Kanner-Syndrom

Auch Kanner-Autismus, infantiler Autismus oder frühkindlicher Autismus, eine Autismusform, deren Beginn schon vor dem dritten Lebensjahr einsetzt. Das Syndrom gilt als tiefgreifende Entwicklungsstörung und zeigt sich häufiger bei Jungen als bei Mädchen.
Als Namensgeber des Kanner-Syndroms diente der österreichisch-amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner (1894-1981), der als Begründer der Kinder- und Jugendpsychiatrie in den USA gilt. 1943 wurde von Kanner eine autistische Störung des affektiven Kontakts bei mehreren Kindern festgestellt. Später erhielt diese Erkrankung die Bezeichnung „frühkindlicher Autismus“. Die betroffenen Kinder sind in ihrem Verhalten, ihrer Sprache sowie in ihren sozialen Interaktionen beeinträchtigt. Bereits im Babyalter weisen sie eine auffällige Andersartigkeit auf, weichen Blickkontakten aus und zeigen keinerlei Reaktionen auf Mimik oder Gestik. Gefühle werden von ihnen nicht verstanden oder falsch gedeutet. Stattdessen sind ihnen Gegenstände wichtiger als Menschen, und sie spielen lieber mit ihren Eltern oder allein als mit anderen Kindern.
Im Einzelnen lassen sich folgende Merkmale ausmachen:
1. Autistische Merkmale: Qualitative Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Beziehungen, qualitative Beeinträchtigung der verbalen und nonverbalen Kommunikation sowie der Phantasie, deutlich eingeschränktes Repertoire von Aktivitäten und Interessen.
2. Unspezifische Probleme wie Befürchtungen, Phobien, Schlaf- und Essstörungen, Wutausbrüche und Aggressionen oder Selbstverletzungen. Bezüglich Freizeit und Arbeit haben sie Schwierigkeiten, Konzepte zu entwickeln. Diese charakteristischen Defizite ändern sich zwar mit zunehmendem Alter, bleiben aber in ihrer Grundstruktur erhalten. Wichtig ist die diagnostische Feststellung, dass die Entwicklungsauffälligkeiten bereits in den ersten drei Jahren auftauchen. Das Syndrom kann nämlich in allen Altersgruppen diagnostiziert werden. Zudem kann bei einem Autismus jedes Intelligenzniveau vorkommen, wenngleich in drei Viertel der Fälle eine deutliche Intelligenzminderung vorliegt.
 3. Inzidenz: Insgesamt wird die Diagnose kindlicher Autismus sehr selten gestellt. Neuere Untersuchungen weisen jedoch eine höhere Häufigkeit auf. Frühkindlichen Autismus haben ca. 1,3-2,2 von 1000 Kindern, wobei die Erkrankung bei Jungen sehr viel häufiger auftritt. Das Verhältnis von Jungen zu Mädchen beträgt 2:1 bis 6,5:1. Davon können nur 1 bis 2% ein normales Leben führen. Mehr als 75% aller Autisten sind geistig massiv behindert, weshalb 60 bis 70% der Betroffenen sehr pflegebedürftig sind und meist in Heimen leben müssen. Weitere 20% zeigen so deutliche Auffälligkeiten, dass sie zumindest teilweise der Pflegebetreuung in Heimen bedürfen.
4. Ursachen: Was die Ursachen des Autismus betrifft, so gibt es zwar viele Erklärungsansätze für dessen Entwicklung, doch lässt sich keine allgemeine Ursache ausmachen. Jedenfalls spielen verschiedene biologische Faktoren eine wesentliche Rolle, während psychosoziale und Umweltfaktoren von untergeordneter Bedeutung sind.

Lit.: Resch, Andreas: Autismus. Grenzgebiete der Wissenschaft (GW) 65 (2016) 1, 59-83; ders.: Der Innenraum des Menschen (Reihe R; 10). Innsbruck: Resch, 2017, S. 249-2058.
Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.