Andreas Resch: Augustina Livia Pietrantoni

AUGUSTINA LIVIA PIETRANTONI
(1864-1894)

PROFESS-SCHWESTER
DER KONGREGATION DER
BARMHERZIGEN SCHWESTERN
DER HL. JOHANNA ANTIDA THOURET

Heilig: 18. April 1999
Fest: 13. November

AUGUSTINA LIVIA PIETRANTONI wurde am 27. März 1864 als zweites von elf Kindern des Francesco Pietrantoni und der Caterina Costantini im Dörfchen Pozzaglia Sabina in Latium, Italien, geboren und noch am gleichen Tag auf den Namen Livia getauft. Die Eltern waren Kleinbauern, die neben ihrem eigenen Land auch ein gepachtetes Grundstück bearbeiteten.

Livias Kindheit und Jugend wurden von den Werten der ehrbaren, fleißigen und gläubigen Familie und vor allem von der Weisheit des Großvaters Domenico geprägt, der als ein echter Patriarch im Hause galt, wo „alle darauf bedacht waren, sich wohl zu verhalten, und häufig gebetet wurde“. Mit vier Jahren erhielt Livia das Sakrament der Firmung und um 1876 empfing sie die Erstkommunion.

Schon früh erhielt sie von der Mutter das nötige Rüstzeug bei der Erziehung der vielen Kinder der Großfamilie, in der alle ein Anrecht auf Zeit und Unterstützung zu haben schienen. In der Tat übertrug ihr die Mutter eine große Verantwortung, sodass sie bald zu dem Mädchen wurde, „auf das man sich bei geschlossenen Augen verlassen kann. Sie arbeitete auf den Feldern und kümmerte sich um die Tiere. Eine Freundin meint: Ich habe sie nie spielen gesehen.“ Livia war schüchtern und schweigsam, mied aber die Gesellschaft nicht, ja, sie hatte sogar einen gewissen Einfluss auf ihre Gefährtinnen, die immer, bevor sie eine Entscheidung trafen, sagten: „Hören wir uns zuerst an, was Livia davon hält!“

Ein regelmäßiger Schulbesuch war Livia zwar nicht möglich, doch lernte sie dank der Privatunterweisung durch ihren Großvater Domenico eine ganze Menge. Neben der Haus- und Feldarbeit und der Sorge für die Tiere begann sie mit sieben Jahren gemeinsam mit anderen Kindern zu „arbeiten“, wobei sie für den Bau der Straße Orvinio-Poggio Maiano tausende Eimer Sand und Schotter schleppte. Mit 12 Jahren ging sie in den Wintermonaten mit den anderen jungen „Saisonarbeiterinnen“ nach Tivoli zur Olivenernte. Sie, die sich schon in jungen Jahren durch Umsicht und Klugheit auszeichnete, übernahm dabei die moralische und religiöse Verantwortung für ihre jungen Gefährtinnen und unterstützte sie bei ihrer harten Arbeit fernab der Familie und des Dorfes.

Wegen ihrer Weisheit, Selbstlosigkeit, Großzügigkeit und Schönheit war Livia sehr beliebt. Die jungen Männer des Dorfes hatten ein Auge auf sie geworfen. Der Mutter entgingen die bewundernden Blicke nicht und so träumte sie von einer guten Partie für ihre Tochter. Livia aber wollte von Jugend an Ordensschwester werden und unternahm ab Herbst 1885 keinerlei Anstrengung mehr, ein Geheimnis darum zu machen. Wer immer sie in der Familie oder im Dorf von ihrer Entscheidung abzubringen versuchte und diese als Flucht vor der Mühsal hinstellte, bekam zur Antwort: „Ich will eine Kongregation auswählen, wo es Tag und Nacht Arbeit gibt“, und alle wussten, dass sie es ehrlich meinte. Eine erste Reise nach Rom in Begleitung ihres Onkels Fra Matteo endete mit einer großen Enttäuschung: Livia wurde von den verschiedensten Instituten abgelehnt. Einige Monate später jedoch teilte ihr die Generaloberin der Barmherzigen Schwestern der hl. Johanna Antida Thouret, Mutter Giuseppina Bocquin, mit, dass sie im Generalatshaus in der Via S. Maria in Cosmedin erwartet werde. Livia spürte, dass es diesmal ein Abschied für immer war. Sie verabschiedete sich von den Bewohnern, von jedem einzelnen Winkel des Dorfes, von den Orten des Gebets: der Pfarrkirche und der Madonna della Rifolta; sie umarmte ihre Familienangehörigen und empfing auf Knien den Segen von Großvater Domenico, sie „küsste die Tür ihres Hauses, machte ein Kreuzzeichen darauf und rannte davon“.

