische Einstellung und Beeinflussung, schwarze Magie hingegen böswillige und verneinende magische Einstellung bis hin zur verletzenden oder zerstörerischen magischen Handlung.

3. Handlungen

„Alle Formen magischer Handlung werden entweder durch Gesten, Berührung, Laut, Wort, Gesang, Beschwörung, Schrift, Zeichen, Mimik, Symbolhandlung, Symbolobjekte oder durch magische Medien und kraftgeladene Gegenstände vollzogen. So sind folgende magische Handlungen zu unterscheiden:

a) Objektmagie

Die Objektmagie beruht auf der Annahme, daß der Teil dem Ganzen dient und daß dieser Teil (Menschenknochen, Haare, Fingernägel, aber auch Steine, Werkzeuge, Tiere, Fetische usw.) aufgrund seiner eigenen Kraftgeladenheit unmittelbare Wirkung zeitigt. Wer daher irgend etwas von einem anderen besitzt, hat Macht über ihn. Die Objektmagie wird vor allem im Fetischismus, beim Schmuck, bei den Amuletten und Maskottchen gepflegt.

b) Berührungsmagie

Magische Effekte werden auch durch Berühren kraftgeladener Gegenstände erzielt. Solche Gegenstände können Steine, Pflanzen, Tiere usw. sein. Diese Kraftübertragungen können auch von Mensch zu Mensch erfolgen – eine Vorstellung, die im Kannibalismus nicht ohne Bedeutung ist. Bei speziellen Formen reicht die Berührungsmagie tief in den Symbolbereich hinein. So soll durch das Tragen eines Löwenzahns als Amulett die Kraft des Löwen übertragen werden. Die ursprünglich völlig selbständige Kraft kann aber nicht nur übertragen, sondern auch zweckdienlich verwendet werden, z. B. als Opfergabe für die Vorfahren, wie etwa bei den Corumba in Westafrika.

c) Imitative Magie

Die imitative oder homöopathische Magie, auch sympathetische oder analoge Magie genannt, beruht auf dem Grundsatz, daß Gleiches Gleiches hervorbringt. So kann das Imitieren von Sturm und Donner und das Ausgießen von Wasser Regen hervorbringen. Ein Mensch kann durch den Anblick seines Bildes getötet werden. Die Gegenwart Gottes oder des Göttlichen kann man durch den Besitz eines Bildes erlangen. Im alten Ägypten wurden den Toten sogenannte Uschebtis, kleine Figuren, in das Grab gelegt, die dank dem Spruch, der auf ihnen geschrieben stand (Totenbuch, Kap. 6), für den Verstorbenen eintraten, falls er zur Arbeit gerufen wurde. Im Unterschied zur Kontaktmagie dient der imitativen Magie bereits ein Abbild. Hierauf beruht auch der Brauch der sogenannten Defixionspuppen, d. h. man stellt die Person mittels einer Puppe dar, auf die man magisch einwirken will, sei es, daß man sie durch Einschnüren der Freiheit beraubt oder durch Einstecken von Nadeln zu töten versucht.
Die imitative Magie dient jedoch nicht nur der Schadenzufügung, sondern auch der Lebensförderung. So gehören z. B. Fruchtbarkeits- und Wetterzauber zur imitativen Magie. Das hier zugrundeliegende Prinzip der Analogie, nämlich daß Gleiches Gleiches bewirke, wurde nicht nur zum Grundprinzip der Homöopathie, sondern weist ebenso auf die Beziehung von Mikrokosmos und Makrokosmos hin, in der eine Art von Parallelismus von Kräftewirkungen zum Ausdruck kommt.

d) Gnosiologische Magie

In der gnosiologischen oder die Erkenntnis betreffenden Magie erwartet man den Effekt nicht mehr so sehr von der Durchführung objektbezogener oder sympathetisch-analoger Handlungen, sondern vielmehr von der Kenntnis der magischen Konstellationen in Verbindung mit dem Universum. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von passiver Magie. Es geht hierbei um die Setzung einer Handlung zur rechten Zeit (z. B. bei Vollmond oder Neumond) oder um die Ergründung, auf welche Weise die Gunst und der Segen der Götter zu erreichen sei. So kann selbst das Gebet, das religiösen Ursprungs ist, unter dem Einfluß des Automatismus ins Magische umkippen, wenn man z. B. durch bestimmte Wiederholungen die Wirkung des Gebets zu steigern oder durch Kettenbriefe, äußere Verhaltensmuster oder spezielle Formulierungen eine besondere Wirkung zu erzielen glaubt.“7