Am 23. März 1886, im Alter von 22 Jahren, traf Livia in Rom ein, in der Via S. Maria in Cosmedin. Die Monate des Postulats und Noviziats waren Beweis genug dafür, dass das Mädchen das Zeug zur Barmherzigen Schwester hatte, einer „Dienerin der Armen“, in der Tradition des hl. Vinzenz von Paul und der hl. Johanna Antida. Livia brachte nämlich, sozusagen als Familienvermächtnis, eine solide Wesensart und einen außerordentlich starken Charakter mit, der jede Garantie dafür gab. Nach 17 Monaten Vorbereitung im Mutterhaus, am Fuße des Aventin, wurde sie am 13. August 1887 unter dem Namen Sr. Augustina zur Einkleidung zugelassen. Man teilte sie dem Spital „Santo Spirito“ zu, berühmt aufgrund seiner 700-jährigen Geschichte und als „Höhere Lehranstalt der christlichen Nächstenliebe“ bezeichnet, wo Sr. Augustina zunächst in der Kinderabteilung und anschließend in der Abteilung für Tuberkulosekranke arbeitete. Die Atmosphäre im Spital war antiklerikal, die römische Frage vergiftete die Gemüter, die Kapuzinerpatres wurden vertrieben, die Kruzifixe abgenommen und jedes andere religiöse Zeichen verbannt. Man wollte auch die Schwestern entfernen, fürchtete jedoch, dadurch unpopulär zu werden. Also machte man ihnen das Leben schwer und verbot ihnen, von Gott zu sprechen. Die Parole war „Laisierung“. Die Situation verlangte Wachsamkeit und Vorsicht. Sr. Augustina aber bedurfte nicht des Mundes, „um Gott zu bekennen“, und kein Knebel konnte sie daran hindern, das Evangelium allein durch ihre Gegenwart zu verkünden. Ihr Dienst, zuerst in der pädiatrischen Abteilung und nach der tödlichen Ansteckung, von der sie auf wunderbare Weise geheilt wurde, im Krankensaal der Verzweifelten und der todgeweihten Tuberkulosekranken zeigte ihre ganze Hingabe und ihre außerordentliche Aufmerksamkeit für jeden Patienten, vor allem für die schwierigsten, gewalttätigsten und widerwärtigsten unter ihnen, wie einen gewissen „Romanelli“.

In der Abteilung ging es bekanntermaßen turbulent zu. Die Art der Krankheit und die Isolation steigerten die Unruhe der Insassen bis zur Verzweiflung und der Dienst war zuweilen sogar gefährlich. Sr. Augustina bewahrte Ruhe und meinte: „Ich bleibe ganz ruhig auf meinem Platz, wenngleich ich sicher bin, dass sie mich umbringen werden, wenn der Augenblick günstig ist… Ich beneide die Märtyrer um ihr Los und wäre glücklich, so zu sterben wie sie… Es geht darum, zu lieben, weil Christus uns geliebt hat; und es geht darum, so zu lieben, wie Er uns geliebt hat… daher dürfen wir, um der Gefahr zu entfliehen, unsere Pflicht der Nächstenliebe nicht vernachlässigen, sollte es uns auch das Leben kosten… ich fürchte nichts: der Herr trägt Sorge für mich.“
Insgeheim fand sie in einem verborgenen Winkel ein Plätzchen bei der Jungfrau Maria, damit sie ihr helfe, im Spital zu bleiben; ihr vertraute sie ihre „Schützlinge“ an und versprach ihr weitere Wachen und noch größere Opfer, um zu erreichen, dass sich auch die Hartnäckigsten bekehrten. Sr. Augustina betete viel. Täglich empfing sie die hl. Kommunion, aus der sie Kraft und Hilfe schöpfte, was ihr die Anfeindungen zu ertragen half. Wie oft schon war ihr Giuseppe Romanelli auf den Leib gerückt! Er war der Schlimmste von allen, vulgär und unverschämt, besonders mit ihr, die ihm nur noch freundlicher begegnete und seiner blinden Mutter einen überaus warmen Empfang bereitete, wenn sie ihn besuchen kam. Er war zu allem fähig und schikanierte alle. Als ihn der Direktor nach unzähligen Provokationen den Frauen in der Wäscherei gegenüber aus dem Spital warf, suchte sein Zorn eine Zielscheibe und er fand sein Opfer in der wehrlosen Sr. Augustina. „Mit bloßen Händen bringe ich dich um!“ „Sr. Augustina, du hast höchstens noch einen Monat zu leben!“ lauteten seine Drohungen, die er ihr wiederholt auf einem Zettel zukommen ließ.