4. Neue Formen der Magie

Die neuen Formen der Magie erwachsen aus der sozialen und geistigen Unsicherheit angesichts der zuneh­menden Weltoffenheit, der nicht mehr durchschau­baren Informationsflut, des Schwindens ideologischer Systeme, der Betonung der individuellen Freiheit, der Lösung religiöser Bindungen u. der damit verbunde­nen individuellen Isolation. Aus dieser Individua­lisierung und dem sicheren Bewusstsein, dass weder Wissenschaft noch andere Institutionen das Ganze erfas­sen, entsteht die Sehnsucht nach dem umgreifend Bergenden ohne individuelle Verpflichtung und refle­xive Hinterfragung, die in folgenden Formen der Magie zum Ausdruck kommt:
Magische Geborgenheit: Mas­kottchen als Schutzgeist; Ritual der Abwendung v. Schadenszauber; Einbindung der guten Geister der Natur sowie der Geistwesen aller Kulturen und Reli­gionen im Sinn einer unverbindlichen ewigen Gebor­genheit. —
Magie der Gesundheit: Farben-, Edelstein-. Pflanzen-, Liebes-, Metall-Magie, Magie der Sinne, des Tantra (/Tantrismus) nd. des Wohnens, der Musik. des Tanzes und des Mondes.
Magie der individuellen Machtstellung: Magie der Worte, der Schlagfertigkeit, des Erfolges, der Maske, der Manipulation des Zu­falls und der Zukunft. Diese Mächtigkeit erfordert je­doch eine Überlegenheit des Wissens, die der per­sönliche Einstieg in die Welt der Geheimnisse vermit­teln soll. Dem dienen die Magie der Zahlen, der Einsatz von Runen, die Befragung der Druiden, die Anwendung des Abramelin, die Weckung des magischen Bewusstseins bis hin zur Identifikation mit Gott­heiten und Dämonen (Okkultismus).
Magischer Wunsch und magischer Fluch bzw. weiße und schwarze Magie. Der Glückwunsch gilt vornehmlich dem individuel­len Wohl und dem Wohl der ichfördernden Umge­bung. Der Fluch in Form von Verwünschung, Verhe­xung (Hexen, Hexenkulte), Auslieferung an den Teufel, magische Vernichtung usw. ist gegen alles Ich- ­oder Gruppenstörende gerichtet und nimmt in persönlichen Handlungen, in Gruppeninitiativen bis tief hinein in den Unterhaltungsbereich zuweilen lebensverachtende u. lebensvernichtende Formen an.
So sind die neuen Formen der Magie u. a. durch Sehnsucht nach Geborgenheit und durch Ich- u Gruppenstärkung mittels Macht u. Aggression ge­kennzeichnet, wozu man sich der verschiedensten magischen Handlungen bedient.

5. Magie und Religion

Magie findet sich in allen Kulturen und bei allen Völkern, wenngleich in ver­schiedenen konkreten Ausprägungen. Es ist daher völlig abwegig, Magie etwa als Vorstufe der Religion (J. G. FRAZER8), als Quelle der Religion (E. DURKHEIM9) abzustempeln oder in evolutionistischer Betrachtung in Kategorien von primitiv und gebildet einzugliedern (E. B. TYLOR10). Magie bleibt über alle Kultur- und Entwicklungsbereiche hinweg die jeweilige Auseinandersetzung mit dem Unbekannten.
Die umfassendste Auseinandersetzung mit dem Unbekann­ten besteht zwischen Magie und Religion, so dass es zuweilen schwer ist zu unterscheiden, ob eine Handlung magisch oder religiös ist. „Dies hat darin seinen Grund, dass einerseits die transzendente Realität der Magie oft weitgehend identisch ist mit dem Inhalt religiöser Erfahrung und mit der implizit angenommenen Verursachung magischer Handlungen, andererseits bedarf auch der religiöse Mensch, seiner Natur und Existenz entsprechend, greifbarer und konkreter Zeichen, wie Kulte, Riten, Symbole, Gebete, und spezieller Kennt­nisse, um in eine Beziehung mit Gott und dem Göttlichen zu treten. Der wesent­liche Unterschied zwischen Magie und Religion kann ganz allgemein darin ge­sehen werden, dass bei der Transzendenz der Religion die jeweilige transzendente Wesenheit in personaler Freiheit in die Empirie und den Lebensvollzug des Menschen einwirkt, auch auf Wunsch des Menschen, während in der Magie durch die magische Handlung die ge­wünschte Wirkung gleichsam erzwungen wird. In der Religion stehen Gott und Gnade im Mittelpunkt, in der Magie der Mensch und die von ihm gesetzte magi­sche Handlung.
Bei der Beurteilung der Magie muss daher zwischen dem Suchen nach einem Weltbild und Zauberei oder Betrügerei unterschieden werden.11

6. Schlussbemerkung

Die negative Haltung von Wissenschaft und Kirche der Magie gegenüber wurde in der Neuzeit noch durch das Aufblühen der modernen Naturwissenschaften gefördert, die sich zusehends an Maß, Zahl und Gewicht orientierten und ganzheitliche Vorstellungen als subjektive Einbildungen hinstellten. Dabei muss selbst die Naturwissenschaft der Magie bezichtigt werden, wo immer sie Deutungen anbietet, die nicht messbar sind, vor allem dann, wenn diese sich später als unhaltbar erweisen, was bei allen übergreifenden Hypothesen und Theorien nur zu oft der Fall ist. Die Kirche hingegen ist gut beraten, wenn sie bei der Beurteilung der Magie nicht nur auf die wissenschaftliche Deutungsmöglichkeit blickt, sondern auch auf das zugrunde liegende Bedürfnis des Menschen nach ewiger Geborgenheit und kosmischer Sicherheit.

Anmerkungen:
1 Andreas RESCH: Aspekte der Paranormologie (1992)
2 A. RESCH: Magie (1992), Sp. 607
3 Dersl.,ebd.
4 Ders., ebd., Sp. 608; A. Resch: Hexenprozess (2017)
5 Ders., ebd.
6 Ders., ebd. Sp. 609
7 Ders., ebd., Sp. 610 / 11
8 J. G. FRAZER: The Golden Bough. 1. The Magie Art (1913)
9 E. DURKHEIM: Les formes élementaires de la vie religieuse (1913)
10 E. B. TYLOR: Primitive culture (1913)
11 F. KING: Magie (1976); M. LURKER: Lexikon der Götter und Dämonen (1989); G.LUCK: Magie und andere Geheimlehren in der Antike (1990); Ch. HABIGER-TUCZAY: Magie und Magier im Mittelalter (1992); R. KIECKHEFER: Magie im Mittelalter (1992); Im Bann der Magie (2008)