Sr. Augustina nahm indes nach Ablegung der ewigen Profess am 23. September 1893 ihre tägliche Arbeit im Spital sofort wieder auf. Als auch sie im Mai 1894 von Tuberkulose befallen wurde, bat sie die Oberin, die sie austauschen wollte, sie doch bei ihren Patienten zu lassen, und tatsächlich ging sie, nach einer kurzen Erholung, wieder an die Arbeit. Von neuem tat sie alles Erdenkliche, um die Kranken zufriedenzustellen, die sich jedoch völlig undiszipliniert gebärdeten, besonders Romanelli, der mit seinen Drohungen nicht zu scherzen gewillt war. Eines Abends gab er mit zweien seiner Kumpane eines seiner „Bravourstücke“ zum Besten, woraufhin der Spitalsleiter nicht zögerte, den Schuldigen und seine Freunde hinauszuwerfen. Romanelli war überzeugt, dass der Bericht an den Direktor von Sr. Augustina verfasst worden war, und von da an reifte sein Entschluss, sie zu töten. Die Schwester wusste nur zu genau, dass von einem Typen wie Romanelli alles zu erwarten war, und war bereit, auch den höchsten Preis dafür zu bezahlen.

Am 13. November 1894 begann Sr. Augustina ihren Tag wie gewohnt. Zur Besuchszeit zogen sich die Schwestern, wie mit der Spitalsleitung vereinbart, zurück, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Auch Romanelli kam. In einem schmalen Gang lauerte er der Schwester auf und versetzte ihr sieben tödliche Messerstiche. Jeder Versuch, ihr zu helfen, war umsonst; Sr. Augustina hatte gerade noch Zeit, ihrem Mörder zu vergeben. Sie starb im Alter von 30 Jahren, von denen sie lediglich acht im Kloster verbracht hatte.

Der am 15. November 1894 in der Heiliggeistkirche gefeierte Sterbegottesdienst verzeichnete eine große Teilnahme und die Menschenmenge in den Straßen von Rom folgte dem Sarg der bescheidenen Ordensschwester, der zum Friedhof Verano getragen wurde. Die ganze Stadt war aufgewühlt. Die Stimme des Volkes und die gesamte Presse bezeichneten Sr. Augustina als Märtyrerin. Am 14. November 2004 wurden die sterblichen Überreste in die Pfarrkirche von Pozzaglia Sabina in Latium übertragen.

Am 18. April 1999 wurde Augustina Livia Pietrantoni von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen, nachdem sie Papst Paul VI. am 12. November 1972 seliggesprochen hatte.

Am 29. April 2003 wurde sie zur Patronin der Kranken ernannt.

 

RESCH, ANDREAS: Die Heiligen Johannes Pauls II. 1982 – 2004. Innsbruck: Resch, 2012 (Selige und Heilige Johannes Pauls II; 5). XIV, 480 S., 109 Farbtaf., ISBN 978-3-85382-094-0, Ln, EUR 48.60 [D], 49.90 [A]

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